Gewalt nach Wahl EU will Belarus bestrafen – "Wahlergebnisse inakzeptabel"
Die Europäische Union hatte Konsequenzen aus der Gewalt gegen Demonstranten in Belarus angekündigt. Nun meldet sie Vollzug. Unterstützer des autoritären Staatschefs Alexander Lukaschenko werden sanktioniert.
Die EU bringt wegen der Polizeigewalt in Belarus (Weißrussland) neue Sanktionen gegen Unterstützer des Staatschefs Alexander Lukaschenko auf den Weg. Zudem sollen Strafmaßnahmen verhängt werden gegen Personen, denen eine Fälschung der Präsidentenwahl am vergangenen Sonntag vorgeworfen wird. "Die EU akzeptiert die Wahlergebnisse nicht", teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitagabend nach Beratungen der EU-Außenminister mit. Man arbeite nun daran diejenigen zu sanktionieren, die für Gewalt und Fälschungen verantwortlich seien.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte vor der Videokonferenz im Kurzbotschaftendienst Twitter angekündigt, man wolle den Druck auf Belarus heute deutlich erhöhen. Das umstrittene Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom Sonntag müsse überprüft werden und "Personen, die nachweislich an Gewalt gegen friedliche Demonstranten beteiligt waren, müssen sanktioniert werden", forderte Maas.
Vorwurf der Wahlmanipulation
In Belarus selbst weiteten sich am Freitag ungeachtet der Freilassung von mehr als 2000 Demonstranten die Proteste gegen Gewalt und Polizeiwillkür noch einmal aus. Aus Unmut über Lukaschenko wurde in immer mehr Staatsbetrieben gestreikt. In vielen Städten bildeten Demonstranten lange Menschenketten. Der Präsident selbst reagierte auf Spekulationen, er habe das Land bereits verlassen: "Fürs Erste: Ich bin noch am Leben und nicht im Ausland."
Zudem machte er ausländische Kräfte aus den Niederlanden, Polen und der Ukraine für die Massenproteste verantwortlich und warnte vor Arbeitsniederlegungen. "Wenn wir aufhören zu arbeiten, werden wir die Produktion nie wiederherstellen können", sagte er.
In der ehemaligen Sowjetrepublik hatte sich der oft als "letzter Diktator Europas" bezeichnete Präsident am Sonntag zum sechsten Mal in Folge als Wahlsieger ausrufen lassen. Die Wahlkommission sprach ihm am Freitag offiziell 80,1 Prozent der Stimmen zu. Daran gibt es erhebliche Zweifel - nicht nur in Belarus.
Berichte von schlimmsten Misshandlungen
Nach ihrer Freilassung berichteten viele von schwersten Misshandlungen im Gefängnis. Fast 7.000 Menschen sind in den vergangenen Tagen festgenommen worden. "Wir tun alles nur Mögliche, um die Situation zu lösen", behauptete das Innenministerium. Es sollten weitere inhaftierte Demonstranten freigelassen werden. Viele schilderten unmenschliche Bedingungen in überfüllten Gefängnissen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich nach Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert "erschüttert" über Berichte, wonach Inhaftierte misshandelt wurden. "Die Aussagen der gepeinigten Menschen belegen ja leider viele solcher Fälle."
Lukaschenko-Gegnerin ruft zu weiteren Protesten auf
In Belarus hält ein großer Teil der Bevölkerung die Lukaschenko-Gegnerin Swetlana Tichanowskaja für die eigentliche Siegerin der Wahl. Die Wahlkommission sprach ihr aber nur zehn Prozent der Stimmen zu. Ihre Unterstützer gehen von einem Sieg mit 60 bis 70 Prozent aus. Aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder ist die 37-Jährige ins benachbarte EU-Land Litauen geflüchtet.
In einer Videobotschaft rief sie zu neuen Protesten auf. "Lasst uns zusammen unsere Stimmen verteidigen." Am Wochenende sollten sich die Menschen in allen Städten zu friedlichen Massenversammlungen zusammenfinden. Sie schlug zudem die Gründung eines Koordinierungsrates vor, "um damit eine Machtübertragung sicherzustellen". Sie sei zum Dialog mit den Behörden bereit.
Nach Einschätzung von Beobachtern könnte ein flächendeckender Streik in den Betrieben Lukaschenko zu Fall bringen. Es mehren sich Stimmen von Experten, die meinen, dass seine Tage im Amt gezählt sein könnten. Innenminister Juri Karajew hatte sich im Staatsfernsehen bei den Bürgern für die Festnahme vieler Unschuldiger entschuldigt – auch das gilt in dem autoritär geführten Land als ungewöhnlich.
Wird Moskau vermitteln?
In Russland, das wirtschaftlich eng mit Belarus verbunden ist, wurden erste Rufe nach einer Vermittlerrolle Moskaus laut. Der russisch-belarussische Handelsrat forderte ein Ende des "sinnlosen Blutvergießens und der Gewalt gegen friedliche Bürger". Es müsse ein Komitee zur nationalen Rettung aus Intellektuellen und Wirtschaft gebildet werden. Russland gilt als das Land mit dem größten Einfluss in der Ex-Sowjetrepublik.
Ob auch Lukaschenko persönlich mit Sanktionen rechnen muss, blieb zunächst offen. Die Entscheidung über den betroffenen Personenkreis werde der Rat treffen, sagte Maas. Den Personen müssten "nachweisbar Verfehlungen zur Last gelegt werden können". Wichtig sei, dass es zu einem Dialog komme, das Wahlergebnis überprüft werde und alle Festgenommenen wieder freikämen.
2016 waren Sanktionen aufgehoben worden
Die EU hatte zuletzt im Februar 2016 ungeachtet der Kritik von Menschenrechtlern zahlreiche Sanktionen gegen den Machtapparat von Lukaschenko auslaufen lassen. Lediglich ein bestehendes Waffenembargo sowie Strafmaßnahmen gegen vier Belarussen, die am Verschwinden von Regime-Gegnern beteiligt sein sollen, wurden zuletzt noch aufrechterhalten.
Für Lukaschenko, 169 Gefolgsleute sowie drei Unternehmen bedeutete die EU-Entscheidung damals, dass von ihnen vorhandene Vermögen in der EU nicht mehr gesperrt werden konnten. Zudem wurden für sie sämtliche Reise- und Geschäftsbeschränkungen aufgehoben. Als einen Grund für die Lockerung der Sanktionen nannte die EU damals die Freilassung politischer Gefangener sowie die gewaltfrei verlaufene Präsidentenwahl im Jahr 2015.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages begrüßte, dass diese Entscheidung nun teilweise revidiert werden soll. Die geplanten neuen Sanktionen seien ein "wichtiges Zeichen für Solidarität mit den Demonstranten, die um Demokratie und Grundrechte in ihrem Land ringen", kommentierte der CDU-Politiker Norbert Röttgen.
- Nachrichtenagentur dpa