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Russlands Krieg in Kursk und Donezk: Militäranalyst im Interview


Militäranalyst Gady
"Dann könnte es gefährlich werden"

InterviewVon Marc von Lüpke

08.01.2025 - 11:12 UhrLesedauer: 5 Min.
Russische Artillerie: Die Ukraine führt im Raum Kursk derzeit Operationen durch.Vergrößern des Bildes
Russische Artillerie: Die Ukraine führt im Raum Kursk derzeit Operationen durch. (Quelle: Sergey Bobylev/imago-images-bilder)
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Stark rücken Russlands Truppen derzeit in Donezk vor, in Kursk hingegen greift die ukrainische Armee an. Was steckt dahinter? Militäranalyst Franz-Stefan Gady schätzt die Lage ein.

Kurz vor Donald Trumps Amtseinführung ist die Lage für die Ukraine brisant. Im Donezker Raum nehmen die russischen Truppen immer weiteres Gebiet ein, es ist unklar, was der neue US-Präsident für den Konflikt plant. Nun greifen ukrainische Truppen in Kursk an, wo Kiew einen kleinen Teil Russlands besetzt hält. Franz-Stefan Gady, Militärexperte und Autor des kürzlich erschienenen Buches "Die Rückkehr des Krieges. Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen" analysiert die Lage.

t-online: Herr Gady, die ukrainische Armee steht im Raum Donezk unter schwerem russischen Druck, zugleich ist sie nun an der Front in Kursk zum Angriff übergegangen. Warum?

Franz-Stefan Gady: Es scheint sich um einen lokal begrenzten Angriff zu handeln, um den Kursker Frontbogen besser abzusichern. Vor größeren Operationen würde ich aber eher abraten, denn die Front im südlichen Raum von Donezk ist keineswegs stabil. Seitens des ukrainischen Generalstabs müssen dennoch durchaus Überlegungen erfolgt sein, dass ein weiterer Angriff in Kursk möglicherweise Konsequenzen für den Raum in Donezk zeigen könnte.

Zur Person

Franz-Stefan Gady, Jahrgang 1982, ist unabhängiger Militäranalyst. Gady berät Regierungen und Streitkräfte in Europa und den USA unter anderem in Fragen der Zukunft der Kriegsführung. Gady war mehrfach in der Ukraine, in Afghanistan und im Irak, wo er jeweils ukrainische, afghanische Einheiten und Nato-Truppen sowie kurdische Milizen bei Einsätzen begleitet hat. Mit "Die Rückkehr des Krieges. Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen" ist im Oktober 2024 Gadys erstes Buch erschienen.

Welche könnten das sein? Will die Ukraine Donald Trump, der bald wieder ins Weiße Haus einzieht, demonstrieren, dass sie zu weiteren offensiven Operationen imstande ist?

Das könnte ein Grund sein. Ganz sicher soll der Frontbogen in Kursk nicht vor Trumps Inauguration am 20. Januar kollabieren. Zudem haben Akteure auf ukrainischer und zunehmend auch auf russischer Seite politisches Kapital in die Operationen rund um Kursk investiert. Die Ukraine hat den Krieg dadurch zumindest zum Teil auf feindliches Territorium ausgedehnt, Russland hingegen will die ukrainischen Truppen aus dem Kursker Raum nicht zuletzt aus propagandistischen Gründen vertreiben. Da steht viel auf dem Spiel. Die Ukraine hat sich aber wohl auch, wie bereits erwähnt, aus pragmatischen Gründen dort zum Angriff entschieden: Sie will ihre stark bedrängte Flanke dort sichern.

Wie ist die Lage in Kursk für die ukrainische Armee?

Die russischen Streitkräfte haben bereits mehr als 50 Prozent des Territoriums, das die Ukraine im Sommer eingenommen hat, zurückerobert – und das ohne größere offensive Operationen. Sie haben die ukrainischen Truppen einfach mit Feuerkraft und sukzessivem Druck nach und nach zurückgedrängt.

Die Ukraine will den winzigen Teil Russlands, den sie kontrolliert, also nicht kampflos aufgeben, auch in Hinsicht auf mögliche Verhandlungen in der Zukunft?

So ist es. Von einer Offensive in Kursk lässt sich derzeit übrigens kaum sprechen. Was wir in den letzten Tagen gesehen haben, geht nicht über den Angriff eines mechanisierten Bataillons hinaus, einzelne Operationen haben Zug- oder Kompaniestärke nicht überschritten. Größere Geländegewinne für die Ukraine scheint es ja auch nicht gegeben zu haben. Dagegen existieren Meldungen, dass die Russen wiederum erfolgreich Gegenangriffe durchführen konnten. Von einer größeren ukrainischen Offensive können wir also nicht ausgehen, auch wenn die Ukraine die Operation in Kursk im Rahmen ihrer Informationskriegsführung so bezeichnet.

Haben die Ukrainer derzeit überhaupt eine Chance auf Erfolg?

So etwas ist hochriskant. Die russischen Stellungen in Kursk sind gut ausgebaut, darüber hinaus macht es die Jahreszeit sehr schwer, derartige offensive Operationen zu tarnen, weil die Tarnmöglichkeiten begrenzter sind. Nicht zuletzt erschwert der Winter militärische Operationen grundsätzlich, bei gefrorenem Boden können sich die Soldaten etwa kaum eingraben. Bei weichem Boden und Regen bleiben die Fahrzeuge stecken. Sollte die russische Armee nun den ukrainischen Angriff abschlagen, dann könnte es gefährlich werden.

Weil die russischen Truppen in Kursk den Schwung nutzen könnten?

Genau. Das wäre der günstigste Moment zum sofortigen Gegenangriff, weil die ukrainischen Streitkräfte geschwächt wären. Aber nun müssen wir erst mal abwarten, welche Operationen in den nächsten Tagen auf russischer Seite stattfinden werden. Die Lage ist aber alles andere als harmlos. Man muss damit rechnen, dass die Russen die ukrainische Armee irgendwann in diesem Jahr aus Kursk vertreiben werden und dann ihrerseits in dem Raum eine militärische Präsenz auf der ukrainischen Seite etablieren. Die Ukraine will den Raum hingegen sicher möglichst lange auch in Hinsicht auf mögliche Verhandlungen halten.

Wie fügen sich die Ereignisse im Raum Kursk in die übrige Frontlage ein?

Von Kursk abgesehen, ist die derzeitige Lage an der Front mit der großen Ausnahme des südlichen Donezker Raums eigentlich stabil. Dort wiederum ist die Situation äußerst brisant: Die Russen erzielen sukzessive Geländegewinne, sie erobern nach und nach auch wichtige Stellungen und Ortschaften, es entsteht die Gefahr, dass sie in den nächsten Oblast eindringen. Die primäre Aufgabe der ukrainischen Armee besteht darin, dass dieser Teil der Front stabilisiert wird: Sie muss den Russen so große Verluste wie möglich in defensiven Operationen beibringen, gepaart mit Angriffen durch Präzisionswaffensysteme in die Tiefe.

Kann der Ukraine dieser Erfolg gelingen?

Im letztgenannten Bereich hat die Ukraine eine ihrer großen Erfolgsgeschichten vorzuweisen: Ihre Drohnenprogramme, aber auch andere Präzisionswaffen, wie Raketen und Marschflugkörper, können Ziele weit in Russland angreifen. Das bringt aber alles nichts, wenn die Front sich nicht stabilisieren lässt. Das hat oberste Priorität. Dabei kann der Westen der Ukraine nur bedingt helfen, weil der derzeit gravierendste Mangel auf ukrainischer Seite in Infanteristen besteht. Da sieht es katastrophal für die Ukraine aus. Sie braucht dringend 40.000 bis 50.000 neue Rekruten, die nicht in neu aufgestellte Brigaden gesteckt werden, sondern die bisherigen ausgebluteten an der Front auffüllen sollten, um so Rotationen von Einheiten zu ermöglichen.

Noch vor einem Jahr war die Überlegenheit der russischen Artillerie erdrückend. Wie sieht es in dieser Hinsicht aus?

In Sachen Artillerie ist die Situation günstiger für die Ukraine. Die Russen haben ihren großen Vorteil eingebüßt, den sie noch vor einem Jahr hatten. Teilweise gibt es im Moment sogar eine Parität bei der Artillerie und eine leichte ukrainische Überlegenheit bei den Angriffsdrohnen. Aber das hängt auch stark von weiteren westlichen Waffenlieferungen in den kommenden Monaten ab.

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Wie steht es um die russischen Reserven?

Die Russen können ihre Verluste noch ersetzen. Zurzeit setzt Russland massiv auf Donezk, um dort weiter vorzurücken. Aber ewig können sie so nicht weitermachen. In den kommenden Monaten – möglicherweise im Sommer – werden die Russen ebenfalls mit größeren personellen Problemen zu kämpfen haben. Beziehungsweise auch auf materieller Ebene nicht mehr imstande sein, das jetzige operative Tempo fortzusetzen.

Also bleibt es ein Spiel auf Zeit?

Ganz genau. Auch die russischen Ressourcen sind nicht unendlich. Das Problem der ausgehenden Reserven besteht darin, dass es auf ukrainischer Seite früher eintreten könnte, wenn jetzt nicht konkrete Schritte gesetzt werden. Vor allem die schon angesprochene Mobilisierung von 40.000 bis 50.000 zusätzlichen Soldaten im Alter von 18 bis 25 Jahren wäre auf ukrainischer Seite ein Weg, weiter durchzuhalten.

Herr Gady, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Franz-Stefan Gady via Telefon
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