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Krieg am Mittelmeer? Gas-Konflikt zwischen Griechenland und Türkei


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Griechisch-türkischer Gas-Konflikt
Krieg am Mittelmeer? Europa sitzt auf einem Pulverfass


Aktualisiert am 27.07.2020Lesedauer: 6 Min.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan: Er möchte, dass die Türkei an der Erdgasförderung im Mittelmeer beteiligt wird.Vergrößern des Bildes
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan: Er möchte, dass die Türkei an der Erdgasförderung im Mittelmeer beteiligt wird. (Quelle: t-online)
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In der Ägäis stehen sich türkische und griechische Kriegsschiffe gegenüber. Es ist eine neue Eskalation im Gas-Konflikt, in dem es eigentlich gar nicht um Gas geht. Droht ein Krieg mitten in Europa?

Großalarm am Montag in der Ägäis. 15 türkische Kriegsschiffe laufen aus Marinehäfen aus, sie eskortieren das türkisches Forschungsschiff "Oruc Reis", welches seismische Untersuchungen südlich der griechischen Inseln Rhodos und Kreta vornehmen solle. Der Verband wird am Dienstag von Kriegsschiffen der griechischen Marine abgefangen. Türkische und griechische Kriegsschiffe stehen sich gegenüber, türkische F-16-Kampfjets donnern über die Ägäis. Auch das griechische Heer auf dem Festland wird in Alarmbereitschaft versetzt.

Eine weitere Eskalation zwischen den beiden Nato-Mitgliedsländern bleibt aus, am Ende ziehen sich die türkischen Schiffe zurück. Doch seit diesem Vorfall schauen viele Menschen in Europa nun auf einen langen, eigentlich längst vergessenen Konflikt. Die Angst vor Krieg wächst.

Der Vorfall in der vergangenen Woche war eine neue Eskalationsstufe im Gas-Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei. Die Situation war so ernst, dass Kanzlerin Angela Merkel laut Angaben des Kanzleramtes mit dem griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis und mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan telefonierte. Ihr Ziel: Deeskalation.

Erdogans Kanonenboot-Politik ist ein gefährliches Spiel mit einem Streichholz an einem Pulverfass. Der Gas-Streit zwischen den EU-Mitgliedern Zypern und Griechenland sowie der Türkei dauert an, seitdem im Jahr 2010 Erdgas im östlichen Mittelmeer entdeckt wurde. Die bislang entdeckten Quellen sind vergleichsweise klein, es geht eher um ein politisches Kräftemessen, um Einfluss in der Region.

Dabei gibt es drei Gründe, warum der Streit seit Jahren immer wieder zu militärischem Säbelrasseln führt und warum er nur sehr schwer zu lösen ist:

1. Die ungelöste Zypern-Frage

Eine Beilegung des Gas-Streits kann eigentlich nur durch eine Lösung des Zypern-Konfliktes erfolgen. Aber die Weltpolitik blickt schon seit Jahren nicht mehr auf die seit 1974 geteilte Insel, alle Versuche einer möglichen Wiedervereinigung sind gescheitert. Der Norden, knapp ein Drittel der Insel, wird von türkischen Zyprioten regiert, der südliche Teil dagegen von griechischen Zyprioten.

Aber das bisherige Scheitern der Wiedervereinigung liegt nicht am Erbe des blutigen Kriegs von vor 56 Jahren. Zuletzt lehnte im Jahr 2004 eine Mehrheit von 76 Prozent der griechischen Zyprioten in einem Referendum eine Wiedervereinigung ab – aus Angst vor ökonomischen Problemen bei der Aufnahme des wirtschaftlich schwächeren Nordens. Knapp 65 Prozent der türkischen Zyprioten stimmten hingegen für die Wiedervereinigung.

Die Teilung Zyperns bringt vor allem völkerrechtliche Probleme mit sich. Die internationale Gemeinschaft erkennt die Türkische Republik Zypern nicht an, weil die Abspaltung im Jahr 1984 laut Mehrheitsbeschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nicht mit dem Völkerrecht vereinbar war. Das gesamte Inselgebiet wird demnach völkerrechtlich der Republik Zypern zugesprochen, nur die Türkei erkennt Nordzypern an.

Das ist der Grund, warum die Republik Zypern laut Völkerrecht eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) um die gesamte Insel für sich proklamieren kann, das schließt auch die möglichen Gasquellen mit ein. Die Türkei erkennt diese Wirtschaftszone nicht an, weil sie ihre eigenen und die Interessen der türkischen Zyprioten bedroht sieht. Ein diplomatischer Vorstoß aus den Reihen der EU, der auch Nordzypern Teile der Gas-Erlöse zusprach, wurde vom griechischen Teil abgelehnt. Die Türkei beharrt darauf und will bis dahin die Erdgasbohrungen vor Zypern fortsetzen.

2. Inseln in der Ägäis

Auch in der Ägäis – also dort, wo sich türkische und griechische Kriegsschiffe gegenüberstanden – gibt es Streit um die Festlegung der Wirtschaftszonen. Aus griechischer Sicht gehören die Gewässer um Inseln wie Kreta zur Wirtschaftszone des eigenen Landes – für die Türkei haben aber die Inseln lediglich Hoheitsgewässer.

Auch dieses Problem ist geschichtlich erwachsen. So befindet sich beispielsweise die Insel Kastelorizo nur drei Kilometer vom türkischen Festland entfernt, bis zum Ersten Weltkrieg gehörte sie zum Osmanischen Reich – heute jedoch zu Griechenland. Für Athen sind die Gewässer in einem großen Radius um die fast menschenleere Insel Teil des griechischen Wirtschaftsraums, Ankara wertet das als Affront.

3. Die Türkei als Energieknotenpunkt

Letztlich sieht Erdogan auch ein lukratives Geschäft für sein Land im Transport und in der Förderung von Erdgas. Dafür machte er Russland Avancen, eine russisch-türkische Pipeline soll von Russland durch die Türkei nach Europa führen.

Anfang 2019 gefährdeten Ägypten, Israel und Zypern diesen Plan, als sie bei einer Gas-Konferenz in Kairo die Fördergebiete im Mittelmeer unter sich aufteilten, Ankara blieb außen vor. Das Gas von der zypriotischen Küste sollte beispielsweise in Ägypten verflüssigt und dann über Griechenland, an der Türkei vorbei, nach Europa befördert werden.

Erdogans Gas-Pläne drohten zu scheitern und er begann im Mittelmeer zunehmend Tatsachen zu schaffen, um der Türkei einen Platz am Verhandlungstisch zu sichern. Auch deshalb schloss er mit der libyschen Regierung in diesem Jahr ein Abkommen über eine gemeinsame Gasförderung ab und sicherte im Gegenzug türkische Unterstützung im Bürgerkrieg zu.

Erdogan sucht Konflikte

Das waren die geschichtlichen und politischen Ursachen für den aktuellen Konflikt, es gibt aber auch Ursachen, die nicht direkt mit der Gasförderung oder mit einem territorialen Streit zu tun haben. Denn Erdogan sucht nach außenpolitischen Konflikten, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Dieses Vorgehen ist nicht neu, es hat diesmal nur einen anderen Grund: Die Türkei hat, auch durch die Corona-Krise, schwere wirtschaftliche Probleme, die Lira ist momentan auf einem Rekordtief. Verantwortlich dafür wird in der Türkei auch Erdogan gemacht.

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Der türkische Präsident will sich deshalb der Bevölkerung als der Verteidiger der Türkei und der Muslime im Streit mit dem christlichen Ausland präsentieren. Dafür suchte er in diesem Jahr, wie schon oft, den Konflikt mit der EU und vor allem mit Griechenland. So ließ er beispielsweise im März Flüchtlinge an die türkisch-griechische Grenze bringen – als Druckmittel. Das führte zu schweren Verwerfungen mit den griechischen Nachbarn.

Aber auch die große Inszenierung der Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul zu einer Moschee folgt der gleichen politischen Logik. Es war eine Provokation gegenüber Griechenland, die griechisch-orthodoxe Kirche bezeichnete die Umwandlung als "Schändung". Aber auch aus Russland kam Ablehnung, die russisch-orthodoxe Kirche genießt in der russischen Bevölkerung einen hohen Stellenwert, auch bei Präsident Wladimir Putin. Diese Konflikte sind das Feigenblatt für die wirtschaftlichen Probleme, die sich gegenwärtig eher noch verschärfen.

Wie groß ist die Kriegsgefahr?

Aber Erdogans Strategie wirkt in Teilen der türkischen Bevölkerung: Innenpolitisch erfährt er für seine konfliktgeladene Außenpolitik viel Zuspruch, aber außenpolitisch gehen der Türkei dafür langsam die Verbündeten aus.

Das wird zum Problem, denn Ankara ist besonders in dieser Zeit stark auf Verbündete angewiesen. Einerseits wegen der globalen Corona-Krise, andererseits weil die Türkei aktuell in Syrien, in Libyen und gegen die kurdische Miliz PKK im eigenen Land Krieg führt.

Die gegenwärtigen Krisen – und besonders wirtschaftliche Probleme – sind aber auch der Grund, warum weder die Türkei noch Griechenland aktuell einen Krieg gegeneinander führen wollen. Trotzdem ist das militärische Säbelrasseln ein Pulverfass, das bei einer falschen Entscheidung explodieren kann. Eine Lösung für die verzwickte Situation kann nur auf diplomatischen Weg erfolgen, jedoch gibt es kaum Vermittler, die für beide Seiten als glaubwürdig erscheinen.

Die EU steckt diplomatisch in einem Dilemma, denn sie muss Solidarität mit den EU-Mitgliedern Zypern und Griechenland demonstrieren. Deshalb gibt es aus der EU kaum Lösungsstrategien, die auf einen Interessensausgleich zwischen den Konfliktpartnern abzielen. Stattdessen richten die EU-Staats- und Regierungschefs meist nur Warnungen in Richtung Ankara, die aber von der türkischen Regierung meist überhört werden.

Deutschland hat wichtige Rolle als Vermittler

Beispiele dafür gab es vergangene Woche immer wieder: Der französische Präsident Macron fordert als Reaktion auf die erneute Eskalation Sanktionen gegen die Türkei. Diese Sanktionen haben meist keinen Effekt, aber Macron will damit ein Zeichen für seinen Führungsanspruch innerhalb der EU setzen – eine Führung, die er nach dem Rückzug von Kanzlerin Merkel übernehmen möchte. Aber Strafmaßnahmen werden den Konflikt nicht lösen, im Gegenteil.

Die USA dagegen haben unter US-Präsident Donald Trump kein Interesse an dem Gas-Konflikt im Mittelmeer, obwohl sie innerhalb der Nato Druck auf beide Länder ausüben könnten. Aber Washington braucht die Türkei, um den Einfluss Russlands im Mittelmeer nicht größer werden zu lassen. Das hat für die US-Regierung eine höhere Priorität. Dabei war es der damalige US-Präsident Bill Clinton, der im Jahr 1996 zum Hörer griff und einen Krieg zwischen der Türkei und Griechenland verhinderte – auch damals standen sich Kriegsschiffe beider Seiten gegenüber.

Knapp 24 Jahre später war die Situation ähnlich, aber diesmal telefonierte Angela Merkel, um im Angesicht einer zugespitzten Lage zu vermitteln. Als Vermittler kam diesmal nur die Kanzlerin infrage. Deutschland hat seit Anfang Juli die EU-Ratspräsidentschaft und gleichzeitig zu beiden Konfliktpartien intensive diplomatische Beziehungen. Und Merkel persönlich hat gegen Ende ihrer Kanzlerschaft keine machtpolitischen Ambitionen innerhalb der EU mehr. So konnte diesmal Deutschland als Vermittler dabei helfen, einen griechisch-türkischen Krieg – mitten in Europa – zu verhindern. Einen Krieg, den eigentlich Niemand will.

Verwendete Quellen
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