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Russland, China und die USA unter Trump: Politologe im Gespräch


Politologe Herfried Münkler
"Dazu ist Putin viel zu clever"

InterviewVon Marc von Lüpke

12.03.2025 - 11:56 UhrLesedauer: 8 Min.
Donald Trump und Wladimir Putin: Russland wird sich von den USA nicht gegen China in Stellung bringen lassen, sagt Herfried Münkler.Vergrößern des Bildes
Donald Trump und Wladimir Putin (Montage): Russland wird sich von den USA nicht gegen China in Stellung bringen lassen, sagt Herfried Münkler. (Quelle: Artem Priakhin/imago-images-bilder)
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Europa befindet sich in Gefahr: Die USA wenden sich ab, Russland ist aggressiv. Herfried Münkler hat lange vor dieser Entwicklung gewarnt. Im Interview erklärt der Politologe, was nun getan werden muss.

Die alte Weltordnung war ohnehin in Auflösung begriffen, nun hat ihr Donald Trump einen weiteren Schlag versetzt: Unter seiner Führung wenden sich die USA weiter von Deutschland und Europa ab – und das in einer Zeit, in der Russland sein Imperium mit Gewalt restaurieren will. In der neuen Weltordnung zählt nur noch Macht, sagt Herfried Münkler, der zu den renommiertesten Politologen Deutschlands zählt.

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Warum kommt ein Friede für Wladimir Putin kaum infrage? Weshalb lässt Donald Trump eine Strategie vermissen? Was könnten Deutschland und Europa tun, um von den anderen großen Mächten ernst genommen zu werden? Diese Fragen beantwortet Herfried Münkler, Autor des Buches "Macht im Umbruch", im Gespräch.

t-online: Professor Münkler, die USA zeigen Europa die kalte Schulter, Donald Trump macht stattdessen Wladimir Putin im Kreml Avancen. Haben die Europäer das Zeug, ihren Kontinent allein verteidigen zu können?

Herfried Münkler: Warum sollten sie dazu nicht imstande sein? Das russische Bruttoinlandsprodukt bewegt sich auf dem Niveau Spaniens. Wenn wir das nicht übertreffen können, dann sieht es für Europa düster aus. Die Gefahr lauert in der Unentschlossenheit der Europäer, egal, was Donald Trump und Wladimir Putin nun in Sachen Ukraine aushecken.

Inwiefern?

Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt, Putin bleibt gar nichts anderes übrig, als weiter Krieg zu führen. Denn der Weg zurück zur Friedensökonomie ist ihm verstellt: Was hätte Putin davon, wenn er den Krieg jetzt beenden würde? Es müsste nicht nur eine Million an Veteranen versorgt werden, die Umstellung der Wirtschaft von Krieg auf Frieden hätte eine tiefe ökonomische Krise in Russland zur Folge. Rund 35 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts gehen mittlerweile ins Militärwesen und in die Rüstungsindustrie. Das umzustellen gehört zu den Momenten, in denen Regime ins Wanken geraten. Putin weiß das und wird sich auf ein solches Risiko nicht einlassen.

Zur Person

Herfried Münkler, Jahrgang 1951, lehrte bis zu seiner Emeritierung 2018 Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der vielfach ausgezeichnete Politologe ist Autor zahlreicher Bücher, darunter "Welt in Aufruhr: Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert". Gerade erschien Münklers neuestes Buch, "Macht im Umbruch: Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts".

Ebenso weiß Putin, dass der transatlantische Westen im Zerfall begriffen ist. Worin liegen die tieferen Gründe für die Abkehr der USA von Europa?

Ein Gefühl der Überforderung, ja, auch ein Gefühl der Erschöpfung, hat sich in den Vereinigten Staaten ausgebreitet. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die USA die regelbasierte liberale Weltordnung gestützt und garantiert. Damit ist unter Trump Schluss. Aus der zunehmenden Überzeugung, ein Empire im Niedergang zu sein, hat sich der Wunsch nach einer Rückkehr zu den Zeiten entwickelt, als die USA nicht nur das reichste Land des Globus waren, sondern auch das unangefochten mächtigste.

Das Ergebnis dieses Wunsches ist Donald Trump, der die amerikanischen Verbündeten brüskiert und mit seinen wirtschaftspolitischen Maßnahmen wie Strafzöllen eine Rezession riskiert?

So paradox es auch klingt. Trump sägt an der Machtbasis der USA. Wohin es letztlich führen wird, bleibt ungewiss. Niemand sollte aber Hoffnungen hegen, dass nach Trump eine Rückkehr zur liebgewonnenen Zeit vor Trump möglich sein wird. Die Zeiten haben sich geändert. Während die alte Weltordnung regelbasiert war, gilt nun eine andere Währung: die der Macht.

Ihr neues Buch trägt entsprechend den Titel "Macht im Umbruch" und beschäftigt sich mit der Verantwortung und den Möglichkeiten Deutschlands, zusammen mit Europa in dieser Zeit geopolitischer Herausforderungen zu bestehen. Wie stehen wir gerade da?

Anfang März haben sich europäische Staats- und Regierungschefs in London zusammen mit den Spitzen von EU und Nato getroffen. Es ging nach der Demütigung Wolodymyr Selenskyjs durch Trump und J. D. Vance im Oval Office selbstverständlich vor allem um die Lage in der Ukraine. Wissen Sie, wo Olaf Scholz auf dem Abschlussfoto stand? Hinten in der letzten Reihe.

Deutschland fühlte sich doch lange Zeit an dieser Position in Europa wohl. Die Übernahme direkter Führung hat die Bundesrepublik eher vermieden.

Das ist richtig. Deutschland hatte es sich in der Rolle einer indirekten Einflussnahme aus dem politischen Rückraum bequem gemacht, viel zu bequem. Aber die gemütlichen Zeiten sind vorbei. Das können wir uns nicht mehr leisten, nun braucht es Führung von vorn.

Das scheinen auch Union und SPD verstanden zu haben, es sollen gewaltige Milliardenpakete für Verteidigung und Infrastruktur geschnürt werden. Vorausgesetzt, es findet sich die Zustimmung der Grünen im Bundestag.

Man hätte früher darauf kommen können, dass umfassende Investitionen nötig sind. So wie es jetzt operativ aufgesetzt worden ist, war es unglücklich, weil es Friedrich Merz als Wortbruch ausgelegt werden kann. Was jetzt wie ein Paukenschlag daherkommt, ist zudem kommunikativ überhaupt nicht vorbereitet worden. Elementare Bestandteile der Landesverteidigung – das Wort "Kriegstüchtigkeit" will ich gar nicht an dieser Stelle verwenden – fehlen. Es mangelt an Transportmöglichkeiten für Panzer in Form von Tiefladern und Brücken, die derartige Gewichte überhaupt noch aushalten. Da wartet eine Menge Arbeit, um Europa und in seinem geografischen Zentrum Deutschland durchhaltefähig zu machen.

Auch die Panzer selbst sind Mangelware, von modernen Waffensystemen wie Kampfdrohnen noch zu schweigen.

Spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hätte die Ampelregierung die Produktion von Kampfpanzern, Schützenpanzern, Panzerhaubitzen und anderem Kriegsgerät auf industrielle Produktion umstellen müssen. Stattdessen wurde da weiterhin eher auf Basis und im Umfang einer Manufaktur produziert. Was die Kampfdrohnen betrifft: Schon vor rund zehn Jahren habe ich empfohlen, dass die Bundeswehr Kampfdrohnen anschaffen müsste, weil die deutsche Armee sonst auf keinem Gefechtsfeld mehr bestehen könne. Dieser Ratschlag wurde zunächst von bestimmten Leuten aus der Politik gut aufgenommen. Dann aber kamen am nächsten Tag die Demoskopen ins Haus und erklärten, dass die Bevölkerung in Sachen Kampfdrohnen ausgesprochen skeptisch sei. Das war es dann.

Wir standen am 24. Februar 2022 ziemlich "blank" da, heute ist es nicht viel besser.

Die deutsche Politik – teils auch die europäische Politik insgesamt – war durch einen geringen Weitblick geprägt. Es herrschte ein naives Vertrauen: Die Amis würden das schon machen, wie sie es in der Vergangenheit immer wieder getan hatten. Der Gedanke, dass die USA dieser Rolle irgendwann überdrüssig werden könnten, wurde nicht zugelassen.

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Nur haben die USA bereits unter Barack Obama die Europäer darauf hingewiesen, dass sich ihr Interesse mehr und mehr dem indopazifischen Raum zuwendet.

Immer wieder wurde hierzulande auch über eine strategische Autonomie Europas geredet, aber das waren semantische Manöver, denen keine Taten folgten. Der politische Scheck war nicht von der Realität gedeckt, so lässt es sich zusammenfassen. Nun haben wir den Schlamassel.

Deutschland und Europa lösen sich nur durch äußeren Druck aus ihrer selbstgewählten Schockstarre. War der Schock durch Trumps rücksichtslose Exekution von "America First" nun ausreichend, nachdem der russische Überfall 2022 mehr Rhetorik denn Taten ausgelöst hat?

Das ist zu hoffen. Die erste "Zeitenwende" durch den russischen Überfall im Februar 2022 war noch die Reaktion auf ein regional überschaubares Ereignis. Was wir jetzt erleben, ist die "Zeitenwende 2.0": die Auflösung des transatlantischen Westens als geopolitisch herausgehobener Akteur. Nun wird es wirklich ernst. Die Zeiten sind vorbei, in denen deutsche Politiker erklären konnten, dass sie am liebsten von hinten führen, und zwar durch das Schmieden von Kompromissen.

Haben Sie Hoffnung, dass die deutsche politische Klasse diesen Mentalitätswechsel bewerkstelligt?

Sie täte gut daran. Sonst haben wir ein massives Problem. Die deutsche politische Kultur und die Parteien sind recht versiert darin, Taktiker hervorzubringen, die kurzfristige Erfolge erzielen wollen. Doch nun brauchen wir Strategen, die langfristig denken, denn die Macht verlagert sich kolossal in globaler Dimension. Die politische Entschlossenheit, die es nun braucht, benötigt zudem eine gewisse gesellschaftliche Geschlossenheit. Bislang hat es die Politik nicht hinbekommen, die deutsche Bevölkerung auf das Projekt Zukunft unter diesen dramatischen Veränderungen im globalen Machtgefüge vorzubereiten. Jetzt kommt es auf die neue Bundesregierung an.

Video | Donald Trump kauft Auto vor dem Weißen Haus
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Quelle: t-online

Wir profitierten über Jahrzehnte von der seitens der USA etablierten regelbasierten Weltordnung. Nun zertrümmert Donald Trump sie mit territorialen Forderungen an Kanada und Grönland. Können Sie irgendeine Form von geopolitischer Strategie bei ihm ausmachen?

Trump hat es nicht so mit Strategie. Denn strategische Überlegungen wären eine Beschränkung dessen, was er anstrebt: "Deals". Die Demütigung Selenskyjs, die offensichtlich kalkulierte Aufgabe und Preisgabe der Ukraine als Zeichen an Moskau, deuten auf eine gezielte Umwerbung Russlands zulasten Chinas hin. Allerdings stellt sich Trump so ungeschickt und tollpatschig an, dass er am Ende Europa als Verbündeten gegen China verliert. Und die Russen werden Trump sicherlich nicht in einen Konflikt mit China folgen, dazu ist Putin viel zu clever.

Sieht sich Trump in umgekehrter Weise auf den Spuren des früheren US-Präsidenten Richard Nixon und seines Außenministers Henry Kissinger, der einst die Annäherung zwischen den USA und China zum Nachteil der Sowjetunion einleitete?

Zwischen Trump heute und Nixon damals besteht ein großer Unterschied: Die Chinesen aus dem sozialistischen System herauszubrechen, war gut vorbereitet, geschickt eingefädelt und klug gemacht. Trump ist ziemlich ungeschickt. Wenn er die Mittel- und Südamerikaner weiter mit seiner aggressiven Zollpolitik- und Immigrationspolitik traktiert, darf er sich nicht wundern, wenn dort demnächst überall China präsent sein wird. Eine Art geopolitische Rationalität lässt sich im besten Fall noch bei Grönland erkennen.

Welche ist das?

Es existiert das geopolitische und geostrategische Prinzip der Kontrolle der Gegenküste, das die USA lange Zeit praktiziert haben. Das hat Trump mit Europa nun über Bord geworfen. Da der transatlantische Westen – bestehend aus der Partnerschaft zwischen den USA und Europa – Geschichte sein dürfte, mag ihm die Kontrolle Grönlands vernünftig erscheinen. Bald könnte er auch noch Island wollen. Die Aufgabe Europas ist allerdings ziemlich kurzsichtig, auch weil sich die USA damit der Fähigkeiten berauben, im Nahen und Mittleren Osten wie in Nordafrika in irgendeiner Weise präsent zu sein.

Wird Trump die USA aus der Nato führen?

Trump braucht die Nato gar nicht formell zu verlassen. Allein, dass er sie so offen infrage stellt, hat zur Folge, dass der transatlantische Westen nicht mehr existiert. Das ist eigentlich mehr als eine "Zeitenwende", Joschka Fischer hat es mit dem Begriff "Zeitenbruch" sehr viel besser erfasst.

Was zeichnete die Nato und den transatlantischen Westen aus?

Die Nato bestand mit Mitgliedern wie den einige Zeit diktatorisch regierten Ländern Portugal und Griechenland nicht nur aus demokratischen Staaten, aber die Mehrheit der Mitglieder hatte doch eine gewisse gemeinsame Vorstellung von pluraler Partizipation und Rechtsstaatsbindung. Das hat J. D. Vance auf der Sicherheitskonferenz im Februar aufgekündigt. Dazu kam die Dimension des geopolitischen Raums um den Nordatlantik. Drittens zirkulierte über diesen ein Kreislauf an Gütern und Kapitalien, den Trump mit Zollandrohungen und vermutlich demnächst mit der Verhängung von Strafzöllen oder Schutzzöllen zerstört.

In ihrem Buch "Welt in Aufruhr" prognostizieren Sie, dass mit den USA, Russland, China, Indien und möglicherweise Europa in Zukunft fünf Großmächte den Globus dominieren werden. Werden die Europäer nach Trumps Abkehr nun den Anschluss in diese Gruppe finden?

Es gibt mittlerweile ein paar ermutigende Signale aus europäischen Hauptstädten. Trotz des Brexits rückt Großbritannien wieder näher an den Kontinent, Frankreich diskutiert über die Ausweitung seines nuklearen Schutzschirms. Das sind erste Schritte, es fehlt aber noch viel. Deutschland muss nun liefern und eine europäische Koalition der Willigen mitformieren. Global kristallisiert sich eine neue Pentarchie heraus, eine Herrschaft von fünf Mächten, wie es im Europa des 18. und 19. Jahrhundert der Fall gewesen ist. Warum sollten Deutschland und Europa dort nicht auf der Suche nach Partnern gehen, die in bestimmten Gebieten die gleichen Interessen hegen?

Wer schwebt Ihnen vor? Innerhalb des Systems der Pentarchie waren Frankreich, Russland, Großbritannien und Preußen wie Österreich stets drauf bedacht, keine Macht zu stark werden zu lassen, um das Gleichgewicht nicht zu stören.

China ist zwar ein aufdringliches Imperium, es ist aber eher in Sachen Wirtschaft aufdringlich. Wenn die USA zu handgreiflich werden, könnte China aus offensichtlichen Gründen bei der Herstellung eines Gleichgewichts helfen.

Nun ist China aggressiv gegenüber dem demokratischen Taiwan und begeht systematische Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang.

Die alte regelbasierte Weltordnung ist dahin, jetzt zählt offensichtlich nur noch Macht. Und diese Macht haben wir in Form der Unterstützung durch die USA verloren. In der Geopolitik gibt es keine Freundschaft, sondern nur Interessen. Das können wir bedauern, aber wir können es nicht ändern. Der einzige Weg besteht darin, dass Europa schnell zu einem ernstzunehmenden globalen Akteur wird. Dann können wir mitbestimmen, welche Regeln gelten sollen im Spiel der Großmächte. Wenn Europa an dieser Aufgabe scheitert, dann entscheiden Amerikaner, Russen und Chinesen für uns.

Professor Münkler, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Herfried Münkler in Berlin
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