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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Konflikt zwischen USA und Iran Die Rache des Toten
Der Tod des iranischen Generals Soleimani wird zum strategischen Desaster für Donald Trump. Der US-Angriff stärkt vor allem antiamerikanische Kräfte in der Region. Auch Deutschland verliert an Glaubwürdigkeit.
Die Wut liegt auf der Straße. Nach dem US-Raketenangriff und dem Tod von Ghassem Soleimani demonstrieren seit dem Wochenende Hunderttausende Menschen im Iran gegen die USA. Am Dienstag kommen während der Beisetzung des getöteten iranischen Generals bei einer Massenpanik sogar Dutzende Menschen ums Leben. Der Iran ist im Ausnahmezustand. Die Trauer eint das Land.
Das iranische Staatsfernsehen setzt die Trauerbilder in Szene und schickt sie um die Welt. Viele Menschen halten Fotos des getöteten Generals in die Luft. Es fließen Tränen. Auf vielen Spruchbändern wird Soleimani als Kriegsheld gefeiert. "Sein Kampf geht weiter" ist hier zu lesen. Im iranischen Fernsehen kommen Menschen zu Wort, die Rache und Krieg gegen die USA fordern und Donald Trump für "verrückt und unzurechnungsfähig" erklären. Der Iran inszeniert sich als Opfer der gewaltsamen US-Politik und dies verfängt in der gesamten Region.
Trump fährt Nahostpolitik vor die Wand
Seit dem Angriff überschlagen sich vielerorts die Ereignisse. Während die Iraner trauern, erweist sich das Attentat für US-Präsident Donald Trump als schwerer strategischer Fehler. Die Vergeltung des Iran hat längst begonnen, ausgerechnet der Tod Soleimanis macht es nun wahrscheinlicher, dass die Lebensziele des Generals Realität werden können: einem größeren Einfluss des Iran in der Region und einem Rückzug der USA. Am Ende könnte die Rache des Generals aus dem Grab erfolgen – auch ohne Krieg. Trump dagegen hat die Nahostpolitik der westlichen Bündnispartner strategisch vor eine Wand gefahren, und trotzdem äußern die Verbündeten ihre Kritik nur hinter vorgehaltener Hand. Dies spiegelt auch die aktuelle Hilflosigkeit der deutschen Außenpolitik wider.
Denn die Zeiten scheinen vorbei, in denen sich ein deutscher Außenminister klar gegen bestimmte Auswüchse der US-Außenpolitik positionierte. Damals war es Joschka Fischer, der vor fast genau 17 Jahren auf der Münchener Sicherheitskonferenz einer möglichen deutschen Teilnahme am Irakkrieg eine Absage erteilte, die USA öffentlich kritisierte.
Mutloser Außenminister Maas
Als es in München im Jahr 2003 um Krieg und Frieden ging, wurde von den Entscheidungsträgern nicht geschauspielert oder versucht, Kritik diplomatisch zu verpacken. Es standen sich das Konzept der militärischen Stärke (USA) und das Konzept der politischen Visionen (Deutschland) unvereinbar gegenüber, ein Konflikt, der bis heute anhält. Auf der Sicherheitskonferenz kommt es zum Showdown zwischen Fischer und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. "Sind wir schon am Ende aller friedlichen Mittel angekommen?", fragte Fischer. Die USA führen als Kriegsgrund an, dass der damalige irakische Machthaber Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen habe. Eine Behauptung, die schlichtweg erfunden ist. Als Fischer in seiner Rede zu den Massenvernichtungswaffen kam, wird seine Stimme zittrig, er wechselt ins Englische: "Excuse me, I'm not convinced" (Deutsch: Entschuldigen Sie, ich bin nicht überzeugt).
Diese Worte gingen als deutsche Kriegsabsage in die Geschichte ein, es war der wichtigste Moment in der politischen Karriere des Joschka Fischer.
Aber auch heute hat Deutschland einen Konflikt mit den USA, auch heute geht es um die Golfregion und den Einsatz von militärischer Gewalt. Doch während US-Präsident Trump mit der Tötung von Soleimani und des irakischen Offiziers nicht nur gegen das Völkerrecht verstößt, sondern dadurch die komplette westliche Strategie in der Golfregion verwirft, vermeidet der deutsche Außenminister Heiko Maas öffentliche Kritik am Bündnispartner. "Ich glaube nicht, dass das, was nun geschieht, im Interesse der USA ist", sagt Maas am Montagabend in den "Tagesthemen" der ARD.
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Trumps Scherbenhaufen
Die Bundesregierung vermeidet, ähnlich wie die Europäische Union, direkte Kritik am Vorgehen des US-Präsidenten. Und während Trump die Situation mit jedem Beitrag auf Twitter weiter verschlimmert, gibt sich die EU tatenlos, aus Furcht vor der Unberechenbarkeit des US-Präsidenten.
Doch diese Tatenlosigkeit reicht bis zur Nato und bis zu Trumps Kabinett in den USA. Es sind aktuell meistens US-Außenminister Mike Pompeo und US-Verteidigungsminister Mark Esper, die den Scherbenhaufen hinter dem wütenden Trump auffegen müssen. Trump drohte offen damit, irakische Kulturstätten zu zerstören. Pompeo und Esper wiesen sehr vorsichtig darauf hin, dass das nicht legal sei. Auch die weitere Stationierung von US-Truppen gegen den Willen der irakischen Regierung wäre nicht völkerrechtskonform.
Die unüberlegten Schnellschüsse des US-Präsidenten stärken vor allem den Iran in der Region. Teheran muss im Moment keine militärischen Ziele der USA angreifen, um Vergeltung zu üben und den Einfluss der Amerikaner zurückzudrängen. Das iranische Regime weiß, dass es militärisch den Vereinigten Staaten weit unterlegen ist. Ihr wichtigstes Instrument gegen die USA in der Region ist deshalb der Antiamerikanismus. Spätestens seit dem zweiten Golfkrieg und der Beseitigung Saddam Husseins haben die USA bei vielen Menschen in der Region keine Glaubwürdigkeit mehr. Dazu kommen viele gläubige Muslime, die die Anwesenheit von US-Soldaten beispielsweise im Irak als Entweihung des heiligen Bodens betrachten.
Trumps Politik ist Wasser auf die Mühlen der Strategen des Iran, die, ähnlich wie Soleimani, in den Nachbarländern Gruppierungen unterstützen, die antiamerikanisch eingestellt sind. Im Irak gibt es beispielsweise viele Menschen, die in den Golfkriegen Angehörige verloren haben, viele von ihnen machen dafür bis heute die USA verantwortlich. Der Hass ist in vielen Fällen tief verwurzelt. Um ihn zu kanalisieren, braucht es gelegentlich nur einen Funken – wie die Tötung eines iranischen Generals in Bagdad. Bei dem Anschlag starb ebenso ein hoher irakischer Offizier, was viele Iraker zusätzlich verärgert.
Doch auch die weiteren Folgen der Tötung von Soleimani hatte Trump offenbar nicht vorausgesehen. Sie sind nicht im Interesse der USA oder der westlichen Gemeinschaft:
1. Einigkeit im Kampf gegen die USA
Vor dem Angriff auf Soleimani gab es im Irak und im Iran Proteste. Im Iran demonstrierten viele Menschen gegen das Regime, im Irak wehrten sich Tausende gegen den Einfluss des Iran auf die Regierung. Mit dem Angriff sind beide Bewegungen vorerst Geschichte.
Bei den Trauerfeierlichkeiten für Soleimani stehen Teile der Anhänger und Gegner der iranischen Führung erstmals seit Jahren wieder in aller Öffentlichkeit Seite an Seite. "Das hat mit Politik nichts zu mehr zu tun ..., es war ein Schlag gegen einen von uns", sagt der 26 Jahre alte Student Ehsan der dpa. Mit dem islamischen Regime hat Ehsan nichts am Hut, genauso wenig mit den Revolutionsgarden und der Al-Kuds-Einheit. "Aber so etwas regeln wir unter uns ..., die Amerikaner geht das nichts an", fügt er hinzu.
Noch im November kam es wegen der Erhöhung der Benzinpreise im Iran Zu Gewalt mit Todesopfern. "Anders als von den Amerikanern gedacht führte der Tod von General Soleimani zur Solidarität innerhalb der iranischen Bevölkerung", sagt Präsident Hassan Ruhani.
Auch Menschen, die eigentlich nichts gegen die USA und die Amerikaner haben, skandierten lautstark "Tod den USA". "Dieser Trump ist ein Vollidiot," sagte eine 39-Jährige. Der US-Präsident habe kein Recht, in einem anderen Land einen iranischen Soldaten zu töten, nur weil dieser andere Interessen verfolge als das Weiße Haus.
Diese Protestwellen erschüttern Teile der arabischen Welt. Auch im Libanon, in Palästina und im Irak gibt es Demonstrationen gegen die USA.
2. Trump treibt den Irak in die Arme des Iran
Vor der Tötung Soleimanis stand der Irak am Scheideweg. Das Land war gespalten und viele Menschen begrüßten den wachsenden Einfluss des Iran nicht, den Teheran vor allem auf die irakische Regierung und schiitische Milizen ausübt. Nach dem Angriff sieht sich das irakische Parlament nun zum Handeln gezwungen und die schiitische Mehrheit fordert ausländische Truppen dazu auf, das Land zu verlassen.
Damit treibt das Land entweder weiter in die Einflusssphäre des Iran oder wird zum Schlachtfeld des Konfliktes zwischen den USA und dem Iran. Beides wäre eine Katastrophe. Der Iran strebt schon lange eine Landbrücke zur verbündeten Hisbollah im Libanon an, und mit dem Abzug der Amerikaner könnte dieses strategische Ziel erreicht sein.
Durch das Bündnis Iran–Irak–Assad in Syrien und der Hisbollah im Libanon wäre auch Israel einer neuen Bedrohungslage ausgesetzt. Auch die Kurden im Irak verlieren mit den USA ihre Schutzmacht im Land. Ihre Autonomie könnte in Gefahr sein.
3. Die Rückkehr des IS
Der IS im Irak und auch in Syrien ist noch nicht besiegt, doch die irakische Regierung wirft nun die Truppen der westlichen Allianz aus dem Land. Das könnte zum erneuten Erstarken der Terrormiliz führen, denn viele IS-Kämpfer sind nach ihrem Gebietsverlust in den Untergrund abgetaucht.
Dies berührt direkt europäische und auch deutsche Sicherheitsinteressen, denn ein Wiedererstarken des IS könnte erneut zu Anschlägen in Europa führen.
Abgrenzung von der US-Politik
Und dies ist auch der Grund, warum die europäischen Außenminister darum bemüht sind, die diplomatischen Kanäle offen zu halten. Doch diese Politik kann nur Erfolg haben, wenn die EU sich von der amerikanischen Nahostpolitik abgrenzt.
Eine gutes Beispiel ist die Debatte um das Atomabkommen mit dem Iran, der Ausstieg der USA war der Beginn der heutigen Misere. Nach der US-Rückkehr zu den Sanktionen begann Teheran erneut damit, antiamerikanische Gruppierungen im Ausland zu befeuern, bis zu den Angriffen auf Tanker und den Angriff auf die US-Botschaft in Bagdad.
Obwohl der Iran auf den Bau von Atomwaffen verzichtete, liegt die iranische Wirtschaft noch immer sanktionsgebeutelt am Boden. Wenn Europa das Atomabkommen und damit eine weitere Eskalation des Konfliktes verhindern möchte, könnte die EU den Iran vor allem wirtschaftlich unterstützen.
Bis dahin werden alle Beteiligten versuchen, die Situation nicht noch mehr außer Kontrolle geraten zu lassen. Weder die USA noch der Iran wollen einen Krieg, aber durch das Säbelrasseln ist die Situation so explosiv, dass es auch ungewollt zu einem bewaffneten Konflikt kommen kann. Wenn die US-Truppen auf US-Territorium angegriffen werden und die USA den Nato-Verteidigungsfall ausrufen, ist auch Deutschland gezwungen, Truppen zu schicken.
Letztlich braucht Teheran aber keinen Krieg gegen die USA, um sich einen Vorteil in dem Konflikt zu verschaffen. Die Zeit und Trump spielen aktuell für den Iran. Soleimani kämpfte sein Leben lang in verschiedenen Ländern gegen den Einfluss der USA, unterstützte Anschläge und Proteste. Ausgerechnet sein Tod könnte seinem Land nun machtpolitischen Einfluss in der Region sichern.
- Eigene Recherche
- Bericht von tagesschau.de
- Joschka Fischer auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2003 (Spiegel)
- "Der Kampf geht weiter" (tagesschau.de)
- Mit Material der dpa