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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umstrittener Polizeieinsatz Hongkonger Demonstranten bilden clevere Tränengas-Abwehr
Die Peking-treue Verwaltung von Hongkong bekommt auch gewaltsam die Massenproteste nicht in den Griff. Nun macht ein kleiner Sieg mutiger Demonstranten gegen den Polizeiapparat Furore.
Es wirkt, als hätten sie damit viel Routine – und es lässt Menschen in aller Welt staunen. Ein Video von den Demonstrationen in Hongkong gegen das geplante Auslieferungsgesetz zieht rasant Kreise: Es zeigt Demonstranten, die sich wie ein eingespieltes Mechaniker-Team in einer Boxengasse auf ein rauchendes Objekt stürzen und den mutmaßlichen Tränengas-Satz zusammen unschädlich machen.
Der Journalist Nathan VanderKlippe von der kanadischen Zeitung "The Globe and Mail" hat die Szene am Mittwoch gefilmt, sein Video ist auf Twitter bereits rund drei Millionen Mal angesehen worden. "Man sieht unbewaffnete Demonstranten, die eine kluge und mutige Antwort auf das Vorgehen von Behörden finden", erklärt er t-online.de den Erfolg des 16 Sekunden langen Videos.
Goldmedaille im Protestieren
Noch griffiger formuliert es Rachel Blundy, früher bei der "South China Morning Post" und heute Redakteurin im Factchecking-Team der Nachrichtenagentur AFP in Hongkong: "Wenn Protest ein Sport wäre, dann würden diese Typen die Goldmedaille gewinnen."
VanderKlippe vermutet, dass durch den weit verbreiteten Gebrauch von Tränengas weltweit viele Menschen mit den Demonstranten fühlen. "Ich habe gesehen, dass das Video von Menschen aus Frankreich, der Türkei, Thailand, der arabischsprachigen Welt, den Philippinen, Japan, Haiti, Polen, Indonesien, dem Sudan und vielen anderen Ländern geteilt wird worden ist."
"Es ging einfach um Schutz"
Triumphgefühl oder Euphorie sei bei den Demonstranten nicht zu spüren gewesen, so VanderKlippe. "Da ging es einfach um Schutz. Die Leute sind vor der Polizei davon gelaufen, und daran konnte auch nichts ändern, dass die Tränengas-Sätze erstickt wurden. Dadurch haben aber viele die ekligen Effekte nicht zu spüren bekommen." VanderKlippes Kollege Ramy Inocencio vom US-Sender CBS erlebte die Hilfsbereitschaft der Demonstranten, als ihm während einer Liveschalte ein Regenschirm in die Hand gedrückt und ein Helm aufgesetzt wurden.
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Es ist nach VanderKlippes Eindruck nicht einstudiert oder trainiert, wie die jungen Leute sofort Wasser aus mitgebrachten Flaschen über das rauchende Objekt kippen, es schließlich jemand in ein Tuch packt und davon wirft. "Aber wo immer bei den Protesten Tränengas eingesetzt wurde, haben Menschen zusammengearbeitet, um das Gas zu neutralisieren."
Organisatoren wollen "bis zum Ende kämpfen"
Die nächsten Einsätze der Tränengas-Räumkommandos sind schon absehbar. Für Sonntag haben die Demonstranten einen neuen Massenprotest angekündigt, am Montag soll ein Streik in der ganzen Stadt folgen.
"Wir werden mit den Menschen in Hongkong bis zum Ende kämpfen", sagte Jimmy Sham von der Civil Human Rights Front (CHRF), der größten Protestgruppe. Die CHRF hatte auch die Massenproteste am vergangenen Sonntag organisiert, an denen nach Angaben des Veranstalters mehr als eine Million Menschen teilnahmen.
Anwaltsverband verurteilt Vorgehen der Polizei
Wenig Kontrolle hat die CHRF dagegen über weitgehend führungslose Gruppen junger und radikalerer Demonstranten, die sich auch heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten. Am Mittwoch waren dabei mindestens 70 Menschen verletzt worden. Der Verband der Hongkonger Rechtsanwälte verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte als "völlig unnötig".
Die Demonstranten seien weitgehend unbewaffnet gewesen und hätten "keine unmittelbare Bedrohung" für die Polizei oder die Öffentlichkeit dargestellt. Amnesty International und Human Rights bezeichneten den Polizeieinsatz als "exzessiv".
Die Polizei verteidigte ihr Vorgehen. Die Beamten hätten "keine andere Wahl gehabt, als den Einsatz von Gewalt zu eskalieren", sagte Polizeichef Stephen Lo. Er sprach von elf Festnahmen. 22 Beamte seien verletzt worden. Es seien 19 Beschwerden zu Polizeigewalt eingegangen, die nun untersucht würden.
Die Regierung von Hongkong hatte versucht, die Lage zu beruhigen, indem sie die ursprünglich für Mittwoch geplante Parlamentsdebatte zu dem Gesetz, das Auslieferungen auch an Festland-China vorsieht, auf unbestimmte Zeit verschoben hat.
Chinas Führung reagiert gereizt auf Kritik
Die chinesische Führung reagierte erbost auf Kritik der EU am Vorgehen gegen die Demonstranten. Es handele sich um "ausschließlich Chinas innere Angelegenheit", sagte ein Sprecher des Außenministeriums. "Kein Land, keine Organisation oder Einzelperson hat das Recht, sich darin einzumischen."
Bei den Demonstrationen habe es sich um organisierten "Aufruhr" gehandelt. Peking unterstütze die Hongkonger Behörden, die "in Übereinstimmung mit dem Gesetz" gehandelt hätten. Möglicherweise war ein Teil dieser Unterstützung auch ein Hackerangriff auf den Messenger-Dienst Telegram.
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Telegram, das vielfach von Demonstranten zur Koordination genutzt wird, meldete einen Angriff auf den Dienst mit massenhaften Zugriffen, die größtenteils von China aus gestartet worden seien. Gründer Pavel Durov erklärte, solche Störungen habe es zu Protesten in Hongkong bereits in der Vergangenheit gegeben.