Israel, Jemen, Gleichberechtigung Warum sich Saudi-Arabien plötzlich so aufgeklärt zeigt
Israel soll seinen Staat haben, Frauen dürfen Auto fahren, der Jemen bekommt Milliarden. Das streng muslimische Königreich Saudi-Arabien gibt sich weltoffen – doch hinter den modernen Entscheidungen stecken tiefreligiöse Motive.
Die Außenpolitik des jungen saudischen Kronprinzen gleicht einem Schachspiel. Manchmal muss man für einen siegreichen Zug etwas opfern, um am Ende zu gewinnen. Ausgerechnet im Interview mit Jeff Goldberg, der vor seiner Zeit als Chefredakteur des US-Magazins "The Atlantic" Gefängniswärter für palästinensische Gefangene in Israel war, billigt Saudi-Arabiens Thronfolger Mohammed bin Salman Palästinensern und Israelis jeweils das Recht auf ein eigenes Land zu.
Das Interview des Kronprinzen sorgte international für Furore. Denn das islamisch-konservative Königreich hat offiziell keine diplomatischen Beziehungen zu Israel. Eine Folge war etwa, dass noch vor wenigen Monaten israelischen Schachspielern Visa für die Schnellschach-Weltmeisterschaften in Saudi-Arabien verweigert wurden.
Politikwechsel ist nicht überraschend
Die Äußerungen kommen daher für viele Beobachter einem Politikwechsel in Saudi-Arabien gleich. Doch ganz überraschend kommen sie nicht.
Der erst 32 Jahre alte Mohammed bin Salman gilt als eigentlich starker Mann in dem sunnitischen Königreich. Die einen sehen in ihm einen modernen Reformer, der alte Strukturen aufbricht, das Land unabhängig vom Öl macht und Frauen das Autofahren erlaubt. Für die anderen ist er das Gesicht einer aggressiven Außenpolitik: Als Verteidigungsminister hat er die saudische Militärintervention im Jemen zu verantworten - mit dem Ziel, die schiitischen Huthi-Rebellen dort niederzuschlagen. Und er gilt auch als treibende Kraft hinter der Blockade gegen das Nachbaremirat Katar.
Die Außenpolitik Saudi-Arabiens ist dabei vor allem von der scharfen Konkurrenz zum regionalen Erzfeind Iran geprägt. Das sunnitische Saudi-Arabien - als Hüter der heiligen islamischen Stätten in Mekka und Medina - ist zutiefst verfeindet mit dem schiitischen Iran und befürchtet einen wachsenden Einfluss Irans in der Region. Eine Gefahr, die auch Israel so sieht. Hier gibt es also politische Schnittmengen.
Israel und Saudis haben gemeinsamen Feind
Saudi-Arabien und Israel nähern sich - inoffiziell - schon seit längerem an. Unter Federführung des früheren Königs Abdullah schlug die Arabische Liga schon 2002 einen Friedensplan für den Nahostkonflikt vor: Der Staat Israel wird in den Grenzen von 1967 anerkannt, wenn sich Israel aus den palästinensischen Gebieten zurückzieht. Ein Plan ohne Aussicht auf Erfolg, den die Arabische Liga aber mehrfach wiederholte - zuletzt im vergangenen Jahr.
Auch die Geheimdienste Israels und Saudi-Arabiens sollen schon lange Informationen austauschen. Vor allem wenn es um den gemeinsamen Feind Iran und die von ihm unterstützte schiitische Hisbollahmiliz geht.
Im vergangenen Jahr sprach sich der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, Gadi Eisenkot, in seinem ersten Interview für ein arabisches Medium auch öffentlich für eine Kooperation mit Saudi-Arabien aus. "Es gibt gemeinsame Interessen", sagte er "Elaph". Der iranische Plan sei es, den Nahen Osten vom Iran, über den Irak, Syrien und den Libanon, sowie über Bahrain und den Jemen zum Roten Meer zu kontrollieren. "Das muss verhindert werden", so der israelische General. Auch der israelische Verteidigungsminister Avigdor Liebermann hatte Saudi-Arabien in der Vergangenheit bereits ein gemeinsames Bündnis gegen den Iran vorgeschlagen.
Saudis wollen in der Region viel Geld verdienen
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betont zudem immer wieder, hinter den Kulissen gebe es eine Annäherung Israels an arabische Staaten.
Lange war der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ein Hauptgrund dafür, das islamisch geprägte Staaten der Region Israel nicht anerkannten. Doch spielt der Streit nach Einschätzung von Experten für viele arabische Länder keine große Rolle mehr. Die Palästinenser fühlen sich schon länger auch von der arabischen Welt im Stich gelassen.
Erst im Dezember äußerten bei einer Umfrage vier von fünf Palästinensern ein generelles Misstrauen gegenüber der Rolle Saudi-Arabiens in einem durch die USA vermittelten regionalen Friedensplan. Madschdi al-Chalidi, diplomatischer Berater von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, sagte zu den Aussagen Mohammed bin Salmans lediglich: "Es gibt Meinungsfreiheit, jeder hat seine Ansichten."
Hinzu kommen wirtschaftliche Interessen in Saudi-Arabien. Für den Bau des Megaprojekts Neom - eines 500 Milliarden US-Dollar teuren autonomen Gebietes an der saudischen Küste am Roten Meer - soll auch eine Brücke über den Golf von Akaba in Richtung des ägyptischen Sinai gebaut werden. Dies dürfte nicht ohne die zumindest inoffizielle Erlaubnis von Israel geschehen, meinen Nahost-Experten.
US-Historiker nennt Annäherung "harschen Realismus"
Erst im März hatte es ein Zeichen der Annäherung zwischen beiden Staaten gegeben: Saudi-Arabien erlaubte der indischen Fluggesellschaft Air India, auf der Strecke nach Israel Saudi-Arabien zu überfliegen. Israels Transport- und Geheimdienstminister Israel Katz sprach von einem "historischen Flug". Damit endete ein jahrzehntelanges Überflugverbot auf der Strecke.
Der US-amerikanische Historiker und Professor Juan Cole sieht in den neuen Äußerungen des saudischen Kronprinzen daher auch keinen Paradigmenwechsel im Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Israel, sondern einen Ausdruck des Realitätssinns von Mohammed bin Salman. "Diese egoistische Position ist nur harscher Realismus und Lichtjahre entfernt vom Friedensplan des früheren Königs Abdullah", schreibt Cole in seinem Blog.
Auch andere Nahost-Beobachter sehen in der recht radikalen Außenpolitik Saudi-Arabiens eine Gefahr für die Region. Denn mit seinem Vorgehen auch gegen die eigene Königsfamilie und traditionell islamische Kräfte schafft sich der Kronprinz Feinde nicht nur im Iran, sondern auch im eigenen Land.
- dpa