Neue deutschtürkische Partei Reicht Erdogans Arm bald in den Bundestag?
In den Niederlanden und in Frankreich gibt es bereits etablierte muslimische Parteien. In Deutschland hatten derartige Initiativen bisher keinen Erfolg. Ein Erdogan-Fan hat jüngst eine Partei für Türkischstämmige gegründet: die ADD (Allianz Deutscher Demokraten). Könnte durch sie der Arm des türkischen Staatspräsidenten künftig auch bis in den Bundestag reichen?
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat in der Putsch-Nacht seine Anhänger dazu aufgefordert, auf die Straße zu gehen und sich dem Militär entgegenzustellen. Millionen Menschen folgten innerhalb kürzester Zeit dem Aufruf. Auch in Deutschland kann Erdogan problemlos seine Sympathisanten mobilisieren, wie zuletzt in Köln, wo über 30.000 Menschen zusammenkamen.
Ditib, UETD und Co.
Neben der von der Türkei gelenkten türkisch-islamischen Union Ditib mit ihren über 900 Moscheen in Deutschland existieren Organisationen wie die UETD (Türkische Demokraten), die als verlängerter Arm der Erdogan-Partei AKP gelten.
Während die Imame aus der Türkei auf die Gläubigen in Deutschland einwirken, organisiert die UETD die Auftritte Erdogans. Zudem gibt es zahlreiche Vereine und Einzelpersonen, die es sich eigenmächtig zur Aufgabe gemacht haben, Erdogans Vorstellungen umzusetzen.
Wie der deutschtürkische Unternehmer Remzi Aru: Er ist der Gründer der ADD. Im "Berlin Journal" behauptete Aru, dass die "Herabsetzungen, denen vor allem Türken und türkische Einwanderer in Deutschland ausgesetzt sind", ihn zu diesem Schritt gezwungen hätten.
SPD bei türkischen Migranten vorne
Doch ist seine Partei für Deutschtürken wählbar? "Derzeit leben in Deutschland knapp 3,2 Millionen Türkeistämmige. Von ihnen sind 1,25 Millionen Menschen eingebürgert und besitzen das Wahlrecht", sagt Umut Karakas von Data4U gegenüber t-online.de. Das private Forschungsinstitut in Berlin untersucht unter anderem das Wahlverhalten türkischstämmiger Migranten.
Bei der Bundestagswahl 2013 haben etwa 50 Prozent der wahlberechtigten Deutschtürken noch die SPD gewählt. Zwölf Prozent gaben den Grünen ihre Stimme, zwölf Prozent den Linken und zehn Prozent der Stimmen gingen an die CDU/CSU.
In Deutschland links, in der Heimat rechts
Allerdings ist das Wahlverhalten der Migranten keineswegs ideologisch. Laut einer Studie der Data4U würden rund 60 Prozent der Migranten (mit und ohne türkischen Pass) gleichzeitig die islamisch-konservative AKP wählen. Im November 2015 wählten zudem mehr als 59 Prozent der Türkischstämmigen (mit türkischem Pass) bei den Parlamentswahlen in der Türkei die AKP.
"Laut unserer Studien wissen wir, dass bislang eher Themen wie Integrations- und Sozialpolitik eine größere Rolle gespielt haben. Und hier konnten sich die 'Deutsch-Türken' eher mit der SPD und mit den Grünen identifizieren", sagt die Expertin.
Tradition, Religion, Selbstbewusstsein
"In der Türkei hingegen stehen eher die traditionellen Wertvorstellungen, der Glaube, der wirtschaftliche Erfolg und das neue türkische Selbstbewusstsein im Vordergrund, womit auch in Deutschland in erster Linie die AKP in Verbindung gebracht wird. Nach den aktuellen Vorkommnissen jedoch (Armenien Resolution, versuchter Putsch, Kritik an Erdogan) werden sich hier die Meinungen geändert haben", sagt Karakas.
Viele leben noch in der Parallelgesellschaft
Des Weiteren fühlten sich viele Migranten von deutschen Behörden und Institutionen nicht verstanden. Einer der Hauptgründe, warum man sich untereinander mobilisiert. "Viele leben noch in einer Parallelgesellschaft", erklärt die Expertin gegenüber t-online.de.
Daher sei die emotionale Bindung an die Türkei noch viel größer als an Deutschland. "Das ist ein Grund, warum deutsche Medien kaum wahr genommen werden.Türkische, gleichgeschaltete Medien bestimmen somit auch überwiegend die Meinungsbildung", sagt Karakas.
"Deutsche Parteien" müssen gegensteuern
Daraus schließt die Expertin, dass die "deutschen" Parteien Stimmen verlieren könnten, wenn sie nicht gegensteuern. Viel hinge auch davon ab, ob sich die ADD etablieren wird.
Dass Parteien in Deutschland an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, ist nichts Neues. Deutschland hat mehr als 65 Millionen Wahlberechtigte. Schon bei der vergangenen Bundestagswahl sind Millionen Stimmen verfallen. So fehlten der FDP gerade einmal 100.000 Stimmen, um in den Bundestag einzuziehen. Auch die AfD scheiterte an der Sperrklausel.
Fazit: Die ADD ist also darauf angewiesen, dass alle Türkeistämmige geschlossen die Partei wählen. Das tun sie aber nicht. Der Grund: Unter den türkischstämmigen Wählern sind unter anderem viele Kurden und Aleviten. Diese Gruppe gibt aus Prinzip Erdogan ihre Stimme nicht. Die Chancen sind also eher gering.
Zudem müssten auch "Nicht-Türken" diese Partei wählen. Einzig über Direktmandate wäre ein Einzug in den Bundestag möglich. Aber auch diese Wahrscheinlichkeit ist gering.