Bürgerkrieg eskaliert Der Iran schickt den "Schlächter von Aleppo"
Die syrische Armee konnte den Vormarsch der islamistischen Rebellen wohl vorerst stoppen. Derweil versuchen sich der Iran und die USA zu positionieren.
Das Überraschungsmoment ist vorbei. Mitte vergangener Woche konnte eine Allianz von Aufständischen unter der Führung der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die Kontrolle über Aleppo übernehmen, die zweitgrößte Stadt Syriens. Jetzt hat die Armee von Machthaber Baschar al-Assad eine Gegenoffensive gestartet. Derweil haben die USA auf der anderen Seite des Landes Ziele angegriffen, die mutmaßlich mit dem Iran verbündet sind.
Nach der Einnahme von Aleppo sind die islamistischen Rebellen 130 Kilometer weiter Richtung Süden vor die Stadt Hama marschiert. Doch eine Übernahme ohne große Gegenwehr so wie in Aleppo gelang dieses Mal nicht. Vor der viertgrößten Stadt Syriens ist es in der Nacht auf Mittwoch zu schweren Gefechten zwischen Rebellen und Streitkräften der syrischen Regierung gekommen.
Assads Truppen schlagen zurück
Mit Unterstützung aus der Luft habe die Armee "nach Mitternacht" in der Nähe von Hama einen Gegenangriff gestartet, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Mittwoch mit. Assads Truppen konnten die Aufständischen rund zehn Kilometer nach Norden zurückdrängen und zwei Dörfer im Umland einnehmen.
Laut der Beobachtungsstelle mit Sitz in London, die mit einem Netz aus Informanten vor Ort das Kriegsgeschehen verfolgt, kamen bei den Gefechten inzwischen mehr als 570 Menschen ums Leben, unter ihnen auch knapp 100 Zivilisten.
Die Stadt Hama hat große symbolische sowie strategische Bedeutung. 2011 war die 500.000-Einwohner-Stadt das Zentrum des Arabischen Frühlings in Syrien, der zum Anstoß des Bürgerkriegs wurde. Außerdem liegt dort auch eine Zufahrtsstraße Richtung Mittelmeer, die die Aufständischen dem Assad-Regime nehmen wollen. Nach Hama käme auf dem Weg Richtung Süden noch Homs und dann die Hauptstadt Damaskus. Von diesem Ziel sind die Rebellen jedoch noch weit entfernt.
Der Iran schickt den "Schlächter von Aleppo"
Trotzdem stellt der neu entflammte Bürgerkrieg eine große Bedrohung für das Regime von Baschar al-Assad dar. Deshalb hat der Autokrat bereits Unterstützung bei seinen wichtigsten Verbündeten angefragt – und kann auch schon Zusagen vorweisen.
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So ist der Iran nach den Worten seines Außenministers Abbas Araghtschi offen für mögliche Truppenverlegungen nach Syrien. "Wenn die syrische Regierung den Iran um die Entsendung von Truppen nach Syrien bittet, werden wir das Ersuchen prüfen", sagte der Minister dem arabischsprachigen TV-Sender Alaraby.
Außerdem hat der Iran einen berüchtigten General und weitere Militärberater in das Land geschickt, um der Regierung in Damaskus zu helfen. Die Delegation unter Führung von General Dschawad Ghafari, ein Syrien-Kenner, soll nun die Gegenoffensive der Regierungstruppen rund um Hama unterstützen, wie die arabischsprachige Abteilung des iranischen Rundfunks, Al-Alam, meldete. Ghafari wurde durch seine Rolle bei der Rückeroberung Aleppos im Jahr 2016 als "Schlächter von Aleppo" bekannt, wie das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) berichtet.
USA greifen Ziele an
Auch die Vereinigten Staaten sind tief in die sich verschlechternde Lage in Syrien verwickelt. Das US-Militär hatte am Dienstag gleich mehrere Ziele angegriffen, die eine "klare und unmittelbare Bedrohung" für US- und Koalitionstruppen darstellten, sagte der Pressesprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder. Unter den Zielen seien drei auf Lastwagen montierte Mehrfachraketenwerfer, ein Panzer sowie mehrere Mörser gewesen, die den US-Stützpunkt Euphrat im Osten des Landes angegriffen hätten.
Es sei ein "Selbstverteidigungsschlag" gewesen, "nachdem die mobilen Mehrfachraketenwerfer Raketen abgefeuert hatten, die in der Nähe der MSS (Military Support Site) Euphrat landeten, und Mörser auf die US-Streitkräfte abgefeuert wurden", sagte Ryder.
Noch sei unklar, wer die Waffen bedient hat. Doch in der Region würden Milizen operieren, die vom Iran unterstützt werden und bereits in der Vergangenheit die MSS Euphrat angegriffen hatten. Die USA haben seit der Überraschungsoffensive vergangene Woche schon zum zweiten Mal Angriffe gegen Ziele in der Umgebung des Militärstützpunktes geflogen.
In Syrien sind derzeit noch rund 900 US-Soldaten stationiert. Doch ob das in Zukunft auch so bleiben wird, ist unklar. Denn Präsident Trump wollte sie schon in seiner ersten Amtszeit auf Drängen der Türkei abziehen. Doch dadurch hätte er die syrischen Kurden im Stich gelassen, mit denen sich die USA unter Präsident Barack Obama verbündet hatten, um gemeinsam den "Islamischen Staat" (IS) zu besiegen. Nach internationalen Appellen machte Trump damals einen Rückzieher.
"Ein Karateschlag gegen den Iran"
Jetzt steht der designierte Präsident Trump erneut vor der Frage, wie die USA in Syrien vorgehen sollten. Dabei ermöglicht es der Stützpunkt den USA, gleich mehrere Feinde zu schwächen. So erklärt Joshua Landis, Syrien-Experte von der Universität Oklahoma, das vorrangige US-Interesse in dem Land habe bisher darin bestanden, "Israel zu unterstützen und dem Iran und Russland zu schaden". Der Vorstoß der Aufständischen habe nun das Potenzial, "die Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten auf dramatische Weise zu verändern", so Landis.
Ein Sieg der HTS-Kämpfer würde nach seiner Einschätzung den sogenannten schiitischen Halbmond durchbrechen, in dem der Iran seinen Einfluss nach Westen bis in den Libanon ausgedehnt hat. "Dies wäre ein großer Segen für Israel und ein Karateschlag gegen den Iran."
"Ein Dilemma für die USA"
Allerdings könnten sich die USA kaum auf die HTS-Kämpfer verlassen. Die HTS gilt als Nachfolger der Al-Nusra-Front, eines früheren Ablegers der Terrororganisation al-Qaida in Syrien. Die Gruppierung wird unter anderem von den USA als Terrororganisation eingestuft und verfolgt Experten zufolge eine salafistisch-dschihadistische Ideologie. "Es ist ein Dilemma für die USA und Israel. Wollen sie eine islamistische Regierung in Syrien oder ziehen sie es vor, dass das Land geteilt und schwach bleibt?", fragt Landis.
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Der Bürgerkrieg in Syrien ist Ende November wieder aufgeflammt.
Eine Karte unabhängiger Krisen- und Kriegsanalysten der Organisation Liveuamap zeigt, wie sich die Lage im Land seitdem verändert hat.
Seit dem 27. November schreitet eine Offensive aufständischer Gruppen gegen das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad mit großen Schritten voran.
Am 29. November starteten Kämpfer der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham, kurz HTS, und verbündete Milizen eine überraschende Offensive auf die Großstadt Aleppo. Unterstützt werden sie dabei von der Türkei, Kämpfer in der Region trugen türkische Herrschaftsabzeichen.
In einer Blitzoffensive nahm die HTS-Miliz die Millionenstadt binnen zweier Tage ein und stürmte unter anderem auch den Palast des syrischen Machthabers Assad.
Mit dem Überraschungsangriff ist es den Rebellen zudem gelungen, ein Dutzend Dörfer in der Region Aleppo unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die von der HTS eroberten Gebiete werden hier in Grün dargestellt.
Die syrische Armee gab am 30.11. offiziell ihren Rückzug aus Aleppo bekannt. Machthaber Bashar al-Assad kündigte daraufhin eine Gegenoffensive an.
In der weiter südlich gelegenen Provinz Hama eröffneten die Rebellen am Wochenende eine zweite Front.
Hama ist eine strategisch wichtige Stadt im westlichen Zentrum von Syrien und liegt auf einer Verbindungsstraße zwischen Aleppo im Norden des Landes und der Hauptstadt Damaskus.
Am Sonntag konnten die Milizen bis an den Rand der Stadt vordringen.
Damit kontrollierten die Aufständischen zwischenzeitlich einen Korridor, der von ihrer Hochburg Idlib aus bis an die Stadt Hama heranreichte.
Das syrische Militär wiederum erklärte am Sonntag, dass bewaffnete Verstärkungstruppen in Hama eingetroffen seien und einen Vormarsch in Richtung Norden gestartet hätten. Dieser werde durch intensive Luftangriffe und Artilleriebeschuss unterstützt.
Den Angaben zufolge hat das syrische Militär am Montag Versuche islamistischer Rebellen abgewehrt, weiter in Gebiete nördlich der Stadt Hama vorzudringen. Dabei sei es zu “heftigen Zusammenstößen” gekommen.
Der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wird das syrische Militär von russischen Kampfflugzeugen und irantreuen Milizen unterstützt.
Während das Hauptaugenmerk derzeit auf der Offensive der HTS-Islamisten liegt, sind in Nordsyrien noch weitere Gruppen aktiv. Allen voran Kurdenmilizen, die den Großteil des Nordostens, aber auch Gebiete im Osten Aleppos kontrollieren. Zudem kämpfen in Nordsyrien von der Türkei unterstützte Milizen, die speziell gegen die Kurden vorgehen.
Derzeit kämpfen zahlreiche Gruppierungen mit unterschiedlichen Interessen in Syrien. Vieles ist nach der Offensive der Opposition noch unklar.
Bei den Kämpfen sollen bereits mehr als 320 Menschen getötet worden sein, darunter Dutzende Zivilisten.
Noch ist völlig unklar, ob die HTS in dem neu entfachten Bürgerkrieg die Initiative aufrechterhalten und wer von der Lage langfristig profitieren kann. Sicher scheint jedoch zu sein, dass die Zivilisten im Land darunter leiden werden. Eine halbe Million Menschen wurden bereits im syrischen Bürgerkrieg getötet und sieben Millionen in die Flucht getrieben. Durch die neuen Kämpfe sind nach UN-Angaben bereits jetzt fast 50.000 Menschen vertrieben worden.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp
- defense.gov: Centcom Destroys Threatening Weapons Systems in Syria