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Donald Trump und die USA: Historiker bewertet die Lage in Amerika


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Historiker Bregman
"Es ist todernst"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 14.11.2024Lesedauer: 11 Min.
Donald Trump: Der wiedergewählte US-Präsident gibt sich völlig unverstellt, sagt Rutger Bregman.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Der wiedergewählte US-Präsident gibt sich völlig unverstellt, sagt Rutger Bregman. (Quelle: Charlie Riedel/AP/dpa)

Die Krisen dieser Welt sind dramatisch, nun könnte die Rückkehr Donald Trumps die Situation verschärfen. Rutger Bregman will das nicht hinnehmen. Wie die Welt besser werden könnte, erklärt der Historiker im Interview.

Der Globus findet nicht mehr aus dem Krisenmodus heraus: Internationale Spannungen und Konflikte nehmen zu, während die Klimakrise sich verschärft. Bald wird Donald Trump zudem die US-Politik umkrempeln. Kein Grund, die Hoffnung zu verlieren, mahnt Rutger Bregman. Ja, die Zeiten sind ernst, so der niederländische Historiker. Ein Grund mehr, etwas zu unternehmen.

Warum haben so viele Amerikaner Trump gewählt? Wie bedrohlich ist die Weltlage? Und wie will Bregman etwas gegen die vielen Krisen unternehmen? Diese Frage beantwortet Bregman, Autor des kürzlich erschienenen Buches "Moralische Ambition" und Mitgründer der Organisation "School of Moral Ambition", im Gespräch.

t-online: Herr Bregman, Sie sind kürzlich in die Vereinigten Staaten umgezogen. Ein schlechter Zeitpunkt angesichts der jüngsten Wiederwahl Donald Trumps?

Rutger Bregman: Ganz im Gegenteil. Es war ein perfekter Zeitpunkt, um in die USA zu gehen. Denn die Entwicklung von moralischer Ambition ist dort nun verdammt notwendig geworden. Dort, aber auch anderswo. Denn die Vereinigten Staaten folgen nur dem globalen Trend hin zu Autokratien: Es gibt immer mehr Historiker, die sich nicht scheuen, das F-Wort in den Mund zu nehmen.

Faschismus?

Ja. Tatsächlich weisen die aktuellen Geschehnisse viele Ähnlichkeiten zum Faschismus auf. Die Zeiten sind sehr, sehr ernst, wir haben keine Zeit mehr für Spielereien: Die Autokraten sind auf dem Vormarsch, die Demokratien schwinden, geopolitisch ist die Lage äußerst kritisch. Von Klimakrise, Zerstörung der Biodiversität und anderen schlimmen Dingen will ich nicht einmal groß anfangen. Die Gefahr eines Nuklearkriegs ist auch nicht gerade gesunken. Was passiert aber? So viele Menschen arbeiten in Jobs, die gesellschaftlich nutzlos sind. Diese Verschwendung können wir uns nicht mehr leisten, das muss endlich aufhören.

Aus diesem Grund sind Sie Mitgründer der School for Moral Ambition, einer Nichtregierungsorganisation, die zukünftig Menschen rund um den Globus helfen soll, die Welt besser zu machen: Wie kann Ihnen gelingen, woran viele andere gescheitert sind?

Wir wollen jetzt wirklich ernst machen, denn als gesamte Spezies stehen wir vor gewaltigen Herausforderungen. Internationale Umfragen belegen eine Tatsache: Acht Prozent aller Beschäftigten schätzen ihre eigene Arbeit als nutzlos ein, nochmals 17 Prozent haben großen Zweifel, dass ihre Tätigkeit der Gesellschaft irgendwie nutzen würde. Das ist traurig, das ist die pure Verschwendung von Talent. Mit unserer School of Moral Ambition wollen wir den Menschen das Angebot machen, ihr Talent anders zu nutzen, es besser zu nutzen. Nach Amsterdam haben wir nun eine weitere Schule in Berlin eröffnet, auch in den USA geht es voran.

Zur Person

Rutger Bregman, 1988 in den Niederlanden geboren, ist Historiker, Journalist und Bestsellerautor. 2019 rief Bregman beim Weltwirtschaftsforum in Davos Aufmerksamkeit hervor, indem er den Superreichen der Welt öffentlich Steuervermeidung vorwarf. Ein Jahr später brachte er sein vielbeachtetes Buch "Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit" heraus. Gerade erschien Bregmans neuestes Werk "Moralische Ambition. Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt".

Gerade ist zudem Ihr neues Buch "Moralische Ambition" erschienen. Wie stark ist Ihr eigener Glaube an das "Gute" im Menschen in diesen brisanten Zeiten?

Er ist stark, glauben Sie mir. "Moralische Ambition" ist ein Zeugnis dieser Überzeugung. Tatsächlich bin ich vielleicht manchen Menschen noch durch mein voriges Buch "Im Grunde gut" bekannt. Darin beschäftige ich mich stark mit einer grundlegenden Eigenschaft, die uns Menschen auszeichnet: die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnis diskutiere ich die These, dass wir als menschliche Spezies das Produkt des Überlebens der Freundlichsten sind. Die Fähigkeit zur Kooperation ist unsere Superkraft.

Menschen begehen, während wir sprechen, rund um die Welt schreckliche Dinge. Wie passt das zusammen?

Das Schreckliche, das in der Welt passiert, ist eher Erzeugnis menschlicher Kultur als menschlicher Natur. Aber wissen Sie was? Nach "Im Grunde gut" bin ich sehr nachdenklich geworden, ich kam zu dem Schluss, dass das nächste Buch anders werden musste. "Im Grunde gut" war wie eine warme Umarmung, die dabei helfen soll, den Glauben an die Menschheit wiederzufinden. Mein Buch "Moralische Ambition" ist eher wie ein Tritt in den Hintern, ein Tritt, den wir dringend nötig haben. Angesichts der gewaltigen Bedrohungen unserer Spezies hilft es nicht, ein wenig Fairtrade-Kaffee zu kaufen und sich deshalb "gut" zu fühlen. Da braucht es schon mehr.

Betrachten Sie sich selbst als eine Art Heilsbringer?

Das liegt mir fern. "Moralische Ambition" habe ich in allererster Linie für mich selbst geschrieben. Zehn Jahre lang habe ich meine Meinung kundgetan, aber ich stand am Rande des Spielfelds, während andere mit ihrer Arbeit versucht haben, die Welt besser zu machen. Deswegen bin ich jetzt in New York. Ich und meine Mitstreiter wollen niemanden belehren, wir wollen auch niemanden bekehren. Nein, wir bieten Menschen die Einladung an, sich uns ehrgeizigen Idealisten anzuschließen. Um die Verschwendung ihres Talents zu stoppen und es für etwas Gutes zu nutzen.

Mit Donald Trump haben Sie in den USA aber Konkurrenz bekommen. Der alte, neue Präsident verspricht seinen Wählern das, was er für gut und richtig hält.

Wir hätten nicht gar nicht überrascht sein müssen. So etwas wie Donald Trump ist in der Geschichte schon oft vorgekommen, Autokratie ist kein neues Phänomen. Er verheißt den Leuten die Lösung aller Probleme, wenn sie ihm die Macht geben und auf Dinge wie Wahlen und Rechtsstaat verzichten. Das übt eine starke Anziehungskraft aus. Und dann hat Trump noch eine ganz besondere Eigenschaft.

Welche?

Trump besitzt eine totale Schamlosigkeit. Für viele Menschen wirkt das befriedigend.

Inwiefern?

Die meisten anderen Politiker versuchen ständig, sich selbst zu kontrollieren. Man hat meistens das Gefühl, das in ihrem Inneren eine Maschine, ein Computer, überlegt, was sie eigentlich sagen sollen. Oft denken die Leute, dass irgendwo in den Köpfen dieser Politiker ein anderer Mensch steckt, den man aber nicht zu sehen bekommt. Trump hat dieses Problem nicht. Er zeigt uns jeden Tag, wie er wirklich ist.

Trumps unverstellte "Ehrlichkeit" wird von den Menschen goutiert?

Letzten Endes schon. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir in einem Zeitalter der Propaganda, der Desinformation und der Lüge leben. Politiker vom Schlage Trumps sprechen einen bestimmten, dunklen Aspekt der menschlichen Natur an und das tun sie sehr, sehr effektiv. Die Progressiven machen hingegen immer wieder dieselben Fehler. Wissen Sie was? Nach Trumps erster Wahl 2016 begann im progressiven Lager eine große Debatte. Gebildete Leute stellten sich immer die gleiche Frage: Wie konnte das passieren?

Das ist doch eine durchaus berechtigte Frage?

Ja. Aber die Antworten waren verheerend. Wir müssen auf die Trump-Wähler hören, hieß es, wir brauchen für sie nun Einfühlungsvermögen und Mitgefühl. Blablabla. Wir sollten nicht wieder in diese Falle tappen. Denn worüber wir hier reden, ist todernst. Im Moment erleben wir den Aufstieg von etwas, das sehr stark nach Faschismus stinkt und auch so aussieht. Wahrscheinlich handelt es sich tatsächlich um den Faschismus. Was wir jetzt brauchen, ist daher kein Theoretisieren, sondern Handeln. Gerade im US-Wahlkampf war immer wieder die Rede vom sogenannten Verrat der Eliten. Für mich besteht der Verrat der Eliten nicht darin, dass sie den Menschen auf der anderen Seite nicht gut genug zuhören. Der Verrat der Eliten besteht für mich darin, dass sie keinen wirklichen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das ist einer der Gründe, warum ich "Moralische Ambition" geschrieben habe.

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Womit wir wieder bei der School for Moral Ambition angelangt sind.

Mit meinen Mitgründern will ich so vielen Menschen dabei helfen, wirklich etwas zu bewegen. Nicht nur zu reden, sondern zu handeln. Es gibt so viele wichtige Berufe, "systemrelevant" nannte man sie während der Pandemie: Pflegepersonal, Abfallwerker, Feuerwehrleute und viele andere. Daneben gibt es aber zahlreiche Berufe, bei denen es niemandem auffallen sollte, wenn sie einmal streiken: Influencer, Lobbyisten, Manager und so weiter.

Letztere werden im Gegensatz zu Ersteren in der Regel fürstlich bezahlt.

So ist es. Das Tragische besteht darin, dass in diesen so hochbezahlten Jobs so hochtalentierte Menschen mit den besten Universitätsabschlüssen eben ihr Talent verschwenden. Aber noch schlimmer geht es in den sogenannten "sin industries" zu: In der Werbung arbeiten manche Leute etwa hart daran, anderen Menschen suchterregende Medikamente aufzuschwatzen, Buchhalter verbringen ihren Arbeitstag damit, ihren schwerreichen Klienten bei der Steuerhinterziehung zu helfen. Die Tabakindustrie wiederum ist die bösartigste legale Industrie, die es gibt. Man wird im Grunde genommen angestellt, um andere Menschen süchtig zu machen und sie langfristig zu töten. Laut einer Studie wird ein Job umso besser bezahlt, je moralisch anrüchiger er ist.

Worin besteht denn nun aber das "Bessere", das Sie anstreben?

Ich bin weder ein moralischer Relativist noch ein moralischer Nihilist. Wenn wir darüber nachdenken, was zukünftige Historiker der Zukunft einst über uns sagen werden, bekommen wir eine ziemlich gute Vorstellung davon, was es heute bedeutet, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Es gibt nicht immer eindeutig Schwarz und Weiß, aber es gibt Menschen, die eindeutig moralisch falsch handeln und auf der falschen Seite der Geschichte stehen. Immer mehr Leute sollen erkennen, dass wir als Spezies Teil der gleichen großen Familie sind. Und dass wir alle die gleichen Rechte haben.

Sie werden voraussichtlich viel Geduld zur Erreichung dieses Ziels brauchen angesichts der globalen Entwicklungen.

Ja. Es geht darum, den Kreis der Menschen zu erweitern, die diese Erkenntnis teilen. Viele der ersten Frauen, die einst als Suffragetten für ihre Rechte eintraten, waren gleichzeitig Abolitionisten, also Gegner der Sklaverei. Viele derjenigen, die später für die Rechte von Arbeitern und Kindern aufstanden, waren wiederum zuvor Suffragetten und Abolitionisten gewesen. Oder auch beides zugleich. Veränderung ist möglich.

Aber wie?

In zitiere in "Moralische Ambition" die US-Anthropologin Margaret Mead: "Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe rechtschaffen denkender, engagierter Bürger die Welt verändern kann." Sich auf den eigenen ökologischen Fußabdruck konzentrieren? Das ist zu wenig. Es braucht mehr, ich spreche von einer bestimmten Art, die Welt zu sehen, einer ansteckenden Einstellung, etwas verändern zu wollen. Ich hoffe, ein Feuer in den Herzen der Menschen zu entfachen und sie zu dem Gedanken zu bringen: Heilige Scheiße, das kann ich doch auch!

Nun haben zahlreiche Menschen Berufe, die für die Gesellschaft wichtig sind, keineswegs kann auch jeder einfach seinen Job quittieren. Wen wollen Sie genau erreichen?

Es braucht keineswegs Millionen oder Milliarden Menschen, um etwas zu bewirken. Wir haben in den Niederlanden bislang 2.000 Mitglieder, etwa 700 Menschen nehmen an unseren Zirkeln teil. Das sind kleine Gruppen von sechs bis acht Personen, die das gleiche nagende Gefühl haben, in ihrer Karriere mehr erreichen zu wollen. Und zwar einen größeren Einfluss im Kampf gegen einige der großen Weltprobleme auszuüben. In Deutschland fangen wir gerade an. Klar, wer einen Labrador oder einen elektrischen Rasenmäher besitzt, wird sich in seinen Angewohnheiten eher nicht verändern. Witzig ist es auch, wenn ich mit Leuten darüber spreche, welch moralische Katastrophe die Behandlung von Tieren in unserer Zivilisation ist. Was machen diese Menschen dann? Essen weiter Fleisch. Bei der School of Moral Ambition gehen wir anderes vor.

Wie?

Wir machen es wie bei Gandalf dem Grauen und Frodo Beutlin aus dem Herrn der Ringe. Sie erinnern sich sicher: Eines Tages stand Gandalf bei Frodo vor der Tür und wies ihn auf diese ziemlich üble Gefahr im Lande Mordor hin: "Da gibt es diesen furchtbaren Typen, Sauron, der alle töten wird, wenn du, Frodo, nicht diesen kleinen Ring in den Vulkan wirft, der gleich neben der Bleibe Saurons liegt." Frodo konnte sich einen kleinen Kreis engagierter Bürger suchen, die ihn bei seiner Aufgabe begleiten und unterstützen sollte. Gandalf hat nicht nach seinen persönlichen Leidenschaften gefragt, sondern Frodo die To-do-Liste der Welt präsentiert. Ganz oben stand: Zerstöre den Ring! So arbeiten wir in der School of Moral Ambition: Wir wecken Ehrgeiz.

Was sind einige der genauen Ziele Ihrer School of Moral Ambition?

Eines unserer Anliegen ist der Kampf gegen die Tabakindustrie. Jedes Jahr sterben etwa 60.000 Menschen bei Naturkatastrophen, aber acht Millionen durch die Folgen des Rauchens. Dabei war ich anfangs recht leidenschaftslos, aber als ich mehr und mehr Fakten erfuhr, wurde ich wütend. Wie kann es sein, dass so viele talentierte Menschen ihr Talent für die Tabak-, Alkohol- oder Waffenindustrie verschwenden?

Da haben Sie sich mächtige Gegner ausgewählt …

So ist es nun einmal. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich um ein moralisches Minimum zu bemühen. Manche spenden ein Prozent ihres Einkommens, opfern zwei Stunden ihrer Woche für Freiwilligenprojekte. Hier geht es ausschließlich darum, das absolute Minimum zu tun, um kein Arschloch zu sein. Aber heute reicht es nicht mehr aus, kein Arschloch zu sein. Man muss zu den guten Jungs und Mädels gehören.

Sehen Sie die Gefahr, als überheblich zu gelten?

Überheblichkeit liegt mir fern. Ich verurteile niemanden. Jeder hat das Recht, langweilig zu sein. Was ich persönlich an vielen der großen moralischen Pioniere der Geschichte bewundere, ist die Tatsache, dass sie zu ihrer Zeit keineswegs beliebt waren. Die Abolitionisten waren regelrecht verhasst, viele der Suffragetten unglaublich umstritten. Selbst bei Frauen. Heute bewundern wir sie hingegen sehr. Ich habe diese Leute studiert und bin zu dem Urteil gekommen, dass diese Art zu leben mehr Sinn hat, als nur eine oberflächliche Popularität zu genießen, die keine tiefere Bedeutung besitzt.

Besonders mit den Abolitionisten beschäftigen Sie sich im aktuellen Buch.

Eines der Dinge, die mich an dieser Bewegung wirklich fasziniert, ist, dass sie hauptsächlich von Unternehmern geführt wurde. Bei den zwölf Gründern waren ein Anwalt und ein Schriftsteller dabei, der Rest bestand aus Unternehmern. Deshalb habe ich im vergangenen Jahr nach solchen moralisch ambitionierten Unternehmern Ausschau gehalten. Es geht mir um ihre Denkweise, sich nicht selbst nicht als ein Rädchen im Getriebe zu sehen, sondern als Akteur, der etwas bewirken kann.

Haben Sie eine Art historisches Vorbild?

Thomas Clarkson war einer der Urväter der Abolitionistenbewegung in Großbritannien. Ohne ihn hätte es die Sklaverei möglicherweise noch viel länger gegeben. Aber Clarkson hat tatsächlich den Lauf der Geschichte verändert. Großbritannien schaffte letztlich nicht nur selbst die Sklaverei ab, sondern zwang auch andere Länder dazu. In den Niederlanden, meiner Heimat, scherte man sich einen Dreck um das Schicksal der Versklavten, doch die Briten sorgten auch dort für eine Aufhebung des Sklavenhandels. In Clarksons Biografie erkennt man eine gewisse Eitelkeit und einen tief empfundenen Idealismus. Eine Kombination, die auch heute noch viele junge Leute betrifft, die sagen: Ich will der Welt meinen Stempel aufdrücken.

Worauf wollen Sie hinaus?

So viele junge Menschen verlassen tolle Schulen und noch bessere Universitäten. Alles steht ihnen offen. Aber was passiert? Die traurige Realität ist, dass so viele von ihnen derzeit von Unternehmen wie McKinsey, Boston Consulting Group, Goldman Sachs oder was auch immer aufgesaugt werden. Sie werden dann zu langweiligen Leuten, die langweilige Power-Point-Präsentationen oder Berichte anfertigen, die keinen interessieren und keiner liest. Die Geschichte von Thomas Clarkson könnte diesen Menschen zeigen, wie man sein Talent anders nutzen kann. Clarkson war ein brillanter Student in Cambridge, aber er dachte: Okay, ich kann in der Church of England eine große Karriere machen, aber ich könnte auch etwas viel Wichtigeres tun: Und zwar gegen Sklaverei und Sklavenhandel kämpfen.

Also der Frodo zu sein, um in Ihrem Bild zu bleiben?

Clarkson war sicher etwas von sich eingenommen: Es zählt aber, dass er getan hat, was in seiner Macht stand. Clarkson hat mehr als 60 Jahre gegen die Sklaverei gekämpft, er hat dafür alles gegeben, was er hatte. Er gab sein ganzes Geld dafür aus, war irgendwann völlig pleite. Er erlitt das, was wir heute einen Burn-out nennen, er schaffte es nicht einmal mehr die Treppe hoch.

Das dürfte nun manchen eher abschrecken.

Man sollte es nicht übertreiben. Aber Clarksons zentrale Lehre ist doch eine andere: Wenn du schon hart arbeitest, dann doch für eine Arbeit, die wirklich zählt, oder? Wie viele Leute erleiden heute Burn-outs in einem Job, um irgendwelche unsinnigen Produkte zu verscherbeln? Wenn mehr Menschen moralisch ambitioniert werden, kann sich vieles ändern. Auch für Leute, die diesen Weg nicht gehen wollen oder können. Moralische Ambition kann ansteckend sein. Entscheidend ist doch die Frage: Wie werden unsere Nachkommen einmal auf uns schauen? Also, ich wäre lieber ein guter Vorfahre. Zum Beispiel geht mein gesamter Erlös aus meinem neuen Buch an die School of Moral Ambition.

Herr Bregman, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Rutger Bregman via Videokonferenz
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