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Putin und Olaf Scholz haben telefoniert: Die Botschaft war wohl deutlich


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Kolumne "Russendisko"
Putins Botschaft an Scholz dürfte klar sein

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 24.11.2024 - 09:37 UhrLesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Russlands Machthaber will nichts wiederhergeben, meint Wladimir KaminerVergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Machthaber will nichts wieder hergeben, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Wjatscheslaw Prokofjew/AP/dpa)

Olaf Scholz und Wladimir Putin haben telefoniert, sonderlich ergiebig war das Gespräch eher nicht. Derweil geht in Russland Unheimliches vor, meint Wladimir Kaminer.

Die Nachricht, dass der Bundeskanzler den russischen Präsidenten angerufen hat, zum ersten Mal seit Beginn des Krieges, fand ich unglaubwürdig übertrieben. "Über eine Stunde" habe sich Olaf Scholz mit Wladimir Putin unterhalten. Worüber könnte Scholz mehr als 60 Minuten mit Putin sprechen?

In den Zeitungen stand, der Kanzler habe den Krieg verurteilt und Putin aufgefordert, "diesen zu beenden und Truppen zurückzuziehen“. Gute 30 Sekunden sind damit gefüllt. Und weiter? Ich stelle mir das Gespräch wie folgt vor:

"Bundeskanzler: 'Herr Präsident, wir schlagen vor, sofort den Krieg zu beenden und Friedensgespräche zu beginnen.'

Putin: 'Wir unterstützen dieses Anliegen voll und ganz. Sie kennen unsere Bedingungen: die Entwaffnung der ukrainischen Armee, internationale Anerkennung der besetzten Gebiete als russisches Territorium, sofortige Abschaffung aller Sanktionen gegen Russland und die Halbierung der Nato-Kräfte in Europa. Was sind Ihre Vorschläge?'

Bundeskanzler: 'Unterschreiben Sie den sofortigen Waffenstillstand.'

Putin: 'Danke, kein Interesse. Auf Wiederhören.' (legt auf)

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein neuestes Buch "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen" erschien am 28. August 2024.

Ich schätze die Dauer dieses Gesprächs auf maximal zwei Minuten. Worüber sie die restlichen 58 Minuten gesprochen haben, ist mir ein Geheimnis. Hat Scholz ihm etwas über seine Tasche erzählt? Er kann sehr lustig über seine Aktentasche erzählen, das kurze Video auf TikTok war einer der Höhepunkte seiner Amtszeit, sehr viele Menschen haben es angeschaut. Die Geschichte war aber auch nur eine Minute lang.

Möglicherweise bemühen Diplomaten für solche stundenlangen Gespräche die Künstliche Intelligenz (KI), sie kann sehr gut lange, sinnlose Telefonate führen und Gespräche nach Belieben verlängern. Nicht umsonst arbeiten inzwischen sogar schlaue Telefonbetrüger mit KI und haben den uralten Enkeltrick unheimlich modernisiert. Meine Tante, die Schwester meiner Mutter, ist in Moskau den KI-Betrügern beinahe auf den Leim gegangen, wir haben neulich fast eine Stunde telefoniert, inhaltlich länger als der Bundeskanzler mit Putin.

Russland hat nun eigene Algorithmen

Die Tante berichtete von ihren Abenteuern im Internet. In Russland findet nämlich eine großangelegte Kampagne für "traditionelle Werte" statt, der Präsident macht persönlich Werbung für "souveränes russisches Internet, das nur mit souveränen russischen Algorithmen" gemacht wird. Und das Volk schweigt dazu. Der Bevölkerung ist es egal, mit welchen Algorithmen das Internet gespickt ist, Hauptsache, es funktioniert.

Die Informatiker lachen innerlich über diese "russischen Algorithmen", aber sie lassen sich nichts anmerken, das Strafmaß für Illoyalität ist sehr hoch. Also wird massiv in der Öffentlichkeit gegen die europäischen liberalen Werte gehetzt und mit russischen traditionellen Algorithmen angegeben. Das Lieblingsthema des Präsidenten ist der gottlose Niedergang Europas.

"Die Europäer haben sogar die Urinale von den Toilettenwänden gerissen, um diese Toiletten genderneutral zu gestalten", erzählte der Vorsitzende des russischen Parlaments in den Nachrichten. "Die Kinder Europas werden bald nicht mehr wissen, wer ihre Mütter und wer ihre Väter sind", bemitleidete er die Europäer. In Russland wird dagegen Familie großgeschrieben und Ahnenforschung den Menschen als perfekte Freizeitbeschäftigung empfohlen.

Das souveräne Internet ist voll damit: "Wo komme ich her? Wir helfen bei der Suche nach der eigenen Identität ..." So ist die Schwester meiner Mutter in Moskau auf ihren langen Reisen durch die Schneewüsten des zensierten russischen Internets auf der angeblich vom Staat betriebenen Seite "Unsere Ahnen" gelandet. "Unsere Ahnen" forderte meine Tante auf, zwecks Ermittlung der weiteren Verwandtschaft die Fotos aus dem Familienalbum auf dieser Seite zu posten.

Auch eine KI hat wohl Geldbedarf

Also hat die Tante das Foto ihrer vor fünfzig Jahren verstorbenen Mutter, meiner Oma, hochgeladen. "Haben Sie noch mehr Fotos von Ihren Verwandten? Die Erinnerung an die Wurzeln darf nicht erlöschen, lassen Sie uns gemeinsam ihre Vorfahren zurück ins Leben rufen!": Mit diesem Slogan versprach die Internetseite, eine Art virtuelle Familientrauerstätte zu errichten. Und siehe da, einen Tag später bekam die Tante von der verstorbenen Oma eine Textnachricht. Die Oma freute sich über ihre virtuelle Wiedergeburt und wollte ihre Töchter unbedingt aus dem Jenseits anrufen.

Doch solche Jenseitsgespräche seien sehr teuer: Deshalb sollte die Tante sofort 50.000 Rubel auf ein Kryptokonto überweisen, die Daten seien im Anhang. So wollte es angeblich unsere Oma, die es anscheinend geschafft hat, im Jenseits eine Ausbildung im Bereich Fachinformatik zu absolvieren, mit Schwerpunkt Kryptowährungen. Die Tante war verblüfft und misstrauisch, sie hat den Geldtransfer nicht gemacht.

Im Freundeskreis der Tante berichteten jedoch einige Senioren, sie hätten überwiesen und seien in der Tat von verstorbenen Verwandten angerufen worden. Die Stimmen klangen demnach sehr authentisch, die Verstorbenen waren wohl heilfroh, endlich wieder mit jemandem zu kommunizieren. Ohne Ausnahme hätten sie sich darüber beschwert, wie teuer das Leben im Jenseits sei, vor allem die kommunalen Abgaben seien sehr hoch.

Sie baten um finanzielle Unterstützung. Deswegen rief mich die Tante in Berlin an, um meine Mutter, die auch viel Zeit in den Wüsten des russischen Internets verbringt, zu warnen: Damit sie auf diesen KI-Betrug nicht reinfällt. Ich befürchte, wir werden alle früher oder später von der KI reingelegt. Was macht diese KI aber nur mit dem Geld? Kauft sie sich etwas oder überweist sie alles an Elon Musk?

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