Kolumne "Russendisko" Wollen die Russen Putin eins auswischen?
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.In den USA stehen Wahlen an, die Russen haben einen Favoriten fürs Weiße Haus. Wollen sie ihrem eigenen Präsidenten Putin damit etwas sagen? Fragt sich Wladimir Kaminer.
"Wird Trump diesen Verband am rechten Ohr nun für immer tragen?", fragte mich meine Frau verwundert. "Er hatte doch nur einen Kratzer abbekommen. Daraus wird die nun am schwersten zu heilende Wunde, die jemals einem Menschen zugefügt wurde." Ich konterte: "Für immer wird er den Verband nicht tragen." Und tippte auf drei bis vier Monate, so lange, bis die Präsidentschaftswahl in den USA vorbei ist. Dann wird uns die damit verbundene Aufregung fehlen.
Meine Frau und ich schauen uns jeden Tag Nachrichten aus Amerika an, wir sind im spannenden amerikanischen Wahlkampf versunken. Auch meine Mutter und meine Kinder lesen jeden Tag darüber. Neulich bei der Hausversammlung sprachen die Miteigentümer nur darüber, ob der Trump noch die Kurve kriegt.
Zur Person
Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Gebrauchsanweisung für Nachbarn" (mit Martin Hyun) ist im März 2024 erschienen.
Aus Hollywood kam in der letzten Zeit enttäuschend wenig Neues, alter Wein in neuen Schläuchen: "Beverly Hills Cop 4", "Bad Boys 4", "Matrix 5". Auch die Neuverfilmung von "Avatar" und dem Affenplaneten ließ uns kalt. Aber die Realityshow "Präsidentschaftswahl in den USA" kann über fehlende Aufmerksamkeit der Zuschauer und mangelndes Medieninteresse nicht klagen. Das Drehbuch hat noch viele Überraschungen parat.
In der letzten Folge verzichtete der amtierende Präsident auf seine Kandidatur; sein ruppiger Herausforderer, für viele das Böse in Person, der die Welt ins Chaos zu stürzen droht, lief nach einem Attentat mit einem Verband am Ohr herum. Viele seiner Anhänger hatten sich auch ein Pflaster auf die Ohren geklebt, aus Solidarität mit ihrem Idol. Gleichzeitig mit dem Pflaster bekam Trump eine neue Gegnerin, sie wurde gerufen, um dem Bösen den Weg ins Weiße Haus abzuschneiden.
Trump im Dauerangriffsmodus
Hat jetzt Donald Trump ein Problem? So titelten die Zeitungen. Die ganze Zeit pöbelte er gegen seinen Konkurrenten, den amtierenden Präsidenten Biden, dieser sei zu alt, um zu regieren, und beleidigte ihn in seiner gewohnten Manier. Die simple Weisheit "Lache nie die Alten aus, eines Tages wirst Du selbst einer von ihnen sein" hat er ignoriert. Nun hat er den Salat. Ab sofort ist Trump der älteste Präsidentschaftskandidat der US-Geschichte. Außerdem muss er jetzt eine Frau beschimpfen. Es macht schon einen Unterschied, wenn alte weiße Männer sich gegenseitig anpöbeln, oder ein alter Mann gegen eine jüngere Frau wettert.
Das könnte in der Wahrnehmung des Volkes nach hinten losgehen. Gut, Trump war schon immer für seine Misogynie bekannt, er beschimpfte und beleidigte am laufenden Band, ohne Rücksicht aufs Geschlecht. Es machte für ihn schlicht keinen Unterschied. Das schien seinen Anhängerinnen sogar zu gefallen. Die vor zehn Jahren gegründete Organisation "Women for Trump" zählt Abertausende Mitglieder.
Die deutschen Medien titelten beinahe einheitlich "Wird Kamala Harris Trump stoppen?" In Deutschland jedenfalls hat sie ihn gestoppt und die Wahl quasi bereits gewonnen. Bei einer Umfrage "Wen würden die Deutschen zum Präsidenten in den USA wählen" haben nur 13 Prozent für Trump gestimmt. Die Bereitschaft hierzulande, an einer solchen Umfrage teilzunehmen, war ungewöhnlich hoch. Es ist sonst bei uns wenig los: Nacktschneckenplage in Brandenburg, die Galeries Lafayette machen zu und Laura Müller bekommt ein neues Kind. Und selbst wenn nächstes Jahr in Deutschland gewählt wird: So einen spannenden Kampf wie in den USA werden wir, Gott sei Dank, nicht bekommen.
Auch in Russland lenkt der amerikanische Wahlkampf seit Langem die Politik. Ihren eigenen Ewigpräsidenten werden die Russen nicht los, egal ob sie ihn mögen oder nicht, aber auch sie durften in einer Umfrage abstimmen, wen sie in Amerika wählen würden. In Russland hat Trump haushoch gewonnen. Warum eigentlich? Putin sagte einmal, er fände Biden ganz okay. Biden war für Russland vorhersehbar – in der Kaderschmiede des Kalten Kriegs geschult, agierte er immer nach einem klaren Muster.
Vielleicht stimmten die Russen gerade deswegen für Trump, um ihrem Präsidenten eins auszuwischen? Die Wahrheit ist allerdings: Weder die Deutschen noch die Russen werden in den USA wählen dürfen, stattdessen spielen irgendwelche Wahlleute aus Michigan und Minnesota eine wichtige Rolle. Verdammt schade und krass ungerecht, dass wir nicht mitentscheiden dürfen, wer der nächste Präsident Amerikas wird. Ich habe mir die Demokratie anders vorgestellt.