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Russland als Diktatur: So tricksen Schüler Putins System aus


Kolumne "Russendisko"
So rächt sich Putins Eitelkeit

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

11.07.2024Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Wladimir Putin: Die russischen Schulen dienen als Hort der Indoktrination.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Die russischen Schulen dienen als Hort der Indoktrination. (Quelle: Alexander Kazakov/reuters)

Fleißig lernen ist der Schlüssel zu schulischem Erfolg. Oder? Clevere Schüler haben sich in Russland einen Weg einfallen lassen, um Bestnoten zu erzielen. Meint Wladimir Kaminer, dem das Ganze ziemlich bekannt vorkommt.

Sommerzeit ist Prüfungszeit, russische Abiturienten bereiten sich auf die wichtigste Prüfung ihres Lebens vor, auf das Einheitliche Staatsexamen. Eingeführt im Juli 2000, diente es dem Zweck, die Bewertung der Schulleistung den Händen der Lehrer zu entreißen – und dem Staat zu überantworten. Die Abschlussprüfungen sollten nicht mehr wie früher in den Schulklassen, sondern vor speziell dafür eingerichteten Komitees abgehalten und von einer speziellen Kommission unter Aufsicht des Bildungsaufsichtsrates nach einem 100-Punkte-System bewertet werden.

Mit einer ausreichenden Punktzahl dürfen die Schüler sofort an jeder Universität und an jeder Hochschule studieren, die Aufnahmeprüfungen in den Hochschulen und Unis sind Geschichte, allein die Ergebnisse des Einheitlichen Staatsexamens gelten als ausschlaggebend für die weitere Laufbahn der Jugendlichen. Entsprechend ist die Aufregung bei der Vorbereitung und Durchführung dieser einheitlichen Maßnahme jedes Jahr groß, die Schüler und die Eltern sind nervös, Kinder, die durchfallen, werden möglicherweise schon im Herbst in die Armee einberufen.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Gebrauchsanweisung für Nachbarn" (mit Martin Hyun) ist im März 2024 erschienen.

In den sozialen Netzwerken brennt die Luft, es werden heftig Tricks ausgetauscht, wie man die Prüfer überlisten kann. Die Jugend ist erfinderisch, es gibt immer einige gute Ideen und Tipps, die weiterhelfen können. Dieses Jahr hat das Gerücht die Runde gemacht, dass bei der Prüfung im Fach Russisch Zitate von Putin besonders hoch bewertet werden. Die Teilnehmenden müssen einen Aufsatz zu einem vorgegebenen Thema schreiben, und Putin-Zitate seien ein sicherer Hafen, ganz egal, um welches Thema es sich handelt. Jeder, der den Präsidenten einmal zitiert, bekommt mindestens 97 Punkte für den Aufsatz. Selbst mit einem Fake-Zitat, das spielt keine Rolle.

Angeblich haben die Prüfer einfach Angst, Putins Reden schlecht zu bewerten. Dieses Gerücht hielt sich so hartnäckig, dass die Bildungsaufsicht sich schon mehrmals gezwungen sah, derlei Behauptungen in der Öffentlichkeit zu dementieren. Doch wer glaubt schon der Bildungsaufsicht? Es kursieren im Netz große Sammlungen von Putin-Fake-Zitaten, mit denen man gut durch die Prüfung komme. Das Risiko, entlarvt zu werden, tendiert gegen null. Wer will schon die Verantwortung übernehmen und behaupten, Putin habe dieses oder jenes nie gesagt?

Nichts, was Putin nicht schon gesagt hätte

Putin ist seit gut 25 Jahren an der Macht, quasi seit der Einführung des Staatsexamens. Er führt Gespräche mit Journalisten, Abgeordneten und Menschen aus dem Volk. Seine berüchtigten "Direkter Draht"-Sendungen dauern manchmal einen ganzen Tag. Er hat schon alles Erdenkliche zu jedem Thema gesagt, jede Buchstabenkombination ausgesprochen. Außerdem wird den Schülern empfohlen, nicht auf eine konkrete Rede des Führers Bezug zu nehmen, sondern entsprechende Einführungssätze zu benutzen.

Beispiele gibt es jede Menge: "Wie unser Präsident einmal im Fernsehen betonte ... blabla" oder "Auf diese Frage antwortete einst unser Präsident ohne zu zögern ... blabla", auch "Wie unser Präsident mehrmals argumentierte ... blabla" ist möglich. Eine weitere Variante ist "Dieses oder jenes liege im Blut, im Charakter, in den Genen unseres Volkes, sagte unser Präsident und betonte ... blabla". Selbst wenn der Rest des Aufsatzes vollkommen das Thema verfehlt hat, werden die Texte mit den Fake-Zitaten eindeutig besser bewertet als ähnlich schlechte Texte ohne solche Zitate. Das behaupten mehrere anonyme Schülergruppen.

Man muss nur lange genug leben, um seine eigene Kindheit wieder zu erleben, dachte ich, als ich darüber las, und erinnerte mich an meine Schulzeit in der Sowjetunion. Damals hatten wir zwar kein Einheitliches Staatsexamen, dafür mussten wir in Gesellschaftskunde einen Aufsatz schreiben, ein Horror für uns. In unseren Aufsätzen haben wir den damaligen starken Mann Leonid Breschnew mit den blödesten Fake-Zitaten beehrt, die uns einfielen. In einem Land, wo die Wahrheit verboten war, wagten unsere Lehrer es nicht, unsere Breschnew-Zitate zu hinterfragen.

Außerdem sprach unser Generalsekretär nach zwei verschwiegenen Schlaganfällen und einer ebenfalls geleugneten misslungenen Kinnladeoperation dermaßen unverständlich, dass selbst die Mitglieder des Politbüros auf ihren Sitzungen Schwierigkeiten hatten zu merken, wann sie klatschen sollten und wann nicht. "Die Ökonomie soll ökonomisch sein", und "Wir schauen stets nach vorne, mit dem Gesicht nach hinten", das hatte unser Breschnew gesagt.

Inzwischen weiß niemand mehr, was der Generalsekretär selbst gesagt und was wir, die sowjetischen Schüler, ihm in den Mund gelegt haben. Viele Zitate sind Witze geworden. Mein Lieblingswitz über ihn ging so: "Breschnew gibt eine Pressekonferenz. Bitte weitere Fragen! Die Journalisten schweigen. Das kann nicht sein, Genossen, wundert sich Breschnew. Ich habe noch zwei Antworten vor mir auf dem Tisch liegen."

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