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Ukraine-Krieg: Angriffe auf russischem Boden erlaubt?


Angriffe auf russischem Boden
So stark darf die Ukraine im Krieg zurückschlagen

Von reuters
Aktualisiert am 29.05.2024Lesedauer: 5 Min.
imago images 0470838782Vergrößern des Bildes
Ukrainisches Artilleriefeuer in der Region Saporischschja: Darf das Land auch Ziele in Russland attackieren? (Quelle: Smoliyenko Dmytro/Ukrinform/ABACA/imago-images-bilder)

Der französische Präsident hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, dass die Ukraine auch Ziele im russischen Hinterland attackieren könne. Doch wäre das überhaupt zulässig? Ein Überblick.

Weil die russischen Truppen in den vergangenen Wochen Geländegewinne im Osten der Ukraine erzielen konnten, hat sich die öffentliche Debatte verstärkt, ob der Westen die Ukraine mit ausreichend Waffen versorgt – und ob diese Waffen auch für Angriffe auf russisches Territorium eingesetzt werden dürfen. Druck für eine Lockerung kommt vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Doch darf die Ukraine russisches Territorium angreifen? Ein Überblick:

Was sagt das Völkerrecht?

Die Bundesregierung hat immer wieder darauf verwiesen, dass die Ukraine als von Russland überfallenes Land nach Artikel 51 der UN-Charta das Recht auf Selbstverteidigung hat – was auch Angriffe auf Ziele innerhalb Russlands beinhaltet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron konkretisiert, dass für ihn auch ukrainische Angriffe auf Raketenbasen im russischen Hinterland erlaubt sind, von denen aus die Ukraine attackiert wird und er darin keine Eskalation des Konfliktes sieht. Allerdings dürfe die Ukraine nur solche Ziele und keine zivilen Objekte in Russland angreifen.

Nach Lesart der Bundesregierung und der Nato-Staaten kann die Ukraine russisch besetzte und annektierte Gebiete – also die Krim oder Teile der Ostukraine – ohnehin angreifen, weil diese völkerrechtlich ukrainisches Staatsgebiet sind. Es geht um die Befreiung dieser russisch besetzten Gebiete.

Die Ukraine greift bereits seit Monaten mit selbst produzierten Waffen wie Drohnen immer wieder Ziele in Russland an. Dazu gehören etwa Öldepots, Raffinerien und Ziele in der russischen Stadt Belgorod in der gleichnamigen Grenzregion. Sie will damit nach eigenen Angaben die Logistik und den Nachschub der russischen Invasionstruppen treffen.

Liefert Deutschland Waffen für diesen Zweck?

Die meisten von Deutschland gelieferten Waffen sind für Angriffe im russischen Hinterland eher nicht geeignet. Dies betrifft eigentlich nur die gelieferten Mehrfachraketenwerfer von US-Typ Himars (High Mobility Artillery Rocket System), die eine Reichweite bis zu 80 Kilometern haben sollen – die Deutschland aber erst im Mai 2024 zugesagt hat. Die von Deutschland gelieferten Panzerhaubitzen etwa werden dagegen nicht in direkter Frontnähe eingesetzt, haben ohnehin eine kürzere Reichweite und erreichen deshalb schlecht russische Stellungen deutlich hinter der Front.

Untersagt die Bundesregierung den Waffeneinsatz in Russland?

Die Bundesregierung und andere westliche Regierungen haben sich zu diesem Thema lange Zeit nicht geäußert – deshalb ist der Eindruck entstanden, dass ein Einsatz gegen Ziele in Russland nicht möglich sei. Nach Angaben von EU-Diplomaten war es auch beabsichtigt, einen "Graubereich" zu lassen, weil man in Kriegszeiten nicht über alle Fragen öffentlich reden könne. Kritik von Politikern aus der Ampelkoalition und Opposition an einem vermeintlichen Verbot haben den Eindruck einer Blockade noch verstärkt – was nach Angaben aus Regierungskreisen aber ein Missverständnis ist.

Die Irritationen hängen auch damit zusammen, welche Waffen Deutschland wann im Laufe des Krieges geliefert hat. "Gleichzeitig ist klar, dass die Waffen, die wir geliefert haben, nur auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz etwa im Mai 2023 – was angesichts der zu diesem Zeitpunkt gelieferten Waffen und des Kriegsverlaufs damals wohl auch zutraf.

Am Sonntag verwies Scholz dann mit Hinweis auf das Völkerrecht darauf, dass es Regelungen mit der Ukraine gebe, die sich bewährt hätten. Dies ist von einigen Medien so verstanden worden, dass er einen Einsatz auf Ziele in Russland generell ablehnt. In Regierungskreisen wurde dies intern dementiert. Am Dienstag stellte Scholz auch öffentlich klar, dass dies nicht so sei. "Wir haben alle Regelungen entwickelt, die besagen, dass sich das immer im Rahmen des Völkerrechts bewegen muss. Das ist das, was wir vereinbart haben. Das hat bisher praktisch gut funktioniert und wird sicherlich auch weiterhin funktionieren", sagte er stattdessen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) äußerte sich am Mittwoch zurückhaltend zu der Diskussion. "Klar sollte sein im Interesse auch militärischer Taktik und Strategie, dass man nicht öffentlich darüber diskutiert, was geht, was erlaubt ist und was wir möchten oder sehen möchten oder nicht", sagte der Minister beim Besuch der Flugabwehrraketengruppe 21 in Sanitz in Mecklenburg-Vorpommern, die das Waffensystem Patriot einsetzt.

Er fügte hinzu: "Das Völkerrecht lässt das alles zu. Was dann im Einzelnen geregelt ist zwischen den Staaten, das hat der Kanzler gestern gesagt, ist eine Regelung zwischen den Staaten." Er wolle die Diskussion gerne aus der Öffentlichkeit heraushalten, sagte Pistorius. "Ich glaube nicht, dass der Kreml uns offenlegt, wozu er bereit ist, an welcher Stelle welche Waffen einzusetzen."

Warum ist die Bundesregierung so zurückhaltend?

Wie schon in der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine wird vor allem im Kanzleramt argumentiert, es handele sich um einen Krieg, weshalb nicht alle Fragen öffentlich beantwortet werden könnten. "Es tut der Debatte nicht gut, wenn alle ihre spontane Meinung in Mikrofone bellen", sagte Vizekanzler Robert Habeck am Mittwoch. Regierungssprecher Steffen Hebestreit verwies auf die Vertraulichkeit der Vereinbarung mit der Ukraine.

Wegen der dennoch bei der Militärhilfe für die Ukraine wabernden öffentlichen Debatte korrigierte der Kanzler diese Haltung bei anderen Themen zögerlich. Weil der Druck so stark wurde, veröffentlichte die Bundesregierung – anders als die meisten anderen westlichen Regierungen – dann etwa doch, was der Ukraine an Waffen geliefert wurde und wird. Der Frage nach einer Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper wich Scholz ebenfalls lange aus, bis er doch öffentlich Gründe für seine Ablehnung nannte.

Gibt es einen Zusammenhang mit der Taurus-Debatte?

Indirekt betrifft die Diskussion auch die Ablehnung der Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine. Denn sie könnten – anders als die gelieferten französischen und britischen Marschflugkörper – auch Moskau erreichen. Gerade wegen dieser Reichweite müsste Deutschland bei einer Lieferung unbedingt die Kontrolle über die Zieleinstellung haben, sagte Scholz. Dann wäre man aber direkt am Krieg beteiligt, was die Bundesregierung ausschließt.

Was tun die Partner?

Macron hat beim Treffen mit Scholz in Meseberg gesagt, dass die Ukraine auch Ziele im russischen Hinterland angreifen können solle. "Wir wünschen uns, die Möglichkeit zu haben, auf diese Raketenabschussanlagen feuern zu können", sagte er mit Blick auf die Stellungen, von denen aus die Ukraine angegriffen wird. Im Grunde richtete Macron diesen Appell an sich selbst. Denn nur Franzosen, Briten und Amerikaner liefern der Ukraine entsprechende Waffen, die nicht nur gegen Ziele im Grenzgebiet eingesetzt werden könnten. "Aber wir werden natürlich in keinem Fall in irgendeiner Weise erlauben, dass andere Orte in Russland, schon gar keine zivilen Orte angegriffen werden", fügte Macron hinzu.

Die US-Regierung hat Aussagen und klare Zusagen mindestens so sehr gescheut wie die Bundesregierung. EU-Diplomaten gehen aber davon aus, dass die Regierung in Washington den Ukrainern denselben "Graubereich" bei Einhaltung des Völkerrechts beim Einsatz gelieferter Waffen gewährt wie die Europäer. Nur hat Washington mit Blick auf eine unbedingt zu vermeidende Konfrontation der beiden größten Atommächte wenig Interesse an einer öffentlichen Debatte darüber. Die US-Regierung ringt mit sich, ob sie ein OK für den Einsatz weitreichenderer Waffen gegen Ziele in Russland geben sollte.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur Reuters
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