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Sanktionen gegen Russland: Wladimir Putin nutzt das jetzt schamlos aus


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Sanktionen gegen Russland
Das nutzt Putin jetzt schamlos aus

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

02.10.2023Lesedauer: 3 Min.
Wladimir Putin: Der Kremlchef nutzt westliche Sanktionen für seine Propaganda, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der Kremlchef nutzt westliche Sanktionen für seine Propaganda, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Artyom Geodakyan/Sputnik/Kremlin Pool/AP/dpa)
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Russland kämpft gegen die Ukraine, der Westen hält mit Wirtschaftskrieg und Sanktionen dagegen. Bisweilen trifft es aber die Falschen, meint Wladimir Kaminer.

Von allen Seiten höre ich, wie der Krieg die Wirtschaft Russlands belebt: Alle Sparschweine des Staates, einschließlich des nationalen Rettungsfonds, werden kaputtgeschlagen. Alles muss raus, das Geld wird großzügig verteilt. Maschinenbaufabriken arbeiten nun in drei Schichten. Im Krieg wird alles gebraucht, die Armee muss angekleidet, medizinisch versorgt und gefüttert werden.

Vor allem bleibt dieses frische Geld nicht in den Finanzzentren der Großstädte, bei den Banken und Großkonzernen stecken, es kommt diesmal tatsächlich auch bei den ärmsten Schichten der Bevölkerung etwas an: bei den Familien aus wirtschaftlich schwachen Regionen, die ihre Söhne als Soldaten an die Front verkauft haben, bei den Arbeitern der Maschinenbaubetriebe, die in den Jahrzehnten davor vor sich hin vegetierten.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich ist sein neues Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse" erschienen.

Diese Arbeiter wollen ebenso wenig sparen wie die Angehörigen der Soldatenfamilien. Sie geben das Geld großzügig aus, denn sie hatten früher nichts und wollen jetzt alles. Das wiederum belebt den inländischen Handel. Der Krieg wirkt wie eine Drogenspritze. Doch irgendetwas stimmt bei dieser Rechnung nicht, denn wenn der Krieg wirklich so erfrischend für die Wirtschaft wäre, würden sämtliche Staaten nichts anderes machen, als Kriege führen. Irgendwo muss ein Haken sein.

Vielleicht besteht er darin, dass sämtliche Anstrengungen eines kriegführenden Landes stets im Nichts enden. Sie schaffen weder einen Mehrwert noch irgendwie stabilen Wohlstand. Am Ende – egal, ob ein Land siegt oder verliert – bleiben nur eine Menge Leichen, ein kaputt zerschossenes Territorium und eine verlorene Generation, die sich aufgegeben hat.

Entschieden unentschieden?

Die wahren Gewinner eines Krieges sind eben nicht die kriegführenden Staaten, sondern diejenigen, die den Krieg formal verurteilen und gleichzeitig die sich bekämpfenden Gegner stützen. Diese wirtschaftlich schlaue, moralisch umstrittene Haltung nimmt Deutschland ein. Offiziell verurteilt die Bundesregierung Russlands Krieg gegen die Ukraine – Deutschland liefert Militärgüter in die Ukraine, gelangt aber weiterhin an russisches Öl und Gas, Dünger, Chemikalien, Stahl. Öl aus Russland kommt über den Umweg Indien nach Deutschland.

Die Bundesregierung sagt, dass man Russland diesen Krieg nicht gewinnen lassen werde, das Böse müsse bestraft werden. Zugleich füllt man aber Putins Kriegskassen, denn ein verlorenes Russland möchte man auch nicht neben sich haben. Als Bonus lässt Deutschland mit strikten Sanktionen auch alle Kriegsgegner aus Russland an der europäischen Grenze abblitzen.

Was dem Regime im Kreml ein gewichtiges Argument für die Fortsetzung des Krieges gibt und der Bevölkerung keine Wahl lässt: Sie werden ihrem Führer Putin auf dem silbernen Tablett serviert. Wie das? Vor einem Monat rief mich ein alter Bekannter an, der in Kiel angehalten worden war. Der in Russland angeklagte Journalist, als Kriegsgegner der "Verleumdung der russischen Streitkräfte" beschuldigt, dürfe nicht mit seinem Auto passieren. Obwohl ein Visum vorhanden und alle Papiere in Ordnung waren.

Außerdem hätten ihm die Zöllner sein Gepäck wegnehmen wollen, einschließlich der Rolle Toilettenpapier, die sie in seinem Auto fanden. "Nach welchem Gesetz haben sie dich angehalten?", fragte ich ihn am Telefon und bekam ein Foto von der "Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren".

Sinn verfehlt?

Die Verordnung ist 214 Seiten lang, dort wird aufgezählt, was russische Bürger in die EU nicht mitnehmen dürfen: Autos, Klamotten, Kosmetik, technische Geräte, mit einem Wort: nichts. Die Frage, ob es sich um Eigenbedarf handelt oder man vorhat, mit Toilettenpapier auf europäischem Boden zu handeln, wird in der Verordnung als irrelevant beschrieben. Laut der Anlage 3i dieser Verordnung dürfen Russen offensichtlich nur nackt und zu Fuß die Grenze passieren.

Der Vorschlag für diese Verordnung wurde einst von Deutschland initiiert. Später, nach der Invasion der Ukraine 2022, hatte sich Kanzler Olaf Scholz als willig bekannt, russische Kriegsdienstverweigerer aufzunehmen. Wohlwissend, dass es kaum einer von ihnen bis nach Deutschland schaffen würde. Die meisten Länder, die eine Grenze mit Russland haben, lassen aufgrund dieser EU-Verordnung Autos mit russischen Kennzeichen nicht durch, sie haben die Grenze quasi geschlossen.

Verwunderlich ist die Entscheidung aber vor allem, wenn man bedenkt, dass der Sinn der Sanktionen ursprünglich ein anderer war – nämlich das Regime Putins zu schwächen. Passiert ist das Gegenteil: Während für wirtschaftliche Zwecke benötigte Güter auf Umwegen von Russland nach Deutschland transportiert werden, werden Regimegegner fertiggemacht. Putins Freunde fahren derweil nach Europa, sie feiern und genießen ihren Urlaub. Denn sie haben sich in der EU "goldene Pässe" gekauft, ihre Autos haben keine russischen Kennzeichen.

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