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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach Anschlag in St. Petersburg Russen-Blogger in Angst: "Nicht vor eigenen Leuten geschützt"
Nach dem Bombenanschlag, bei dem der prorussische Propagandakrieger Wladlen Tatarskij ums Leben kam, wächst die Sorge unter Betreibern von Kriegs-Kanälen. Einer fordert zur Flucht ins Ausland auf.
Die Warnung von Wladislaw Pozdnyakow ist eindeutig: "Das Beste, was ein Z-Kanal-Autor jetzt tun kann, ist, Russland zu verlassen und vom Ausland aus weiterzumachen". Pozdnyakow gibt sonst gerne den starken Mann, er ist selbst "Z-Kanal-Autor", betreibt also einen Telegram-Kanal im Sinne des "Z"-Zeichens, das zum Symbol für die Unterstützung des russischen Kriegs geworden ist. Seinen 250.000 Abonnenten schrieb er am Sonntagabend: "In Russland ist man nicht vor seinen eigenen Leuten geschützt, geschweige denn vor Fremden!". Russlands Propagandakrieger bekommen es nach dem Anschlag auf Wladlen Tatarskij mit der Angst zu tun.
Tatarskij wurde am Sonntag in St. Petersburg durch die Explosion einer Bombe getötet, die wahrscheinlich in einer geschenkten Büste versteckt war. Tatarskij hatte sich im Februar 2022 dem berüchtigten Wostok-Bataillon angeschlossen und laufend vom Kriegseinsatz berichtet. Dabei hatte er etwa ausdrücklich die Grausamkeit bei den mutmaßlichen Kriegsverbrechen in Butscha gelobt. Getötet wurde er in einem Café, das dem Chef der Söldnertruppe Wagner, dem russischen Unternehmer Jewgeni Prigoschin, gehört, einem Treffpunkt der Szene der eingeschworenen Kriegsunterstützer.
Regierungsunterstützter organisierten Treffen im Café
Vor einigen Wochen hatte in dem Café der in St. Petersburg lebende Deutsche Kreml-freundliche Thomas Röper einen Vortrag gehalten. Röper hatte über ein angebliches "Biowaffenprogramm der USA in der Ukraine" erzählt. Er schrieb nach dem Anschlag in seinem Blog, er kenne die Organisatoren der Treffen: Es seien "junge Leute, sie sind meines Wissens alle unter 30 Jahre alt, und sie unterstützen die Politik der russischen Regierung." Einige könnten unter den mehr als 20 Verletzten sein.
Und Röper erinnert daran, dass es schon zuvor einen Anschlag gegen Blogger gab. Tatarskij ist der zweite per Bombe getötete Blogger, der für erbarmungsloses Vorgehen Russlands in der Ukraine eingetreten ist. Vor ihm war im vergangenen August Daria Dugina durch eine Autobombe zerrissen worden, Bloggerin und Tochter des faschistischen russischen Ideologen Alexander Dugin.
Die Deutsche Alina Lipp, die damit kokettierte, Partnerin von Röper zu sein*, schrieb in ihrem prorussischen Kanal mit 186.000 Abonnenten: "Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie wir uns jetzt fühlen." Auch Röper ging auf die Gefährdung ein: Russischen Sicherheitsdiensten gelinge es immer wieder, Terror- und Mordanschläge auf russische Journalisten zu verhindern, schrieb er, "aber offensichtlich sind auch sie nicht unfehlbar". Hundertprozentige Sicherheit gebe es nicht für die "Journalisten", wenn deren Arbeit der ukrainischen Regierung nicht gefalle. Sein unbelegter Vorwurf: Kiew heuere Terroristen an und gebe Morde an "Journalisten" in Auftrag.
Russischer Neonazi Nikitin beteiligt?
Der frühere Bodybuilder Pozdnyakow, der jetzt Alarm schlägt, schildert die Lage viel dramatischer: Ukrainische Agenten hätten Russland überflutet, es gebe Tausende, die bereit seien, Sprengsätze zu legen. "Im Ausland würden es die Ukrainer [er nutzt ein Schimpfwort] nie wagen, einen Terroranschlag zu verüben, aber in Russland könnten sie machen und tun, was sie wollten. Zu verdanken sei das der Hilflosigkeit der Sonderdienste, von Präsident Putin und Verteidigungsminister Schoigu.
Während noch in der Nacht eine Verdächtige identifiziert wurde, spekulierte Pozdnyakow in seinem Kanal über den russischen Neonazi Denis Kapustin alias Denis Nikitin als Hintermann des Anschlags. Nikitin, der lange in Köln lebte und in Deutschland Kampfsportveranstalter war, ist Gründer eines russischen Freiwilligenkorps (RDK) auf ukrainischer Seite und habe auch noch gute Verbindungen zu Leuten im russischen Geheimdienst FSB. Nikitin soll auch hinter dem Angriff im russischen Dorf Brjansk und weiteren Operationen auf russischem Gebiet stecken und ist Mitte März auf eine russische Fahndungsliste genommen worden. Russische Medien berichteten dagegen, die Verdächtige sei eine Antikriegs-Aktivistin.
Pozdnyakow selbst hat sich bereits vor dem Krieg ins Ausland abgesetzt, weil in Russland wegen Aufstachelung zum Frauenhass nach ihm gesucht wurde. Mit der Kriegsunterstützung in seinem Kanal dürfte er zwar bei der russischen Führung Punkte gesammelt haben. Jetzt sieht er sich dennoch darin bestätigt, besser nicht zurückzukehren: Auf seinen Kopf sei eine Belohnung ausgesetzt. Wer meint, er sei nur ein Telegram-Kanalbetreiber und niemand schere sich einen Dreck um ihn, den müsse er enttäuschen: "Sie haben sich noch nie so geirrt. Sie werden in die Luft gejagt, erschossen, getötet. Das ist die Realität, mit der sie nun leben müssen."
*Update, 6. Juni 2023: Alina Lipp hat in ihrem Kanal zwischenzeitlich erklärt, sie und Röper seien kein Paar.
- Eigene Recherchen
- Telegram-Kanal Wladislaw Pozdnyakow
- anti-spiegel.ru: Bombenanschlag auf russischen Journalisten in St. Petersburg