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Sanna Marin: Finnlands "Premierministerin rockt" – doch wie regiert sie ihr Land?


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Finnlands Regierungschefin
Cool. Cooler. Sanna


Aktualisiert am 12.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Sanna Marin, Finnlands Premierministerin: Die Sozialdemokratin besuchte das Festival "Ruisrock".Vergrößern des Bildes
Sanna Marin, Finnlands Premierministerin: Die Sozialdemokratin besuchte das Festival "Ruisrock". (Quelle: Ruisrock/Janitaautio/instagram/leer)

Die Premierministerin im lässigen Outfit auf einem Festival: Viele Finnen finden ihre Regierungschefin Sanna Marin "cool". Aber wie regiert sie ihr Land?

Lederjacke, zerrissene Shorts, Boots und 'smokey eyes': Finnlands Premierministerin Sanna Marin hat mit ihrem Besuch auf dem Ruisrock Festival im finnischen Turku für Aufsehen gesorgt. Auf dem dreitägigen Event traten Künstlerinnen und Künstler wie Major Lazer, Martin Garrix, Megan Thee Stallon oder Girl in Red auf. Welchen Konzerten Marin gelauscht hat, was sie getrunken oder ob sie getanzt hat, ist nicht überliefert. Nur ein schwarz-weißes Foto des Veranstalters, auf dem Marin zu sehen ist und ein Foto auf ihrem eigenen Instagram-Profil, belegen ihren Besuch.

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Doch ihren Fans reicht das völlig: "Die Premierministerin rockt", kommentierte etwa eine Nutzerin. "Coolste Premierministerin der Welt", meint ein anderer. Marin steht für eine Generation junger Politikerinnen und Politiker in Europa, die in Stil und Auftreten Neues wagen und sich wenig um informelle Kleidungsvorschriften scheren. In Deutschland ist etwa Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dafür bekannt, ihren ganz eigenen Kleidungsstil zu pflegen – politisches Understatement inklusive.

Schon bei ihrem Amtsantritt 2019 wurde die gebürtige Finnin und Mutter einer kleinen Tochter als weltweit jüngste Premierministerin weit über die Grenzen ihres Landes hinaus gefeiert. "Jung, weiblich, kompetent", jubelte etwa die "Deutsche Welle" über die 34-Jährige. Für ihre Partei galt sie als Hoffnung der Sozialdemokraten. Doch wie "cool" ist die Premierministerin wirklich, wenn es um ihre Politik geht?

"Sanna lacht nicht über jeden blöden Witz"

Kollegen aus der Politik bezeichnen sie als "extrem gute Rednerin". Sie sage, was Sache ist, humorlos, klar, deutlich: "Sanna lacht nicht über jeden blöden Witz, sie will niemandem gefallen", erzählt etwa Minna Minkkinen der "Zeit". Sie ist Lokalpolitikerin in Tampere, einer Großstadt im Süden Finnlands und Marins erste politische Station.

Im Alter von 27 Jahren wurde sie kurz nach ihrem Masterabschluss in Verwaltungswissenschaften in den dortigen Stadtrat gewählt, ein Jahr später in dessen Vorsitz. "Als junge Frau habe ich viele Situationen erlebt, in denen ich nicht beachtet wurde, in denen man auf meine Meinung weniger Wert legte als auf die Ansichten älterer Menschen männlichen Geschlechts", erzählte Marin dem "Spiegel" in einem Interview 2020.

"Meistens bekam ich am Ende trotzdem, was ich wollte"

Doch am Ende hat sie sich offenbar durchgesetzt: "Hören Sie auf, unsere Zeit zu verschwenden!", wies Marin damals etwa einen ihrer überwiegend männlichen Kollegen zurecht, der fürchtete, dass beim Reparieren eines Straßenbahngleises giftige Schwermetalle freigesetzt werden könnten.

Ihre Kollegen bezeichnen sie auch als "stoisch" oder "stur", schreibt die "Zeit". "Meistens bekam ich am Ende zwar trotzdem, was ich wollte, aber es erforderte eine größere Anstrengung", erzählt sie in dem Interview mit dem "Spiegel". Ihr Antrieb? Politischer Idealismus: "Wir müssen den Klimawandel aufhalten, für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen und die Menschenrechte durchsetzen", so Marin.

Corona bremst Marins Start aus

Doch diese Ziele musste Marin schon wenige Tage nach ihrem Amtsantritt zunächst zurückstellen. Der Grund: die Corona-Pandemie. Marin handelte prompt: Als im Frühjahr 2020 die Infektionszahlen stiegen, verhängte die Regierung einen zweimonatigen Lockdown. Schulen und Restaurants mussten schließen.

"Finnland hat verhältnismäßig schnell und umfangreich das öffentliche Leben heruntergefahren. Im Vergleich zu anderen nordischen Ländern wie Norwegen und Dänemark etwa ein, zwei Wochen früher, von Schweden ganz zu schweigen", sagte Mika Salminen, Direktor der finnischen Gesundheitsbehörde THL dem "Deutschlandfunk".

Das Resultat: Finnland kam wirtschaftlich und gesellschaftlich verhältnismäßig gut durch die Krise. Trotz Corona hielt sich das Land auf Platz eins der Länder, in denen die glücklichsten Menschen der Welt leben. Demonstrationen von "Querdenkern" und Impfgegnern, wie man sie seit zwei Jahren aus Deutschland kennt, gab es in Finnland nicht. 89 Prozent der Bevölkerung haben sich zumindest einmal gegen das Coronavirus impfen lassen, 87 Prozent sind zweimal geimpft.

Shitstorm für Corona-Partynacht

Also alles gut? Nicht unbedingt. Auch Finnland hatte eine "Partygate-Affäre", wenn auch nicht ganz so skandalös und folgenreich wie in Großbritannien: Marin erntete heftige Kritik, weil sie mit ihrem Mann und Freunden feiern gegangen war, obwohl sie Kontakt zu ihrem mit Corona infizierten Außenminister Pekka Haavisto hatte.

Sie sei mit ihrem Mann ausgegangen, habe Freunde getroffen und "das Nachtleben genossen", erklärte die Premierministerin damals auf Facebook. Zuvor sei ihr von den Behörden versichert worden, dass sie sich nach den geltenden Infektionsschutzrichtlinien nicht isolieren müsse.

Doch in Finnland gab es Kritik für die Partynacht. Zwei Drittel der Finnen bezeichneten Marins Verhalten in einer Umfrage als "ernsten Fehler". "Ich hätte ein besseres Urteilsvermögen haben und die mir gegebenen Hinweise noch einmal überprüfen sollen", schrieb Marin daraufhin und entschuldigte sich. "Es tut mir sehr leid, dass ich nicht verstanden habe, dass ich das hätte tun müssen", so die Politikerin.

Wegbügeln ließ sich die Kritik jedoch nicht: Nach der Corona-Pandemie erlitt die Konservative Partei bei den Kommunalwahlen 2021 zwar einen Dämpfer, blieb aber stärkste Kraft. Die Wahl galt als Stimmungstest für die 2023 anstehende Parlamentswahl. Ob die Sozialdemokratin Marin bis dahin in den Umfragen wieder zulegen kann, wird sich zeigen.

Politik mit großen Visionen

Um das verlorene Vertrauen wieder zurückzugewinnen, setzt die finnische Regierungschefin dabei auf ambitionierte Ziele in der Klima-, Sozial- und Gleichstellungspolitik. So habe die Regierung 2020 das Recht auf Kinderbetreuung für unter Siebenjährige wieder eingeführt, sagte Anne Holli, Politikprofessorin an der Universität in Helsinki dem "RND". Außerdem sei ein neues Gesetz zur Elternzeit geplant, bei dem Väter und nicht-biologische Elternteile dieselben Rechte wie Mütter hätten.

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Auch in der Klimapolitik gibt es Bewegung: Im Mai 2022 stimmte das Parlament dem von der Regierungspartei vorgeschlagenen Klimagesetz zu. Bis 2035 soll Finnland demnach klimaneutral werden – so früh wie kein anderes Industrieland. Allerdings ist fraglich, ob das gelingt. Experten bemängeln die mangelnde Aufforstung der Wälder, die entscheidend für das das Erreichen der CO2-Neutralität sind.

"Vier-Tage-Woche"?

Eine weitere Nachricht, die Finnlands Politik ein progressives Image verpasst hat, ist die der "Vier-Tage-Woche". In Deutschland schrieb die "Bild" von einem "Job-Hammer im Norden", die "Finnen-Chefin (34)" wolle die "Vier-Tage-Woche einführen" und zudem die Arbeitszeit pro Tag auf sechs Stunden verkürzen.

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Auch andere Medien griffen diese Nachricht auf – die sich jedoch als Falschmeldungen entpuppte. Im finnischen Regierungsprogramm gebe es diesen Plan nicht, stellte Helsinki klar. Tatsächlich habe Marin die Idee einer Vier-Tage-Woche in ihrer Funktion als Verkehrsministerin 2019 geäußert. Eine Umsetzung sei aber nicht in Planung.

Finnland im Gleichstellungsindex auf Platz vier

Im Bereich Gleichstellung ist das Label "progressiv" jedoch berechtigt: Die finnische Regierung treibt gleich mehrere Vorhaben voran. Unter anderem plant Marins Kabinett ein neues Gesetz, das es Arbeitnehmern ermöglicht, zu überprüfen, was ihre Kollegen verdienen, wenn Verdacht auf Diskriminierung vorliegt. Die sogenannte Gender-Pay-Gap, also ungleiche Löhne zwischen Männern und Frauen, soll so geschlossen werden.

Zwar rutschte Finnland im Index des europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen zuletzt von Platz drei auf vier, nach den Niederlanden und den beiden Spitzenreitern Schweden und Dänemark. Doch sollte Marin es bis 2023 schaffen, das Gesetz durchzusetzen, könnte sich das auch wieder ändern – und den "Coolness"-Faktor der Regierungschefin erneut steigern.

Verwendete Quellen
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