Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ungarn im Wahlkampf Orbáns Populistenparade
Ungarn ist mitten im Wahlkampf – und zum ersten Mal seit Jahren hat Ministerpräsident Orbán ernstzunehmende Konkurrenz. Doch der ungarische Wahlkampf wird zum Schaulaufen der internationalen Populisten.
Viktor Orbán hat ein Problem: Zum ersten Mal seit zwölf Jahren muss er ernsthaft um seine Wiederwahl fürchten. Eine breite Opposition hat sich gegen ihn und seine Fidesz-Partei verbündet: Sie hat einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen geschickt, frei nach der Devise "Fidesz oder kein Fidesz, das ist die einzige Frage".
- Orbàn unter Druck: Die Wahl, die Europa verändern kann
Aus der EU kann der ungarische Ministerpräsident nur wenig Unterstützung erwarten. Kaum ein Staatschef besucht ihn im Wahlkampf, um ihm den Rücken zu stärken. Dafür aber füllt sich Orbáns Terminkalender mit anderen internationalen Unterstützern: Mitten in der Ukraine-Krise trifft er Wladimir Putin für Wirtschaftsgespräche, der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro und einflussreiche US-Konservative besuchen Ungarn und die europäischen Rechtspopulisten versuchen sich an einer Allianz. Doch nicht jeder dieser Termine hilft Orbán tatsächlich auch weiter. Ein Überblick:
Orbáns Drahtseilakt in Moskau
Die Vorteile für den russischen Präsidenten Wladimir Putin liegen auf der Hand: Ein europäischer Staatschef, der mitten in der Ukraine-Krise nach Moskau kommt und schweigend neben Putin steht, während dieser dem Westen Lügen und Kriegstreiberei vorwirft – fast ein Geschenk an die russische Staatspropaganda. Doch was war bei dem Treffen am vergangenen Dienstag für Orbán drin?
Das ist schwer zu erkennen. Orbán provoziert damit nicht nur seine westlichen Bündnispartner – schließlich ist das Land EU- und Nato-Mitglied. Auch in der eigenen Bevölkerung sind die Beziehungen zu Russland ein heikles Thema. Wie nur wenig andere historische Ereignisse ist der 4. November 1956 tief in das ungarische Gedächtnis eingebrannt. Sowjetische Truppen kamen damals nach Ungarn, um die Unabhängigkeitsbewegung brutal niederzuschlagen.
Noch immer sehe ein Teil der ungarischen Bevölkerung Russland als Bedrohung, sagt Zsuzsanna Szelényi, Expertin für Internationale Politik. Sie gehörte selbst zum Gründungskreis der Fidesz-Partei, lernte Orbán Ende der 80er als überzeugten Demokraten kennen. Später saß sie für die Opposition im Parlament. "Dass Orbán nun der Nebensteher eines Aggressoren ist, ist aus der nationalen Perspektive sehr problematisch."
Orbán kommuniziere die Beziehungen mit Russland auch besonders vorsichtig. Putin werde nicht offen bewundert, die Regierung bezeichne die Beziehungen stets als pragmatisch und die eigene Rolle als die eines Brückenbauers zwischen Ost und West. In Moskau betonte Orbán, er sei auf einer Friedensmission.
Dass Orbán und Putin sich persönlich treffen, ist jährliche Tradition. Nur im vergangenen Jahr fiel das Treffen wegen der Pandemie aus. Die ungarische Opposition und Analysten kritisieren allerdings das Timing: "Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum das Treffen nicht verschoben wurde, bis sich die Situation um die Ukraine gelegt hat", sagt etwa Patrik Szicherle, Analyst bei der ungarischen Denkfabrik Political Capital. Er sieht Orbáns Argument, Brückenbauer zu sein, als vorgeschoben. "Die Verhandlungen führen die USA, und vielleicht noch Großbritannien, Frankreich oder Deutschland", sagt Szicherle. Ungarn spiele, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle.
Wichtiger seien für Ungarn die wirtschaftlichen Beziehungen – auch mit Blick auf die Wahl. Dank eines Deals mit Russland kauft Ungarn offiziellen Informationen zufolge Gas viel günstiger ein als die anderen europäischen Länder. "Das ist eines der wichtigsten Wahlkampfthemen für Orbán: Dass er die Energiepreise niedrig halten kann", sagt Szicherle.
Eine tatsächliche Gefahr für die Verhandlungen über den Ukraine-Konflikt aber sieht weder Szicherle noch Szelényi. Zwar hat Orbán in der Vergangenheit immer wieder die Sanktionen gegen Russland als falsch bezeichnet. Bei den wirklich wichtigen Abstimmungen in der EU und der Nato hat Ungarn bisher aber noch keine rote Linie übertreten, wie etwa das Einlegen eines Veto bei EU-Sanktionen. Dennoch habe Orbán mit seinem Besuch ein Zeichen in Richtung Westen gesetzt: "Fünf Stunden sind für ein solches Treffen eine lange Zeit", sagt die frühere Parlamentarierin Szelényi.
Das dürfte Orbán nicht nur international Vertrauen kosten. Es ist auch Futter für die Opposition, die den Ministerpräsidenten mittlerweile als Russlands Trojanisches Pferd in der EU beschreibt. Szelényi weist allerdings auch auf die problematische Rolle Deutschlands hin: Dass die Bundesregierung gegenüber Russland nur sehr zögerliche eine klare Haltung einnehme, stärke Orbán in seiner eigenen Position.
Das Problem der europäischen Populisten
Die Beziehungen zu Russland spalten nicht nur die ungarische Bevölkerung, sondern auch die rechtspopulistischen Parteien in Europa. Das wurde besonders deutlich am vergangenen Wochenende in Madrid. Dort kamen – wieder einmal – rechtspopulistische und -extreme Parteien mit dem Ziel zusammen, eine europäische Allianz zu schmieden.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Facebook-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Facebook-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Für Orbán wäre eine solche Allianz besonders wichtig, denn derzeit ist seine Partei im Europaparlament isoliert. Seitdem die Fidesz nicht mehr Mitglied in der Europäischen Volkspartei (EVP) ist, sind ihre Abgeordneten fraktionslos – und somit von wichtigen Ausschüssen ausgeschlossen. Ungarns Regierungspartei hatte die christdemokratische Parteienfamilie 2021 nach langem Streit verlassen und kam so einem Rauswurf nur knapp zuvor.
Doch die Gründung einer gemeinsamen, großen Fraktion im Europaparlament scheitert schon seit Jahren, derzeit sind die Abgeordneten aufgeteilt in zwei Fraktionen, andere – wie Fidesz – sind fraktionslos. Spaltendes Element sind nicht nur Berührungsängste zwischen den rechtspopulistischen Parteien in Europa, Fidesz und die polnische Regierungspartei PiS etwa gehen schon lange auf Abstand zur AfD. Sondern vor allem die Frage, wie wer zu Russland steht. Die größte rechtspopulistische Partei im EU-Parlament, die PiS, ist überhaupt nicht darauf erpicht, mit russlandfreundlichen Parteien zusammenzuarbeiten. Die Französin Marine Le Pen hält hingegen mit ihrer Bewunderung für Putin kaum hinterm Berg, ihre Partei Rassemblement National pflegt enge Kontakte in den Kreml.
Und so kam es, dass sich die Parteien beim Gipfel in Madrid nicht nur auf keine Fraktionsgründung einigen konnten. Auch die gemeinsame – als großer Erfolg verkaufte – Abschlusserklärung wurde in verschiedenen Sprachen und auch mit unterschiedlichem Inhalt veröffentlicht.
Während in der ersten Version stand: "Die militärischen Aktionen Russlands an der Ostgrenze Europas haben uns an den Rand eines Krieges gebracht", wird Russland in der später von Marine Le Pen verbreiteten Version gar nicht mehr erwähnt – angeblich, weil sie dem Präsidenten Emmanuel Macron nicht vorgreifen wollte. Dabei hat der seinen Standpunkt schon längst klar gemacht.
Orbán selbst scheint das nicht zu stören: Er drückte Marine Le Pen und Rassemblement National in einem am Samstag veröffentlichten Video seine Unterstützung aus. Frankreich wählt ebenfalls im April, Le Pen bewirbt sich zum wiederholten Mal um das Präsidentenamt.
Für Orbán ist das nicht nur wegen des noch immer fehlenden Fraktionsstatus ein Problem: Er hat sich selbst auf die Fahne geschrieben, die EU mithilfe einer breiten Allianz von innen heraus verändern zu wollen – um zu zeigen, dass sich die europäische Rechte organisieren kann. Das ist in Madrid zumindest nicht geglückt.
Bolsonaros Schaulaufen in Budapest
Doch Orbán hat auch längst seine Fühler in die internationale Szene der Rechtspopulisten ausgestreckt. 2019 war er der einzige EU- Regierungschef, der zu der Amtseinführung des damals frisch gewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro reiste. Nun stattet Bolsonaro einen Gegenbesuch ab: Noch in diesem Monat soll er Orbán in Budapest treffen. Im Gegensatz zu Russland allerdings verbindet Ungarn mit Brasilien wenig, weder politisch noch wirtschaftlich.
Zwar hat Orbán Ungarns Handelsbeziehungen in den vergangenen Jahren etwas breiter aufgestellt. Nach Brasilien gingen nach Daten von 2019 allerdings nur 0,23 Prozent der ungarischen Exporte – ein verschwindend geringer Anteil. Zum Vergleich: Ins Hauptabnehmerland Deutschland gehen fast 27 Prozent der Exporte.
Politik-Expertin Szelényi wertet das Treffen vor allem als Botschaft an die Wählerschaft, dass Orbán ein international anerkannter Staatsmann ist. "Jeder Besuch eines Präsidenten aus einem großen Land kommt Orbán nur recht", sagt Szelényi. Es spiele gut in das Narrativ, dass Orbán immer wieder aufgreife: Dass Ungarn eine größere globale Bedeutung zukommt, als es tatsächlich der Fall ist.
Bewunderung aus den USA
Nicht nur aus Brasilien, auch aus den USA kann sich Orbán über eine massive Unterstützung freuen. Gerade erst reiste einer der berühmtesten TV-Moderatoren nach Ungarn. Tucker Carlsons Ende Januar veröffentlichte Dokumentation überzieht das Land mit einer Lobeshymne. Folgt man Carlson, ist Ungarn das letzte gallische Dorf in einer Welt voller verrückt gewordener Liberaler: "Ungarn ist ein ernsthaftes und modernes Land, dass kein Interesse daran hat, sich selbst zu zerstören", heißt es in dem Film. Als Beispiel dienen Ungarns strikte Migrationspolitik sowie die staatliche Unterstützung für kinderreiche Familien.
Carlson ist längst nicht der einzige Bewunderer aus dem konservativen Spektrum in den USA. Donald Trump sendete Orbán bereits seine volle Unterstützung für den Wahlkampf. Erzkonservative amerikanische Medien sehen Ungarns Idee einer "illiberalen Demokratie" als Blaupause für die USA.
Ende März – nur einer Woche vor der Wahl – wird Orbán eine besondere Ehre zuteil: Die "American Conservative Union" (zu Deutsch: Amerikanische-konservative-Union) – quasi eine Lobbyorganisation für extrem rechte Politik in den USA – hält eine Gast-Konferenz in Ungarn ab. Noch sind keine Namen bestätigt, laut Presseberichten aber sollen mehrere hochrangige Republikaner nach Budapest reisen. Dazu kommen der Chef der rechtsextremen spanischen Vox-Partei sowie der Sohn vom brasilianischen Präsidenten Bolsonaro. Es gebe sogar die Bemühungen von ungarischer Seite, dass auch Donald Trump teilnehme, sagt Szelényi.
Für Orbáns Wahlkampf ist die Konferenz so oder so eine gute Nachricht, sagt Analyst Szicherle: "Das sendet natürlich auch die Botschaft an die Wähler: Orbán ist mit seiner Idee von Politik nicht allein, sondern Teil einer großen internationalen Gemeinschaft."
- (Video-)Telefonate mit Zsuzsanna Szelényi und Patrik Szicherle
- Marine Le Pen: Déclaration commune - Sommet de Madrid
- Europaparlament: Abgeordnete und Fraktionen
- Fox News/Youtube: "Hungary vs. Soros: The Fight for Civilization"
- Reuters: Hungary to host global right-wing populists in support of PM Orban
- The American Conservative: Tucker to Hungary, Nixon to China
- Rassemblement National: Tweet mit Video von Orbán
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- Eigene Recherche