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Viktor Orbán bekommt Konkurrenz: Die Wahl, die Europa verändern könnte


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Orbán vor dem Ende?
Die Wahl, die Europa verändern kann


09.01.2022Lesedauer: 5 Min.
Ungarns Ministerpräsident 2018 im Fahnenmeer: Bei der damaligen Wahl war Viktor Orbán noch konkurrenzlos.Vergrößern des Bildes
Ungarns Ministerpräsident 2018 im Fahnenmeer: Bei der damaligen Wahl war Viktor Orbán noch konkurrenzlos. (Quelle: Laszlo Balogh/getty-images-bilder)
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Seit Jahren regiert Viktor Orbán unangefochten. Doch wenige Monate vor der Wahl bekommt er auf einmal überraschende Konkurrenz – von einem Mann, der Ungarn und die EU verändern könnte.

Ungarn und Viktor Orbán – das gehört seit Jahren untrennbar zusammen. Seit 2010 regiert er als Ministerpräsident unangefochten das Land. Nun aber steht Orbán vor einem Problem: Wenn die ungarische Bevölkerung im Frühjahr ein neues Parlament wählt, gilt seine Wiederwahl nicht als sicher. Im Gegenteil: Sie ist so unsicher wie nie zuvor.

Der Grund dafür ist Péter Márki-Zay, dessen Namen bis vor Kurzem kaum jemand kannte – vor allem außerhalb von Ungarn. Nun trifft sich der Bürgermeister einer kleinen Provinzstadt mit EU-Vertretern, verhandelt mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und wird vom US-amerikanischen Nachrichtensender CNN interviewt. Auch in Europa schaut man hoffnungsvoll auf den Außenseiter, der den in der EU in weiten Teilen ungeliebten Orbán ablösen könnte. Doch hat er tatsächlich eine Chance?

Opposition lange chancenlos

Andreas Bock, Ungarn-Experte bei der Denkfabrik "European Council on Foreign Relations" sieht die Wahl im Frühjahr zumindest als die größte Chance der Opposition seit vielen Jahren. "Orbán muss durchaus besorgt sein", sagt er t-online. In den Umfragen liegen Orbán und Marki-Zay seit Wochen etwa gleichauf. Ein Novum in der jüngeren ungarischen Geschichte, denn bei den vergangenen Wahlen hatte die Opposition gegen Orbáns Fidesz-Partei nicht den Hauch einer Chance.


Denn die Opposition war jahrelang zerstritten, vor allem die linken Parteien zersplitterten sich immer weiter. Bei der vergangenen Parlamentswahl 2018 kursierte in Ungarn der Satz: "Wer tut – außer Viktor Orbán und seinen Parteikollegen – am meisten für den Wahlerfolg von Fidesz? Unsere Opposition!" Acht linke, liberale und grüne Parteien traten damals zur Wahl an. Die Fidesz-Partei kam mit ihrem Bündnispartner auf eine Zweidrittelmehrheit und konnte somit Verfassungsänderungen durchsetzen.

Seltsames Bündnis gegen Orbán

Das soll nun anders werden. Dafür hat sich ein seltsames Bündnis aus sechs Parteien gebildet. Mit dabei ist etwa die frühere Regierungspartei MSZP, die 2010 krachend abgewählt wurde und seitdem kaum noch einen Fuß auf den Boden bekommt.

Dazu kommen zwei grüne und liberale Parteien sowie die Jobbik-Partei, die früher ein rechtsextremes Programm hatte, sich aber mittlerweile als christlich-soziale Volkspartei inszeniert und mit EU-Flaggen posiert. Gemeinsam ließ das Bündnis die Bürger über ihren Spitzenkandidaten abstimmen – und die entschieden sich ausgerechnet für Márki-Zay.

Konservativ und religiös

Seine Nominierung kam überraschend, nicht nur für die Opposition, auch für die Regierungspartei Fidesz. Die anderen Kandidaten hätte Orbán im Handumdrehen als liberale Spinner abtun können. Márki-Zay nicht. Er ist ein konservativer Politiker mit sieben Kindern, religiös und jemand, der auch in der Provinz gut ankommt und gut austeilen kann. "Orbán war noch in der kommunistischen Jugend, als ich schon jeden Sonntag zur Kirche gegangen bin", zitiert ihn der britische "Guardian".

Márki-Zays Aufstieg ist rasant, 2018 trat er erstmals auf der politischen Bühne auf. In den Jahren zuvor arbeitete der heute 49-Jährige für eine Elektrizitätsgesellschaft, als Dozent an einer Universität und verbrachte einige Jahre in Kanada und den USA.

Dann kandidierte er für das Bürgermeisteramt seiner Heimatstadt Hódmezővásárhely, eine kleine Provinzstadt im Süden des Landes, weit weg von der Hauptstadt Budapest. Sie gilt eigentlich als Fidesz-Hochburg, doch setzte er sich gegen den Amtsinhaber durch. Schon damals profitierte Márki-Zay von der Frustration der Opposition: Um Fidesz zu schlagen, stellte keine andere Partei einen eigenen Kandidaten auf.

"Fidesz oder kein Fidesz, das ist die einzige Frage"

Márki-Zay weiß, dass Orbán nur so zu schlagen ist. "Fidesz oder kein Fidesz, das ist die einzige Frage", sagte er kürzlich bei einem Wahlkampfauftritt. Und er greift seinen Gegner heftig an. In Interviews spricht er von einer "völlig illegitimen Macht", die das Land regiert, von einem autoritären Regime, das auf Hasspropaganda aufgebaut ist. Ungarn müsse nun wieder ein freies Land werden, sagt er, die Diebe müssten verjagt werden. Und das verfängt.

"Die Wähler sind zunehmend verärgert von der andauernden Korruption, die von Fidesz ausgeht", sagt Ungarn-Experte Bock. Ungarn leidet dazu stark unter der Corona-Krise, die EU hält die milliardenschweren Hilfen für das Land noch immer zurück. Diese Schwäche kann Márki-Zay auch deswegen gut nutzen, weil ihm als Wirtschaftswissenschaftler viele Wähler auf diesem Gebiet große Kompetenzen zuschreiben. Und er spielt über Bande: Als der französische Präsident Macron in Budapest zu Besuch war, traf er sich auch mit der Opposition. Danach stand das Versprechen, dass Frankreich in der EU darauf drängt, dass die Auszahlung der Corona-Hilfen an die Rechtsstaatlichkeit Ungarn gekettet werden – eine schlechte Nachricht für Orbán.

Die neue Konkurrenz setzt den ungarischen Ministerpräsidenten sichtlich unter Druck, sagt Bock und verweist auf dessen politische Manöver. Ein Wahlgeschenk nach dem nächsten verspricht Orbán seinen Wählern derzeit, für Familien, Rentner, Steuernachlässe für Unternehmen und Extra-Boni für Arbeitnehmer.

Ein Wahlsieg Márki-Zays könnte Dynamik in der EU verändern

Während in Ungarn die großen Wahlkampfthemen vor allem die Lebenskosten, das Gesundheitssystem und die Korruption sind, schaut Europa aus einem anderen Grund so genau auf diese Wahl. Seit Jahren liegt die EU mit Orbán im Streit, weil dieser die Demokratie immer weiter einschränkt: Er regiert das Land zunehmend autoritär, verändert das Wahlrecht zu seinen Gunsten, die Vetternwirtschaft reicht bis in die Staatsspitze.

Reporter ohne Grenzen hat Orbán auch 2021 wieder gemeinsam mit Diktatoren und Autokraten in die Liste der größten Feinde der Pressefreiheit mit aufgenommen. Was Orbán selbst eine "illiberale Demokratie" nennt, ist aus Sicht der EU ein schwerwiegender Verstoß gegen die gemeinsamen Werte.

Diese Entwicklung würde sich unter einem Ministerpräsidenten Márki-Zay nicht fortsetzen. Er ist proeuropäisch, immer wieder betont er in Interviews die Notwendigkeit, die Rechtsstaatlichkeit und die Pressefreiheit wiederherzustellen. Auch das umstrittene LGBTQ-Gesetz, mit dem Ungarn vergangenes Jahr Homosexualität und Transgender kriminalisierte, will er wieder abschaffen. Bei seinem Besuch bei EU-Vertretern im November sagte Márki-Zay: "Wir werden treue Mitglieder der EU und der Nato sein, keine Verräter".

Rückschlag für rechtspopulistische Allianz möglich

Ungarn-Experte Bock glaubt, dass eine Wahl Márki-Zays nicht nur das Verhältnis Ungarns mit der EU, sondern auch die Dynamik in der EU verändern könnte. "Das Wettern gegen Brüssel, die gemeinsamen Blockaden mit Polen, der Abbau des Rechtsstaats – all das würde wohl so nicht mehr stattfinden", so Bock.

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Dazu kommt: Es würde auch einen starken Rückschlag für den Versuch bedeuten, eine rechtspopulistische, euroskeptische Allianz aufzubauen, um die EU von innen heraus zu verändern. "Bei diesen Versuchen war Orbán bisher der Strippenzieher", so Bock.

Ob es allerdings tatsächlich zu einer Abwahl Orbáns kommt, das entscheidet sich im April. Bis dahin liegt noch ein beschwerlicher Weg vor dem bunten Bündnis, das Márki-Zay anführt – und die Gefahr, dass es an seiner Heterogenität strauchelt. Márki-Zay selbst hat keine politische Heimat innerhalb der Opposition. Und: "Es fehlt ein gemeinsames Programm und auch auf organisatorischer Ebene ist völlig unklar, wie die Parteien zusammenarbeiten wollen", sagt Bock. Für ihn steht fest: "Für das gemeinsame Regieren wird es nicht reichen, nur gegen Orbán zu sein."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefonat mit Andreas Bock
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