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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Thunberg in den USA Greta gegen die Klima-Kneifer
Greta Thunberg will ihre Klima-Revolution nach Amerika exportieren – doch in Washington ist das kurz vor dem weltweiten Protesttag viel schwerer als in Europa.
Eine junge Frau steht einsam vor dem Kongress. Mit ihrer Mutter wartet Greta Thunberg vor dem Gebäude des US-Parlaments, ignoriert von zahllosen Kongressmitarbeitern, Besuchern und Touristen, die vorbeieilen. Eine Weltberühmtheit, unerkannt in Washington.
Dann kommt ihr Assistent, bringt sie hinein ins Repräsentantenhaus, wo vor ihr schon bald zwei Dutzend Fotografen knien werden und die 16-Jährige in wenigen Sätzen gekonnt die wohl größte Doppelmoral der Klimagegner in den USA entlarven wird.
Das ist das Spannungsfeld, in dem sich Thunbergs Kampf in den USA abspielt. Den ganz großen Hype wie in Europa gibt es in Amerika nicht, dafür aber mehr Gegenwind – und es steht für sie mehr auf dem Spiel.
Seit drei Wochen weilt Thunberg nach ihrer Atlantik-Überfahrt jetzt auf amerikanischem Boden. Die Jugendliche hat bekanntlich eine globale Protestbewegung losgetreten: In mehr als 130 Ländern sind Jugendliche ihren freitäglichen Klimaprotesten bereits gefolgt. Eine große Leistung – und doch vielleicht zu wenig, wenn sich die mächtigen Regierungen dieser Welt nicht rasch dem Kampf gegen die Klimakrise verpflichten.
Ein Erfolg muss her
Deshalb verbringt Greta momentan so viel Zeit in den USA. Sechs Tage lang versucht sie in der Hauptstadt, in der ein Klimawandelleugner regiert, die US-Politik aufzurütteln. Am Mittwoch allein spricht sie zweimal vor dem Kongress und unterstützt einen Protest vor dem Verfassungsgericht. Sie will dafür sorgen, dass der Druck auf die US-Regierung steigt und dafür muss der "Klimastreik", der weltweite Aktionstag am Freitag, auch in den USA ein Erfolg werden.
Das ist wichtig, weil schon am Montag in New York der Klimagipfel der UNO steigt. Thunberg wird vor Ort sein, wenn die Staats- und Regierungschefs um Maßnahmen feilschen, die die dramatische Erderhitzung vielleicht doch noch verlangsamen können.
Und die USA sind unter Präsident Trump ein Ausbremser dieser Anstrengungen, der Klimakrise zu begegnen. Trump kündigte den Ausstieg aus dem Pariser Abkommen an, er macht den Klimawandel als Erfindung der Chinesen lächerlich und lässt seine Minister einen Umweltschutzstandard nach dem anderen streichen – auch wenn er sich kürzlich als Retter der Umwelt feiern ließ.
Audienz bei Obama
Greta, die in Europa eine Massenbewegung losgetreten hat, hat es in den USA um einiges schwerer. Einerseits bekommt sie große Bühnen geboten. In dieser Woche bekam sie den Preis "Botschafterin des Gewissens" von Amnesty International verliehen, ließ sich in der beliebten "Daily Show" stürmisch feiern (natürlich ohne die Miene zu verziehen) und erhielt eine Audienz bei Barack Obama, der es gar schaffte, die stets ernsthafte Thunberg zu einem Fist Bump zu animieren.
Doch abseits dieser wohlgesonnenen Öffentlichkeit konnte Greta bislang keine Massenproteste auslösen. Fridays for Future gibt es seit Anfang des Jahres auch in den USA, doch es sind meist kleine Protestgruppen, kein Vergleich mit Deutschland etwa. Auch Thunbergs Aktionen brachten nur wenige Dutzend bis Hunderte Menschen zusammen. Die US-Schülerproteste gegen die Waffengewalt im vergangenen Jahr waren bedeutend größer.
Dabei steigt auch in den USA das Bewusstsein für die Klimakrise. Die Überschwemmungen etwa in den Agrargebieten des Mittleren Westens sind so zahlreich geworden, dass sie nicht mehr ignoriert werden können. Wirbelstürme werden durch höhere Temperaturen ebenfalls gefährlicher. Es gibt in vielen Bundesstaaten Klimaschutzmaßnahmen, auch jugendliche Aktivisten, die etwa die US-Bundesregierung wegen mangelnder Maßnahmen gegen den Klimawandel verklagt haben. Andererseits dominieren SUVs und andere Spritschlucker das Straßenbild viel stärker als etwa in Deutschland.
Greta bekommt den vergifteten Streit zu spüren
Noch stärker als in Europa werden die Themen Klimakrise und Umweltschutz in den USA zerrieben vom vergifteten parteipolitischen Streit, der zwischen Donald Trump einerseits und Demokraten und weiten Teilen der Öffentlichkeit andererseits tobt. Das bekommt auch Greta Thunberg zu spüren.
Als sie am Mittwoch vor zwei Ausschüssen des Repräsentantenhauses spricht, sind zwar viele Journalisten da, aber kaum ein Republikaner. Deren Bänke bleiben bis auf zwei Plätze leer.
Greta selbst spricht so leise, dass man sie im Raum kaum hören kann. Sie gibt kein Statement ab, sondern reicht einen Klimabericht weiter. "Ich will nicht, dass Sie auf mich hören, sondern auf die Wissenschaft", sagt sie leise.
Greta ist mit einer Reihe amerikanischer Jugendlicher geladen, die sich für das Klima engagieren. Darunter ist auch ein junger blonder Mann im Anzug, der sich als konservativer Aktivist sieht. So wollen die Jugendlichen die Parteiblockade auflösen.
Doch das funktioniert nicht. Die Demokraten überhäufen die Aktivisten mit Lob. Die wenigen Republikaner loben das, was die USA unter Trump alles schon erreicht hätten. Der Tenor: Man könne sich selbst doch nicht beschneiden, während China die Umwelt verpeste. Das ist das beliebteste Argument in Reihen der Trump-Verbündeten.
Ein republikanischer Abgeordneter aus dem Bundesstaat Georgia versucht, Thunberg dafür zu gewinnen: Was würde sie denn denken, wenn sie auf ihrer Atlantik-Überfahrt Plastik aus dem Meer fische, aber neben ihr ein Schiff führe, das für jedes Teil, das sie einsammle, fünf neue ins Meer kippe?
Thunberg erkennt die Falle sofort und antworte, dass es wichtig sei, dass auch ihr Schiff keinen Müll ins Meer kippe. Heißt: Man darf sich nicht hinter den anderen verstecken.
Das China-Argument nimmt sie so auseinander: "Ich komme aus Schweden, einem kleinen Land, in dem es das Argument auch gibt. 'Warum sollen wir überhaupt was tun? Schaut doch nur in die USA', sagen sie dort. Dieses Argument wird also auch gegen Sie genutzt."
- Interview mit Sascha Lobo: "Was Greta Thunberg schafft, ist Grund zur Hoffnung"
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- Kommentar: Wie der Klimaschutz in Deutschland gelingt
Am Mittwochabend spricht Thunberg erneut vor Kongressabgeordneten. Nach ihren Tagen in Washington hält sie es für nötig, die Parlamentarier daran zu erinnern, dass die größte Bedrohung eine erhitzte Erde mit all ihren Folgen sei: "Unser größter Feind sind doch nicht die politischen Gegner."
- Eigene Beobachtungen vor Ort