Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Skandal um Chat zu Militärplänen Ein Militär-Chat, der die Welt schockiert

Der Skandal um den ungeschützten Chat hochrangiger Regierungsmitglieder über sensible Militäroperationen zeigt: Die USA verkommen zu einer Supermacht der Dilettanten. Das ist hochgefährlich – auch für Europa.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Der Fall ist so absurd, dass er jeder Beschreibung spottet: Jeffrey Goldberg, Chefredakteur der US-Zeitschrift "Atlantic", konnte in einem streng geheimen Chat, zu dem ihn offenbar Trumps nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz wohl versehentlich eingeladen hatte, operative Details über geplante und schließlich ausgeführte Militärschläge gegen die Huthi-Rebellen im Jemen mitlesen. Das alles in der kommerziellen Messenger-App Signal, die selbst für jeden Praktikanten im Sicherheitsapparat zu unsicher wäre.
Aber hochrangige amerikanische Sicherheitsbeamte und Kabinettsmitglieder – darunter Verteidigungsminister Pete Hegseth, Außenminister Marco Rubio, Vizepräsident J. D. Vance und die Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard – plauderten in dem ungesicherten Chat munter über Angriffsziele, Waffensysteme und Operationsabläufe. In einem Ton, als würden sie sich über die Pizzabestellungen zu einem Footballspiel austauschen.
Eine Sicherheitslücke mit Ansage
Die Sorglosigkeit ist mehr als nur ein Fauxpas. Sie offenbart ein systemisches Problem dieser zweiten Trump-Regierung: Die Mitglieder der Regierung stellen offensichtlich Geschwindigkeit und Bequemlichkeit über Sorgfalt und Sicherheit. Ihr amateurhaftes Vorgehen zelebrieren sie dabei noch fast als Tugend. Die Vertreter der größten Militärmacht der Welt entlarven sich damit als Laientruppe der Selbstgefälligkeit.
In den USA, wie in wohl jedem anderen Land, gelten elementare Sicherheitsprotokolle für Besprechungen dieser Art, erst recht bei hochsensiblen Militäroperationen. Sie wurden schlicht ignoriert. Und Donald Trump? Der schien noch nicht einmal davon gewusst zu haben, als Reporter ihn nach Bekanntwerden des Skandals in Washington vor laufender Kamera darauf ansprachen. Dabei hatte ein Sprecher des nationalen Sicherheitsrates da längst Teile der Berichterstattung des "Atlantic" als authentisch bestätigt.
Die kritischen Fragen liegen auf der Hand: Warum kommunizieren amerikanische Spitzenbeamte über einen nicht autorisierten Messengerdienst anstatt über die dafür vorgesehenen, abhörsicheren Wege? Wie kann es zudem sein, dass ein Außenstehender unbemerkt Zugang zu geheimen Informationen erhält? Und wie rechtfertigt man außerdem Kommunikationskanäle, in denen Nachrichten automatisch gelöscht werden, was in direktem Widerspruch zu Vorschriften steht, wonach offizielle, also auch interne Regierungskommunikation aufgezeichnet werden muss?
Die Verantwortlichen müssen dafür die Konsequenzen tragen – allen voran der nationale Sicherheitsberater Mike Waltz. Wer einen Journalisten zu einem solchen Chat einlädt, und sei es nur aus Versehen, hat sich für eines der sensibelsten Ämter der US-Regierung disqualifiziert. Doch eigentlich offenbaren alle, die in dieser Chatgruppe waren, dass sie nicht reif sind, Verantwortung für ihr Land zu übernehmen. Jedem hätte bewusst sein müssen, dass dies nicht der richtige Kanal für solche Unterhaltungen ist.
Ein Affront gegen Europa
Besonders brisant für die Verbündeten, wenngleich nicht mehr überraschend: Die veröffentlichten internen Chatverläufe offenbaren eine tiefe Geringschätzung gegenüber den europäischen Staaten. Vizepräsident J. D. Vance mokiert sich darin, mit der Operation zur Befreiung der Seehandelswege gegen die Huthi-Rebellen "Europa schon wieder zu retten". Verteidigungsminister Hegseth sekundiert mit Verachtung für das "erbärmliche" Trittbrettfahren der Europäer.
Diese Attitüde ist mehr als nur diplomatische Unhöflichkeit. Sie ist eine Kampfansage an die multilaterale Zusammenarbeit und eine Bankrotterklärung für die internationale Verantwortung der USA. Sie verkennt außerdem, dass sich eine Gefahr für europäische Handelswege auch auf den Handel der USA und die gesamte Weltwirtschaft auswirkt. Vance' Forderung, für das Freischießen der Handelswege von den Europäern eine Gegenleistung zu verlangen, ist darum mehr als eine arrogante Frechheit.
Angesichts dieses Skandals muss man damit rechnen, dass die US-Regierung womöglich noch viele andere Chat-Gruppen unterhält, in denen womöglich auch sicherheitsrelevante Themen von Deutschland und anderen Staaten besprochen werden. Inzwischen wurde auch bekannt, dass die App Signal auf Regierungstelefonen gar nicht installiert werden kann: Amerikas oberste Plauderrunde tauscht geheime Informationen also offenbar über Privattelefone aus. Und die sind leicht zu hacken. Wie unbeschreiblich fahrlässig.
Für Europa kann es nach dieser skandalösen Enthüllung nur eine Konsequenz geben – denn sie ist fast noch schwerwiegender als die öffentliche Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office: Die eigene militärische und geheimdienstliche Souveränität muss schleunigst aufgebaut werden. Denn die USA mögen zwar die stärkste Militärmacht der Welt sein. Doch wenn sie von verantwortungslosen Amateuren regiert wird, bedeutet das ein kaum zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko für die Verbündeten.
Wer seine seit Jahrzehnten selbst gewählte Rolle als verlässlicher Sicherheitsgarant derart fahrlässig untergräbt, verspielt das erworbene Vertrauen. Die transatlantische Partnerschaft benötigt Augenhöhe – und die war wohl noch nie so wenig gegeben, seitdem Donald Trump und sein Team von willfährigen Dilettanten an der Macht sind. Zum Glück für die Verbündeten: Dank der Sorglosigkeit wissen nun alle, wie zerbrechlich internationale Sicherheit ist, wenn Inkompetenz und Selbstgefälligkeit Regie führen.
- Eigene Überlegungen
- theatlantic.com: The Trump Administration Accidentally Texted Me Its War Plans (kostenpflichtig, englisch)