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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unsicherheit wächst Trump könnte atomare Welle auslösen

US-Präsident Donald Trump stellt Sicherheitsgarantien infrage, alte Gewissheiten zählen nicht mehr. Das führt in vielen Staaten zu der Frage, ob sie eigene Atomwaffen benötigen.
Als die USA im August 1945 über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte zwei Atombomben abwarfen, stand die Welt unter Schock. Schnell wurde klar: Jede potenzielle Supermacht würde in den Wettlauf um diese ultimative Kriegswaffe einsteigen müssen. Und selbst jene Staaten, die nicht nach der Bombe strebten, versuchten einen Platz unter dem Schutzschirm der Atommächte zu bekommen. Zwar war die Weltgemeinschaft weitestgehend einig darüber, dass diese Waffen nie wieder eingesetzt werden und lediglich der Abschreckung dienen sollten. Aber niemand wollte hilflos und erpressbar gegenüber den Atommächten sein.
Auch vor dem Hintergrund der atomaren Bedrohung entstand die Nachkriegsordnung in Europa, geprägt von den großen Atommächten USA und Sowjetunion, die sich im Kalten Krieg befanden. Trotz des Bündnisses mit den Amerikanern bauten sich auch Frankreich und Großbritannien einen eigenen atomaren Schutzschirm auf. Was waren die Gründe?
Der französische Präsident Charles de Gaulle traute es den USA schlichtweg nicht zu, ihre Sicherheitsgarantien einzuhalten. Erweiterte Abschreckung sei eine Farce, empfand er, und um Paris wirklich zu schützen, bliebe ihm keine andere Wahl, als sich eigene Atomwaffen anzueignen. "Amerikanische Atomwaffen bleiben die wesentliche Garantie des Weltfriedens. Doch die amerikanische Atommacht kann nicht unbedingt sofort auf alle Eventualitäten reagieren, die Europa und Frankreich betreffen", sagte de Gaulle im Jahr 1963.
International wurde das französische Atomwaffenprogramm oft belächelt. Klein, teuer und zum Schutz des Nato-Territoriums überflüssig, spotteten Kritiker. Doch nach Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump in den USA ist die Kritik verstummt. Der US-Präsident stellt jegliche Sicherheitsversprechen der Amerikaner infrage, die Folge: Nun denken weitere Staaten über eine eigene atomare Bewaffnung nach.
Trump könnte ein neues atomares Zeitalter auslösen.
Kampf gegen Verbreitung von Nuklearwaffen
Nur fünf Länder weltweit besitzen offiziell Atomwaffen: die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China. Daneben gibt es auch vier "de facto" Nuklearwaffen führende Staaten: Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Diese Länder besitzen auch Kernwaffen, halten ihre Atomprogramme aber geheim oder sind nicht Mitglieder des Atomwaffensperrvertrages und werden deshalb nicht als Atommächte anerkannt.
Der Atomwaffensperrvertrag (NVV), 1968 unterzeichnet und 1970 in Kraft getreten, soll die Verbreitung von Atomwaffen verhindern, Abrüstung fördern und die friedliche Nutzung von Kernenergie sichern. Er verpflichtet Atomwaffenstaaten zur Abrüstung und verbietet Nicht-Atomwaffenstaaten den Erwerb solcher Waffen.
Heute gilt der NVV als Teilerfolg: Zwar hat er weitestgehend die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen begrenzt, doch echte Abrüstung der Amerikaner und Russen blieb aus. Staaten wie Indien, Pakistan und Israel traten gar nicht bei, Nordkorea trat 2003 aus, was seine Wirksamkeit einschränkt.
In den vergangenen Jahrzehnten waren es vor allem Pariastaaten wie Nordkorea oder der Iran, die sich atomar bewaffnen wollten. Aber warum streben nicht noch mehr Staaten nach Nuklearwaffen? Immerhin gelten diese noch immer als ultimatives Abschreckungsinstrument.
Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens waren die Großmächte USA, China, die Europäische Union und Russland sich einig darüber, dass sich Nuklearwaffen nicht weiter verbreiten sollten. Das nordkoreanische und das iranische Regime wurden auch als Reaktion auf ihre Atomprogramme hart sanktioniert und international isoliert. Zweitens sind Atomprogramme teuer, denn sie erfordern nicht nur die Entwicklung und Erprobung der Bombe, sondern auch Raketentests. Drittens sicherten Russland und die USA Teilen ihrer Verbündeten zu, sie im Kriegsfall auch mit ihren Kernwaffen zu verteidigen.
Trump sorgt für Unsicherheit
Unter dem russischen Nuklearschirm sind vor allem ehemalige Sowjet-Republiken wie etwa Belarus, Kasachstan oder Kirgisistan. Der Schutzschirm der Amerikaner ist im Vergleich größer. Sie schützen die komplette Nato-Allianz mit ihren Kernwaffen und im Rahmen der nuklearen Teilhabe sind Sprengköpfe in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Belgien und in der Türkei stationiert. Ferner gaben die USA auch Japan, Südkorea, Australien oder Taiwan sicherheits- und abschreckungspolitische Garantien.
Somit hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine Sicherheitsarchitektur entwickelt, die einen Atomkrieg verhindern sollte und die auf Vertrauen aufgebaut war, dass die Amerikaner im Ernstfall zur Unterstützung kommen, sollte ein Verbündeter ohne Kernwaffen etwa von einer Atommacht angegriffen werden.
Diese Gewissheit liegt nun, wenige Wochen nach Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump, in Trümmern.
Diese Sicherheitsarchitektur der Nachkriegszeit machte die Welt sicherer, auch für die USA. Trotzdem betont Trump, Washington habe bei den Vereinbarungen mit den US-Verbündeten den Kürzeren gezogen. Noch hat der Republikaner zwar den nuklearen Schutzschirm nicht infrage gestellt, aber wiederholt sprach er darüber, dass die USA nicht mehr die Sicherheit ihrer Verbündeten finanzieren möchten. Und mehr: Er bezeichnet die Staaten unter dem US-Schutzschirm als "Schnorrer", was die Unsicherheit bei den Verbündeten der Amerikaner noch erhöht.
Europa denkt um
Trump verbreitet Unsicherheit und bewegt viele Staaten nun zu einem sicherheitspolitischen Kurswechsel. Länder wie Deutschland oder Japan rüsten auf – und auch über Nuklearwaffen wird weltweit diskutiert. Schließlich können Länder ihre Sicherheit im Ernstfall nicht von den Launen des Mannes im Weißen Haus abhängig machen.
Der außenpolitische Kurs der aktuellen US-Regierung wird die Diskussionen um mehr Autonomie bei der nuklearen Abschreckung weiter befeuern. Trump könnte gar eine atomare Welle auslösen, auch weil er nichts unternimmt, um die Sorgen seiner Verbündeten zu zerstreuen. Die Folgen wiegen schwer.
Unter den europäischen Nato-Ländern sind Großbritannien und Frankreich Atommächte. Deswegen ist aktuell vor allem im Gespräch, dass andere europäische Staaten unter den französischen Schutzschirm schlüpfen könnten. Sicherheitsexperten sehen einen europäischen Schutzschirm allerdings skeptisch und als schwer umsetzbar, weil Armeeeinsätze nationale Frage sind und es keine europäische Armee gibt.
Deshalb wird auch in Deutschland aktuell über eine eigene atomare Bewaffnung diskutiert. Fabian Hoffmann, Atomwaffenexperte von der Universität Oslo, erklärte im Bayerischen Rundfunk: "Wir sind mittlerweile in der Situation, wo man es nicht mehr pauschal ausschließen kann und sollte."
Größer sind die Sorgen in Osteuropa, denn die Sicherheit der baltischen Länder oder Polens ist durch Russland stärker gefährdet. Bislang spricht sich die polnische Regierung zwar für die Stationierung von US-Atomwaffen im eigenen Land aus. Aber sollte Trump dies ablehnen, wird auch Polen mit den anderen europäischen Nato-Partnern an einem anderen Schutzschirm arbeiten wollen. Die Ukraine ist für Osteuropäer ein mahnendes Beispiel: Sie gab nach dem Budapester Memorandum 1994 ihre Kernwaffen ab – im Gegenzug erhielt sie Sicherheitsgarantien aus Russland und den USA. Während die russische Armee nun die Ukraine angreift, bekommt Kiew zu wenig Unterstützung aus Washington.
Ein neues atomares Wettrüsten ist möglich
Dementsprechend befeuert Trump Vorbehalte, die es ohnehin schon gegenüber den USA gab. In Asien ist das Risiko der Verbreitung von Atomwaffen möglicherweise noch höher als in Europa. Unter den US-Verbündeten, die von Chinas oder Nordkoreas Atomwaffen bedroht sind, stellen sich Japan, Taiwan und Südkorea zweifellos ähnliche Fragen wie die Europäer. Besonders im südkoreanischen Seoul ist das Vertrauen in die Amerikaner existenziell – immerhin ist Südkorea offiziell noch immer im Krieg mit der unberechenbaren nordkoreanischen Kim-Diktatur.
Eines liegt auf der Hand: Selbst wenn nur einer dieser europäischen oder ostasiatischen US-Verbündeten beschließt, sich durch den Bau eigener Atomwaffen abzusichern, würde dadurch ein Dominoeffekt entstehen – andere Staaten würden wahrscheinlich auch zur Atombombe greifen. Dies würde das Ende des nuklearen Nichtverbreitungsregimes bedeuten – und es würde wahrscheinlicher werden, dass Kernwaffen in die falschen Hände geraten könnten.
Trump bindet sich in dieser Frage politisch selbst die Hände. Denn die USA können im UN-Sicherheitsrat kaum für die Sanktionierung von atomar-aufrüstenden Staaten stimmen, wenn die US-Regierung gleichzeitig fordert, dass diese Staaten sich selbst um ihre Sicherheit kümmern sollen. Damit könnte der US-Präsident am Ende einen der zentralen Punkte unterminieren, über den sich die USA, Russland und China in den vergangenen Jahrzehnten noch einig waren: die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen.
- foreignpolicy.com: An Unreliable America Means More Countries Want the Bomb (englisch)
- treaties.unoda.org: Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (englisch)
- foreignaffairs.com: Get Ready for the Next Nuclear Age (englisch)
- theeconomist.com: Donald Trump’s unwillingness to heed allies’ advice is foreign-policy folly (englisch)
- foreignpolicy.com: Germany Is Rethinking Everything Nuclear (englisch)
- br.de: Braucht Deutschland eigene Atomwaffen?
- Eigene Recherche