Von der Leyen in Italien Die Neue und der Problemfall
Rom und Brüssel, das war zuletzt eine schwierige Beziehung. Nun kommt die designierte Kommissionschefin von der Leyen nach Rom. Können die tiefen Gräben überwunden werden?
Paris, Warschau, Zagreb, Madrid – und immer wieder Brüssel: Ursula von der Leyen tourt gerade durch Europa und trifft jene, denen sie ihr neues Amt an der Spitze der EU-Kommission zu verdanken hat: die Staats- und Regierungschefs.
Nächster Halt: Rom. Dort will sie an diesem Freitag mit Giuseppe Conte zusammenkommen, dem Ministerpräsidenten der regelmäßig am Rande des Scheiterns stehenden Koalition aus rechter Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung. Seit Regierungsantritt vor einem Jahr waren freundliche Töne aus Rom eine Seltenheit. Exemplarisch dafür stehen die Themen Migration und Finanzen.
Ein Innenminister im Angriffsmodus
Vor allem einer ist im ständigen Angriffsmodus: Innenminister Matteo Salvini. Mit seinem rigorosen Anti-Migrationskurs stellt er nicht nur die EU-Staaten regelmäßig vor vollendete Tatsachen, sondern fordert auch die Brüsseler Behörde heraus. Seitdem er das Innenministerium führt, stehen Hilfsorganisationen mit ihren Schiffen immer wieder vor verschlossener Tür. Die EU-Kommission muss dann vermitteln.
Salvinis Credo: "Italien ist nicht länger das Flüchtlingslager von Brüssel, Paris, Berlin." Dabei übersieht er zwar, dass in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich mehr Menschen Asyl beantragt haben als in Italien. Besonders fair sind die Dublin-Regeln, wonach ein Mensch seinen Asylantrag eigentlich dort stellen muss, wo er zum ersten Mal EU-Boden betritt, aber nicht. Eine Reform des Asylsystems ist in den vergangenen Jahren allerdings gescheitert.
Von der Leyen hält Italien die Hand nun entgegen. Wenn sie am 1. November ihr neues Amt antritt, wolle sie einen neuen "Pakt für Migration und Asyl" vorlegen. Die geplante Frontex-Aufstockung müsse beschleunigt und es müsse konsequent gegen irreguläre Migration und Schleuser vorgegangen werden. Der "Bild" sagte sie: "Wir können nur dann stabile Außengrenzen haben, wenn wir den Mitgliedstaaten, die aufgrund ihrer Position auf der Karte dem größten Druck ausgesetzt sind, genügend Hilfe leisten."
Ähnlich dürfte sie sich im Gespräch mit Conte äußern. Solange Salvini mit seinem flüchtlingsfeindlichen Kurs erfolgreich ist, wird er seine Linie aber kaum ändern. Außerdem ist offen, wie dieser Migrationspakt aussehen soll. Eine Dublin-Reform, der alle EU-Staaten zustimmen, scheint derzeit unmöglich. Mittelmeerländer wie Italien und Malta fordern mehr Unterstützung. Östliche EU-Staaten wie Ungarn und Polen lehnen es hingegen strikt ab, sich zur Aufnahme von Asylsuchenden zu verpflichten. Dieser Gordische Knoten konnte in den vergangenen Jahren trotz aller Appelle und Bemühungen nicht gelöst werden.
Italiens Finanzplanung steht in der Kritik
Gerade erst wurde eine Eskalation im Streit über Italiens ausufernde Staatsverschuldung und die großzügigen Haushaltspläne abgewendet, da bahnt sich ein neuer Konflikt an. Im vergangenen Jahr sah die EU-Kommission im italienischen Haushaltsentwurf schwere Verstöße gegen die Regeln der Eurozone. Wegen der Staatsverschuldung standen dann sogar milliardenschwere Strafen für Rom im Raum, viel Vertrauen wurde verspielt. Um keine neue Konfrontation zu riskieren, müsste Rom die immensen Ausgaben für Sozialreformen nun ausgleichen.
Salvini hat sich jedoch bereits für eine "starke, mutige und einschneidende" Finanzplanung ausgesprochen. Seines Erachtens ist es nicht der passende Moment für Zurückhaltung und "halbe Maßnahmen". Er will drastische Steuersenkungen durchsetzen – und die erreiche man nicht, wenn man "Zeile für Zeile" die EU-Vorschriften befolge. Doch Italien, drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, weist einen enormen Schuldenberg von etwa 2,3 Billionen Euro auf, das sind mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In der EU sind nach gemeinsam vereinbarten Regeln lediglich 60 Prozent erlaubt, um die Finanzstabilität nicht zu gefährden.
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Die Kommission des scheidenden Präsidenten Jean-Claude Juncker versuchte es bislang mit einem Mix aus Nachsicht und Strenge. Ähnlich positioniert sich von der Leyen. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte sie: Ja, es gebe aus gutem Grund Regeln beim Stabilitäts- und Wachstumspakt. "Es gibt aber auch viel Flexibilität in dem Regelwerk, die man besser ausnutzen kann, um Wachstum über Investitionen zu ermöglichen."
Bislang waren von der Leyens Antrittsbesuche vor allem Termine mit wohligen Worten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem "neuen Kapitel unserer Geschichte"; beim Gespräch mit Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki versprach von der Leyen, Streit künftig respektvoll zu lösen; dem Kroaten Andrej Plenkovic sicherte sie Unterstützung auf dem Weg zum Euro zu; das Treffen mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nannte sie ein gutes Gespräch.
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Scharfe Töne sind auch am Freitag kaum zu erwarten. Conte will mit von der Leyen über den abgehängten Süden Italiens sprechen. Doch an den eigentlichen Mammutthemen werden die beiden nicht vorbeikommen.
- Nachrichtenagentur dpa