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Zum journalistischen Leitbild von t-online.EU-Streit über Russland-Sanktionen Orbáns ungeheure Putin-Drohung
Ungarns Viktor Orbán erpresste seine EU-Partner damit, die Sanktionen gegen Russland auslaufen zu lassen. Das hätte Wladimir Putin viel Geld in seine Kriegskasse gespült. Trotz Einigung in Brüssel besteht weiterhin Gefahr.
Wie man sich bettet, so liegt man, heißt es im Volksmund. So geben nur noch wenige deutsche Medien seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Altkanzler Gerhard Schröder oder dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán eine Plattform. Ende Oktober saßen Schröder und Orbán allerdings gemeinsam auf einer Bühne in Wien, auf Einladung der Schweizer "Weltwoche" – also der rechtspopulistischen Zeitung, die einen Tag nach Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 Wladimir Putin auf ihr Cover packte, die Titelzeile: "Der Missverstandene".
Schröder und Orbán inszenierten sich als "Freunde des Friedens", so lautete auch der Veranstaltungstitel. Sie sind in der Vergangenheit mit ihren Friedensbemühungen gescheitert, trotzdem warben sie für einen Dialog mit Russland, ohne Putins Imperialismus zu kritisieren. Dafür gab es auf der Bühne vor allem Kritik an der Europäischen Union und an den Amerikanern, die nicht an Frieden interessiert seien. Orbán erklärte: "Dieser Krieg ist verloren." Er wiederholte noch einmal: "Dieser Krieg wurde verloren, das ist die militärische Realität."
Der ungarische Regierungschef ist aufgrund seiner kremlfreundlichen Äußerungen in der EU weitestgehend isoliert. Lediglich der slowakische Ministerpräsident Robert Fico fährt einen ähnlichen politischen Kurs. Im Sommer provozierte er bei seinen europäischen Partnern großen Ärger, weil er ohne Absprache Putin in Moskau besuchte. Orbán schwäche – so der Vorwurf im westlichen Bündnis – ganz im Sinne des Kreml-Diktators die europäische Einigkeit.
Und in der Tat: Orbán hat vor allem seine eigenen Interessen im Blick. So blockierte er wochenlang die Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland und erpresste seine europäischen Partner. Dahinter steckte eine ungeheure Drohung: Hätte Ungarn keine Zugeständnisse bekommen, wären selbst die eingefrorenen russischen Gelder freigegeben worden – eine politische Bombe, die bei einer Detonation 200 Milliarden Euro in Putins Kriegskasse spülen würde.
Nun lenkte Ungarn ein, die EU bekommt im Streit über den Fortbestand der Russland-Sanktionen eine Atempause. Aber die Gefahr durch Orbán ist keinesfalls gebannt.
Verlängerung der Russland-Sanktionen beschlossen
Die Erleichterung am Montag in Brüssel ist dennoch zunächst einmal groß. Ungarn hat gegen Zusicherungen zur Energiesicherheit sein Veto gegen die Verlängerung von Sanktionen gegen Russland, die Ende Januar auslaufen, zurückgezogen. Die ungarische Regierung trug bei einem Außenministertreffen in Brüssel die für das Weiterlaufen der Strafmaßnahmen notwendige Entscheidung mit.
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Das war knapp – denn wochenlang hatte die ungarische Führung mit einer Blockade gedroht. Der Grund: Orbán hatte für seine Zustimmung zur Sanktionsverlängerung zunächst unter anderem gefordert, dass die Ukraine eine jüngst geschlossene Pipeline wieder öffnet, die bis dahin russisches Erdgas nach Mitteleuropa und damit auch nach Ungarn befördert hatte.
Letztlich stimmte die ungarische Regierung einer Verlängerung der Sanktionen zu. Das zeigt vor allem, dass Ungarn in der EU noch immer relativ isoliert ist und der Druck auf Budapest in den vergangenen Wochen immer größer wurde. Trotzdem versuchen die EU-Kommission und Orbán, sich jeweils als Sieger zu präsentieren.
Der ungarische Außenminister Péter Szijjarto teilte mit, Ungarn habe die geforderten Garantien hinsichtlich der Energiesicherheit erhalten. Die EU-Kommission habe sich verpflichtet, die Erdgas- und Ölpipelines zu den EU-Mitgliedstaaten zu schützen, und fordere nun von der Ukraine Zusicherungen, die Ölversorgung der EU sicherzustellen.
Ungarn bleibt abhängig von Russland
Doch inwieweit das mitten im Krieg überhaupt möglich ist, bleibt fraglich. Es sollte eine Machtdemonstration Orbáns werden, die vorerst gescheitert ist.
Tatsächlich steht Orbán vorerst mit leeren Händen da: Ungarn ist in hohem Maße abhängig von günstigen russischen Öl- und Gaslieferungen, aber Ungarn unternimmt auch kaum etwas, um die Energieversorgung seines Landes von Russland unabhängiger zu machen. Stattdessen bleibt Orbán bereitwillig in den Fängen Putins.
Der Zeitpunkt für die aktuelle Kraftprobe ist dabei kein Zufall. Eigentlich hätte die Sanktionsverlängerung bereits im vergangenen Jahr entschieden werden sollen. Beim EU-Gipfel kurz vor Weihnachten kündigte der ungarische Ministerpräsident aber an, er müsse über die Sache noch nachdenken und werde eine Entscheidung erst nach der Amtseinführung des neugewählten US-Präsidenten Donald Trump am 20. Januar 2025 treffen.
Orbán spielt auf Zeit
Ungarn hoffte also vor allem auf den Machtwechsel in den USA und auf Orbáns Freund Donald Trump. Denn der Republikaner hatte bereits im US-Wahlkampf den ungarischen Regierungschef als "großen Führer" in Europa gelobt. Beide vertreten eine ähnliche politische Agenda, beide verbinden ihr nationalistischer Protektionismus sowie ihre Skepsis gegenüber Migration.
Orbán hatte auf Zeit gespielt, auch weil er wahrscheinlich mit Blick auf den Ukraine-Krieg auf Trump vertraut hat. Der Republikaner hat vor seinem Amtsantritt mehrfach damit geprahlt, er könne den russischen Krieg gegen die Ukraine in kurzer Zeit beenden. Aus Sicht der ungarischen Regierung würde dann die Grundlage für die Sanktionen wegfallen.
Orbán hatte die Strafmaßnahmen gegen Russland wiederholt als nutzlos und schlecht für die europäische Wirtschaft kritisiert. Dabei sind sie aktuell vor allem schlecht für Ungarn, weil sie der ungarischen Energieversorgung schaden. Dagegen wurde im Januar bekannt, dass das russische Staatsdefizit stetig steigt. In einem vor Kurzem veröffentlichten Bericht bezifferte das russische Finanzministerium das Gesamtdefizit des russischen Staatshaushalts auf 3,49 Billionen Rubel, was rund 34 Milliarden US-Dollar (32,7 Milliarden Euro) entspricht.
Das ist das Ergebnis von Putins teurem Krieg, aber es ist auch ein Ergebnis der Sanktionen.
Ungarn wird Sanktionen weiterhin attackieren
Nach seinem Amtsantritt hat auch Trump erkannt, dass er den Ukraine-Krieg nicht schnell wird beenden können – und das hat natürlich auch Konsequenzen für Orbáns Machtspiel. Der ungarische Ministerpräsident könnte auch seine Blockade also aufgegeben haben, um Trumps künftige Verhandlungsbemühungen nicht zu unterwandern. Denn eine weitere Stärkung Putins durch Ungarn würde die russische Verhandlungsbereitschaft weiter schwächen.
Die Beilegung des Streites zwischen Brüssel und Budapest kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es innerhalb der EU auch weiterhin große Konflikte in der Russlandpolitik gibt. Ungarn fürchtet die militärische Bedrohung durch Russland nicht, im Gegenteil.
Orbán hat seine Beziehungen zum Kreml so gestaltet, dass Putin ihn nur allzu gerne als Störenfried innerhalb der EU und Nato nutzen kann. Für Moskau sind Ungarn und die ständigen Konflikte zwischen Orbán und dem westlichen Bündnis ein effektives Instrument, um Europa zu spalten und zu schwächen. Im Gegenzug erhielt die ungarische Führung billige Rohstoffe aus Russland und hofft zumindest darauf, sich aus dem hybriden Krieg zwischen dem Kreml und den westlichen Staaten heraushalten zu können.
Deshalb wird die ungarische Führung wahrscheinlich die erste Gelegenheit nutzen, um die Sanktionen gegen Russland erneut zu attackieren. Die Lage bleibt heikel.
Orbáns Strategie ist allerdings riskant, denn die ungarische Abhängigkeit von Russland gibt Moskau Erpressungspotenzial. Auch deshalb legt sich ein Schatten über viele Aussagen des ungarischen Ministerpräsidenten der vergangenen 35 Kriegsmonate. So warb der ungarische Ministerpräsident im vergangenen Oktober auf der Veranstaltung in Wien für mehr russlandpolitische Autonomie von den USA und lobte Altkanzler Schröder für dessen Nein zum amerikanischen Irak-Krieg im Jahr 2003. Das waren Worte, die man in der russischen Hauptstadt mit Wohlwollen vernommen haben dürfte.
- morgenpost.de: Drama in Brüssel: Bekommt Putin seine 200 Milliarden zurück?
- sueddeutsche.de: Welches Spiel spielt Viktor Orbán?
- merkur.de: Die Jagd auf Putins Milliarden könnte starten – doch Ungarn ist skeptisch
- fr.de: Russlands Haushaltsdefizit wächst auf höchsten Stand seit Start des Ukraine-Kriegs
- welt.de: EU-Kommission will Ungarn Millionenstrafe von EU-Geldern abziehen
- zeit.de: Achtung, die Älpler!
- zdf.de: Putins und Orbans Spiel mit dem Gas
- politico.eu: I’ll end Russia sanctions unless Ukraine pumps Putin’s gas (englisch)
- Nachrichtenagentur dpa