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Nigeria: Massenentführungen als lukratives Geschäftsmodell


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Ein alarmierender Trend
Afrikas Vorzeigeland versinkt in der Krise

MeinungGastbeitrag von Marija Peran, Konrad-Adenauer-Stiftung

27.03.2024Lesedauer: 3 Min.
Demonstranten in Nigeria fordern die Sicherheitskräfte des Landes auf, eine Gruppe entführter Schulkinder zurückzubringen. (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Demonstranten in Nigeria fordern die Sicherheitskräfte des Landes auf, eine Gruppe entführter Schulkinder zurückzubringen. (Archivbild). (Quelle: KOLA SULAIMON/getty-images-bilder)
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Im vergangenen Monat kam es in Nigeria zu einer Reihe von Massenentführungen, oft von Kindern. Dahinter stecken politische und wirtschaftliche Motive.

Eine Serie von Massenentführungen im Norden Nigerias hat im vergangenen Monat das Land in Schrecken versetzt. Ende Februar entführten Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram im Bundesstaat Borno im Nordosten über 200 Binnenvertriebene, weitestgehend Frauen und Mädchen.

Anfang März entführten sodann bewaffnete Männer 287 Schüler einer staatlichen Schule in Kaduna im Nordwesten. Das derzeitige Geschehen weckt Erinnerungen an die Entführung der knapp 300 sogenannten "Chibok Girls" ebenfalls im Norden Nigerias durch Boko Haram vor fast genau zehn Jahren. Bis heute werden noch 98 dieser Mädchen vermisst.

Entführungen an der Tagesordnung

An diesem Sonntag kam die ersehnte Nachricht: 137 der Schulkinder sind frei. Daten- und Informationsfluss im Land sind so schlecht, dass drei Wochen nach der Tat noch unklar ist, wie viele Kinder genau entführt und damit, ob wirklich alle befreit wurden. Weder die Umstände der Befreiung noch wer hinter der Entführung steckt, ist bisher bekannt. Trotz dieses Erfolgs zeugen die zunehmenden Vorfälle von der Ohnmacht der Sicherheitsbehörden.

Zur Autorin

Marija Peran ist Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Nigeria. Davor arbeitete sie für Save the Children und als Migrationsrechtsberaterin bei der Caritas.

Entführungen gehören in Nigeria inzwischen zur Tagesordnung, logistisch komplexe Massenentführungen sind besonders lukrativ. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Armed Conflict Location and Events Data Project (ACLED) finden mehr als die Hälfte aller Entführungen in Westafrika in Nigeria statt. Hinter diesen abscheulichen Taten stecken jedoch keineswegs mehr nur religiös motivierte Extremisten wie Boko Haram, sondern zunehmend lose organisierte Gruppen oder Individuen, die schnelles Geld erpressen wollen.

Zwei Drittel der Bevölkerung leben in Armut

Vor allem aber professionell agierende bewaffnete Gruppen, die in Nigeria als "Banditen" bezeichnet werden, und Netzwerke organisierter Kriminalität schlagen zunehmend Kapital aus dem lukrativen Geschäft des Menschenhandels und nutzen Entführungen als Mittel zur Ausbeutung schutzbedürftiger Personen, insbesondere von Frauen und Kindern. In der Regel fordern die Entführer Lösegeld oder eine Auszahlung in Naturalien oder Wertgegenständen. Ein Bundesgesetz von 2022, das die Zahlung von Lösegeldforderungen verbietet, hemmt diese Praxis nicht. Wer kein Lösegeld zahlt, hat kaum Chancen, die Entführten wiederzusehen.

Dieser alarmierende Trend unterstreicht eine bittere Realität: Entführungen haben sich von vereinzelten Vorfällen zu einem ertragreichen Geschäftsmodell entwickelt. Obwohl Nigeria die größte Volkswirtschaft Afrikas ist, leben zwei Drittel der Bevölkerung in Armut. Das Land befindet sich in einer der schwersten sozioökonomischen Krisen seiner Geschichte. Rekordinflation, zunehmende Arbeitslosigkeit und eine Verdreifachung der Preise für Grundnahrungsmittel, Benzin sowie Energie führen zu steigender Armut und Perspektivlosigkeit, die wiederum zur Kriminalisierung weiter Teile der Bevölkerung beitragen. Wirtschaftliche Not entlastet die Entführer nicht, das Wissen darüber trägt aber zum Verständnis des Entführungsgeschäfts bei.

Sicherheitskräfte konkurrieren teils untereinander

Die Entführungen sind zudem das jüngste Anzeichen für die sich verschärfende Sicherheitskrise in einem Land, in dem der Staat in weiten Teilen abwesend ist. Den spezifischen Sicherheitsproblemen in fast allen Teilen Nigerias, die von Terrorismus und Banditentum über gewaltsam geführte Landnutzungskonflikte und Ölpiraterie hin zu Sezessionsbestrebungen reichen, hat der Staat wenig entgegenzusetzen.

Nigeria verfügt über eine zerklüftete Sicherheitsarchitektur, die staatliche Gewalt ist auf viele Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden verteilt. Dabei überlappen sich die Mandate oft, was mit einer Konkurrenz um Macht und Geld einhergeht und in der Folge zu Misstrauen und mangelnder Kooperation zwischen den Sicherheitsbehörden führt. Des Weiteren ist der Sicherheitssektor zentral organisiert, die operative Befehlskette läuft immer über die Bundesebene und die Hauptstadt Abuja.

Entführungen wirken sich auf das soziale Gefüge Nigerias aus

Die Landesregierungen im föderal organisierten Nigeria haben bisher kaum Zuständigkeiten hinsichtlich des Einsatzes von Sicherheitskräften. Angesichts der sich zuspitzenden Sicherheitslage werden Rufe nach einer Kompetenzstärkung der Länder und insbesondere nach Landespolizeien jedoch lauter, und die Themen werden von der Bundesregierung erstmalig ernsthaft diskutiert. Schließlich sind die nigerianischen Sicherheitsbehörden chronisch unterfinanziert und insgesamt schlecht ausgestattet. Dies führt zu einer Abwesenheit von Recht und Sicherheit in weiten Teilen des Landes.

Über das unmittelbare Trauma hinaus, das den Opfern und ihren Familien zugefügt wird, haben die zahlreichen Entführungen weitreichende Auswirkungen auf das soziale Gefüge und die nachhaltige Entwicklung Nigerias. Die Unsicherheit ist allgegenwärtig, schürt Angst in den Gemeinschaften, erschwert den Zugang zu Bildung und untergräbt das Vertrauen in staatliche Institutionen, deren Aufgabe es ist, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Die meisten Nigerianer fühlen sich vom nigerianischen Staat alleingelassen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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