Tödliche Gewalteskalation in Ecuador Ein Land versinkt im Chaos
Die Gewalt in Ecuador nimmt verheerende Ausmaße an. Präsident Noboa ruft nun den Ausnahmezustand aus: Das Land sei in einem "internen bewaffneten Konflikt".
Bewaffnete Männer stürmen während einer Livesendung ein Studio des staatlichen TV-Senders TC in Ecuador. Während das Licht am Set ausgeht, läuft die Übertragung weiter. Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgen live, wie die Männer mehrere Journalisten und andere Mitarbeiter als Geiseln nehmen. "Bitte nicht schießen", ruft eine Frau, als Schüsse zu hören sind. Die mit Gewehren und Granaten bewaffneten Männer schlagen auf die Menschen im Studio ein und zwingen sie zu Boden.
Diese Szenen spielten sich am Dienstag in der Stadt Guayaquil ab. Eine halbe Stunde nach Beginn des Überfalls war zu sehen, wie die Polizei eintraf. Sie meldete später, dass 13 Männer festgenommen worden seien. Auch in eine Universität drangen Angreifer ein. Mehr dazu lesen Sie hier. Hinter den Angriffen stecken mutmaßlich Drogenbanden.
Acht Tote und Dutzende Festnahmen
Am Mittwoch kamen dann in der ecuadorianischen Stadt Guayaquil bei mehreren Vorfällen mit kriminellen Banden mindestens acht Menschen ums Leben. Zwei Menschen seien verletzt worden, darunter ein Polizist, der Schusswunden davongetragen habe, teilte die Polizei auf einer Pressekonferenz mit. Es habe mehr als 20 Vorfälle in der Hafenstadt gegeben, hieß es. Insgesamt seien mehr als 600 Notrufe eingegangen.
Die ecuadorianischen Sicherheitskräfte nahmen laut Polizei im Laufe des Tages insgesamt 70 Verdächtige fest. Bei Einsätzen im ganzen Land seien zudem Schusswaffen, Munition, Sprengstoff, Brandsätze und Fahrzeuge sichergestellt worden, teilten die Beamten am Mittwoch mit. Zudem befreiten sie drei von Gangmitgliedern verschleppte Polizisten und setzten 17 entflohene Häftlinge fest.
"Alle diese Gruppen sind militärische Ziele"
Bereits in den vergangenen Wochen hatte sich die Gewalt durch Drogenbanden in Ecuador zugespitzt. Daniel Noboa, der Präsident des Landes, schickt nun Streitkräfte in den Kampf gegen sie. Das Militär soll Einsätze gegen etwa 20 kriminelle Organisationen durchführen, hieß es am Dienstag in einem Dekret. Das Land befinde sich in einem "internen bewaffneten Konflikt", erklärte Noboa. Die Banden seien terroristische Organisationen und nicht staatliche Kriegsparteien, die ausgeschaltet werden sollen, hieß es im Dekret weiter.
Militärchef Jaime Vela kündigte an: "Alle diese Gruppen sind jetzt militärische Ziele." Während der kommenden 60 Tage werde das Militär in den Gefängnissen und auf den Straßen des Landes eingesetzt, zudem gilt zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr eine nächtliche Ausgangssperre.
Am Montag verhängte Noboa zudem einen landesweiten Ausnahmezustand als Reaktion auf heftige Auseinandersetzungen krimineller Banden in mehreren Gefängnissen des Landes. Dabei wurden unter anderem Wärter als Geiseln genommen. Am Rande der Tumulte gelang so zwei Bandenchefs die Flucht: Adolfo Macías alias "Fito" von der Bande "Los Choneros" und Fabricio Colón Pico, Anführer der "Los Lobos".
Die Gefängnisbehörde SNAI erklärte am Dienstag, dass 125 Wärter und 14 Verwaltungsbeamte in fünf Städten in der Gewalt von Häftlingen seien. In den Online-Netzwerken kursieren Videos, welche die Hinrichtung von mindestens zwei Gefängniswärtern zeigen sollen. Der oberste US-Diplomat für Lateinamerika, Brian Nichols, äußerte sich im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) "äußerst besorgt" über "die Gewalt und die Entführungen in Ecuador".
Jede Stunde stirbt ein Mensch
Bereits in den vergangenen Monaten hatte sich die Sicherheitslage in Ecuador dramatisch verschlechtert. Die Mordrate von rund 46,5 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohner im vergangenen Jahr war die bislang höchste in der Geschichte des einst friedlichen Andenstaats und eine der höchsten Lateinamerikas. Fast jede Stunde stirbt in Ecuador ein Mensch durch kriminelle Gewalt.
Die Gewalt geht vor allem von Banden mit Verbindungen zu mächtigen mexikanischen Kartellen aus. Sie kämpfen um die Kontrolle über die Routen des Drogenhandels. Auch albanische Drogenhändler sollen mittlerweile mitmischen. Ecuador ist ein wichtiges Transitland für Kokain aus Südamerika, das in Bananenlieferungen in die USA und nach Europa geschmuggelt wird. Das Land ist für Drogenschmuggler besonders attraktiv, weil die Strafverfolgungsbehörden ihm wenig Aufmerksamkeit widmen.
Ecuador in der Wirtschaftskrise
Doch nicht nur Drogenbanden machen dem Land zu schaffen. Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, die Politik unbeständig. Ein Grund für die ansteigende Gewalt könnte laut Johannes Köpl, Lateinamerika- und Kulturexperte bei trainconsulting, die Einführung des US-Dollars im Jahr 2000 sein. Das habe das Land für den Drogenhandel attraktiver gemacht, schrieb er auf der Kurznachrichten-Plattform X. Köpl war zuletzt als Berater für die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank in San José, Costa Rica und Washington DC tätig.
Soziologen sehen zudem die Armut im Land als Ursache für die Gewalt. Diese steigt bereits seit dem Jahr 2019 massiv an. Zudem fehle es laut Experten an Arbeitsplätzen.
Präsident Noboa ist seit Ende November 2023 im Amt. Er kündigte an, die Gewalt einzudämmen. Im Wahlkampf verkündete er außerdem, gefährliche Kriminelle auf Gefängnisschiffen zu isolieren.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
- zeit.de: "Junger Unternehmer Daniel Noboa gewinnt Präsidentschaftswahl"