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Nahostkonflikt: Katars Drahtseilakt – Terror-Unterstützer oder Vermittler?


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Krieg in Nahost
Der geheime Gewinner


10.11.2023Lesedauer: 5 Min.
Israel Palestine QatarVergrößern des Bildes
Vermittler oder Zündler? Der Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, nimmt an einer Konferenz in Kasachstan teil (Archivbild). (Quelle: Vyacheslav Prokofyev/ap)

Katar ist derzeit einer der wichtigsten Akteure im Nahostkonflikt. Das Land vermittelt, führt Gespräche – und doch gibt es große Kritik. Was will Katar?

Im aktuellen Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas nimmt ein Akteur eine besondere Rolle ein, der zuletzt mit Kritik überhäuft wurde: das Emirat Katar. Wohl kein anderes unbeteiligtes Land nimmt aktuell ähnlich viel Einfluss auf den Konflikt. Katar führt mit Palästinensern wie mit Israelis Gespräche – und kann Vermittlungserfolge vorweisen. Gleichzeitig wird aber immer wieder der Vorwurf laut, dass der Emir in Doha ein Unterstützer des islamistischen Terrorismus sei.

"Außenpolitisch vollführt Katar oft einen Drahtseilakt", erklärt Nahostexperte Daniel Gerlach t-online. Warum ist das so? Weshalb macht sich das Land mit seiner Position oft angreifbar? Und was wollen die Katarer im Nahostkonflikt eigentlich erreichen? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was hat Katar bisher als Vermittler zwischen Israel und der Hamas erreicht?

Katar hat seit den Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober auf Israel als Mediator zwischen den Konfliktparteien geglänzt. Sowohl die Freilassung mehrerer in den Gazastreifen verschleppter Geiseln als auch die Öffnung des Grenzübergangs Rafah im Süden des Palästinensergebiets soll maßgeblich von Katar mitverhandelt worden sein. Eine der freigelassenen Geiseln, eine 85-jährige Frau, sprach öffentlich über die Gefangenschaft. Was sie erzählt hat, können Sie hier nachlesen.

Nun gibt es Berichte über den womöglich nächsten Trumpf Katars: Das Emirat soll mit seinen Vermittlungen Gespräche zwischen Israel und der Hamas erreicht haben, die eine mehrtägige Feuerpause zum Ergebnis haben könnten. Im Gegenzug werden womöglich weitere Hamas-Geiseln freigelassen. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.

Welche Position vertritt Katar im aktuellen Konflikt?

Für das Massaker, das die Terroristen am 7. Oktober in Israel verübten, mache Katar ausschließlich den militärischen Arm der Hamas verantwortlich, sagt Gerlach. Da die politische Führung im Exil in Doha sitze, könne sie dort sowohl von den Katarern als auch den USA und Israel eng überwacht werden, so der Nahostexperte. "Eine Beteiligung der politischen Führung der Hamas an den Angriffen auf Israel gilt deshalb als eher unwahrscheinlich."

"Zudem vertreten die Katarer die Ansicht, dass die Hamas wohl von der schwachen israelischen Verteidigung am 7. Oktober selbst überrascht wurde", erklärt Gerlach. "Neben dem Ziel, die israelische Seite durch einen Blitzangriff zu erschüttern, sei der Plan gewesen, einige Dutzend israelische Soldaten gefangenzunehmen, um damit politische Forderungen zu erpressen. Ein Großteil der brutalen Attacken und Gräueltaten gegen Zivilisten seien von nachrückenden Palästinensern aus dem Gazastreifen auf eigene Rechnung verübt worden, so hört man aus Doha." Aussagen der Hamas-Führung in einem Interview mit der "New York Times" lassen jedoch Zweifel an der katarischen Perspektive zu. Mehr dazu lesen Sie hier.

Katar gewähre der politischen Exilführung der Hamas zwar Gastrecht, unterhalte aber auch diskrete, zum Teil sogar enge Beziehungen zu Israel. "Israelische Sicherheitsexperten gehen in Doha ein und aus, und umgekehrt", sagt Gerlach. "Katar vertritt zwar eine dezidiert pro-palästinensische Haltung, will wegen seiner Rolle als Mediationsmacht aber keine Seite im Nahostkonflikt pauschal ablehnen. Daher kommen auch die aktuellen Vermittlungsversuche."

Warum kann Katar überhaupt zwischen der Hamas und Israel vermitteln?

Das Emirat unterhalte bereits seit Langem Beziehungen zur Hamas, erklärt Daniel Gerlach. Denn in Doha sei man von einem überzeugt: Nämlich dass die Hamas im Gegensatz zur Palästinensischen Autonomiebehörde tatsächlich Druck auf Israel ausüben könnte. "Man teilt zwar nicht die Ziele der Terrororganisation, glaubt aber, dass die Hamas letztlich der mächtigere palästinensische Akteur ist", so Gerlach. Und: "Zumindest bis zum 7. Oktober betrachtete Katar die islamistische Gruppe im Gazastreifen als legitimen Akteur."

"Katar ist in einer absoluten Schlüsselposition, um im Konflikt zwischen Israel und der Hamas zu vermitteln", betont der Nahostexperte. "Alle Akteure verfolgen eigene Interessen. Auch Katar." Dennoch sei die Position des Emirats eine besondere: "Für die Katarer ist ein Ende des Krieges oder auch die Befreiung von Geiseln deckungsgleich mit eigenen Interessen, denn die liegen im Verhandlungserfolg an sich. Ein Verhandlungserfolg in einer aussichtslosen Lage würde Katars Position ungemein stärken und sein Selbstverständnis als Mediationsmacht unterstreichen."

(Quelle: B. Benkredda/t-online)

Daniel Gerlach ist Autor, Nahostexperte und Direktor der Denkfabrik Candid Foundation. Zudem gibt er das Fachblatt "Zenith – Zeitschrift für den Orient" heraus und ist dessen Chefredakteur. Gerlach studierte in Hamburg und Paris Orientalistik und Geschichte. Er gilt als einer der führenden Experten in Deutschland für den Nahen Osten und die muslimische Welt.

Welche Rolle spielt Katar im Nahen Osten?

"Katar hat seine ursprüngliche Rolle als regionale Macht in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich ausgebaut", sagt Experte Gerlach im Gespräch mit t-online. "Dabei setzt das Emirat besonders auf seine Rolle als Vermittler in Konflikten. Diese Aufgabe hat sich Katar sogar in die Verfassung geschrieben." Geopolitisch betrachte sich das Land zwar als neutral, sei aber wegen seiner Größe auf Sicherheitsgarantien etwa der USA oder der Türkei angewiesen.

In Katar nutzen die US-Streitkräfte die Luftwaffenbasis Al Udeid als Sitz des Zentralkommandos. Das sind die Teilstreitkräfte, die für den Nahen Osten und Zentralasien zuständig sind. Auch die Türkei hat in den vergangenen Jahren besonders wegen der Katar-Krise, einer Blockade des Emirats durch seine Nachbarländer von 2017 bis 2021, seine Truppenpräsenz in dem Kleinstaat deutlich ausgebaut.

Wie agiert das Emirat auf der großen internationalen Bühne?

Neben seiner Rolle als Mediationsmacht nutzt Katar den Reichtum des Landes zu seinem Vorteil. "Das Emirat tätigt in vielen Weltregionen strategische Investments in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen", erklärt Gerlach. So hält Katar Anteile an der Deutschen Bank, aber auch am russischen Staatskonzern Rosneft. Nicht zuletzt investiert man in Europa viel in Immobilien oder etwa im Hotelsektor. Und zudem unterstütze das Land ärmere Staaten des globalen Südens mit Entwicklungshilfe.

Dass Katars Außenpolitik oft einem "Drahtseilakt" gleiche, macht Gerlach anhand eines aktuellen Beispiels fest: "Man hat zwar den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilt, unterhält aber weiter gute Beziehungen mit Russland", so der Experte. "In den Vereinten Nationen pocht Katar auf das internationale Recht, da es als kleines Land weiß, dass es darauf angewiesen ist." Dass Katar so handele, begründe sich "mit Katars selbsterklärtem Alleinstellungsmerkmal als Mediationsmacht".

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Was ist dran an der deutschen Kritik an Katar?

Hierzulande hat das Emirat zuletzt vor allem Negativschlagzeilen produziert. Rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 kritisierten viele deutsche Experten die Arbeitsbedingungen und Menschenrechtslage in Katar. Dass das Emirat nach Beginn des russischen Angriffskriegs von der Bundesregierung schnell als neuer Gasversorger auserkoren wurde, sorgte ebenfalls für Stirnrunzeln. Und zuletzt wurde immer wieder der Vorwurf laut, dass Katar einer der größten Unterstützer des islamistischen Terrorismus sei. In anderen Regionen der Welt blickt man jedoch ganz anders auf das Emirat.

"Trotz Katars Beziehungen zur Hamas hört man aus Israel keine so scharfe Kritik an dem Emirat wie etwa in Deutschland", verdeutlicht Daniel Gerlach. Vor allem die Verunglimpfung als "Terrorstaat" nehme man übel. Mehr zu der Kritik lesen Sie hier. "Grundsätzlich kann man die Position Katars zwar kritisieren, es könnte nur kontraproduktiv sein, wenn man gleichzeitig viel von den Katarern will", sagt der Nahostexperte. "Katar sieht in Deutschland zwar immer noch einen wichtigen Partner, reagiert mittlerweile aber wesentlich schärfer auf Kritik."

Beispielhaft führt Gerlach den Protest mit Regenbogenbinde von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Fußball-WM an: Dieser sei als "selbstgerecht" empfunden worden und es habe entsprechende "Retourkutschen" aus Doha gegeben. Mehr zu dem Vorfall lesen Sie hier. "Auch Außenministerin Annalena Baerbock hatte mit Aussagen zu Katars Unterstützung der Hamas zuletzt kurz vor einem Treffen mit Emir Tamim bin Hamad Al Thani für Irritationen gesorgt. Das Staatsoberhaupt hätte das Treffen beinahe platzen lassen", erklärt Gerlach. Eines gilt als sicher: "Das katarische Selbstbewusstsein in der Weltpolitik wächst."

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Daniel Gerlach
  • tagesschau.de: "Offenbar Verhandlungen über Feuerpause"
  • tagesspiegel.de: "Terroristen-Freund oder Vermittler: Wo steht Katar im Krieg zwischen Israel und der Hamas?"
  • spiegel.de: "Wie Baerbock nach einer neuen Rolle sucht" (kostenpflichtig)
  • spiegel.de: "Kampfansage an den Kronprinzen"
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