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Militärexperte Masala: "Die Ukraine redet sich den Kriegsverlauf schön":


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Krieg in der Ukraine
"Diese Darstellung war immer Quatsch"

InterviewVon Tobias Schibilla

Aktualisiert am 09.11.2023Lesedauer: 5 Min.
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Ein russischer Artillerieschütze in der Ostukraine: Die Artillerieüberlegenheit der Ukraine an manchen Frontabschnitten sei perdu, sagt Experte Carlo Masala. (Quelle: IMAGO/Stanislav Krasilnikov/imago-images-bilder)
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Der Krieg in der Ukraine wandelt sich allmählich zum Stellungskrieg. Ist ein Wendepunkt im Krieg erreicht? Experte Carlo Masala schätzt die Lage ein.

Die schnellen Frontbewegungen im Ukraine-Krieg kommen allmählich zum Erliegen. Territoriale Gewinne gibt es auf beiden Seiten nur noch sporadisch. Der Krieg ist zu einem Abnutzungskrieg geworden – das erklärt auch der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, General Walerij Saluschnyj, in einem Interview mit dem britischen "Economist".

Was braucht die Ukraine jetzt, um gegen die russischen Aggressoren bestehen zu können? Welche militärischen Mittel stehen ihr noch zur Verfügung, um offensive Erfolge erzielen zu können? Und beschönigt Präsident Selenskyj vielleicht sogar die Kampferfolge der Ukraine? Militärexperte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München schätzt die Lage im Gespräch mit t-online ein.

t-online: Herr Masala, in der vergangenen Woche hat ein Interview des Oberkommandierenden der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, für Aufsehen gesorgt. Darin erklärte er, die Situation an der Front entwickle sich zur "Pattsituation". Auch Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die derzeitige militärische Lage als schwierig. Wie nehmen Sie die Lage an der Front derzeit wahr?

Carlo Masala: Definitiv nicht als Pattsituation. Allerdings ist es richtig, dass die Ukraine in der letzten Zeit nicht viel Territorium zurückerobert hat. Die Front ist an vielen Stellen statisch geworden. Das heißt, keine der beiden Seiten kommt derzeit irgendwo nennenswert vorwärts.

Aber ist nicht genau das ein Patt?

Na ja, ein Patt würde bedeuten, dass es überhaupt keine Bewegung gibt. Das stimmt so ja nicht. In Awdijiwka sind die Ukrainer zum Beispiel in der Lage, die Russen Stück für Stück zurückzuschlagen. Aber wenn wir uns den ganzen Frontverlauf anschauen, ist da zwar wenig Bewegung drin – aber immerhin bewegt sich was.

Wir sehen an der Front also weniger ein Patt als "positional warfare", also einen Stellungskrieg. Das ist also ein Krieg, bei der mal die eine Seite 300 Meter vorrückt und die andere Seite diese minimalen Geländegewinne nach einer gewissen Zeit wieder zurückholt.

Saluschnyj vergleicht das mit der Schlacht um Verdun im Ersten Weltkrieg, wo ebenfalls keine Armee signifikante Geländegewinne erzielen konnte.

Das kann man so sagen, ja.

Am Wochenende sagte Selenskyj, die ukrainische Armee werde künftig eine neue Taktik mit "Überraschungsmoment" anwenden. Was könnte er damit meinen?

Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Bisher waren diese ganzen Überraschungen, die von ukrainischer Seite angekündigt wurden, keine Angriffe mit Überraschungsfaktor. Ich kann mir aktuell nicht vorstellen, dass Selenskyj damit etwas anderes als eine Attacke auf die Krim meint – also, dass die Streitkräfte der Ukraine versuchen, den Druck auf die Krim zu erhöhen.

Carlo Masala, Jahrgang 1968, lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Der Politikwissenschaftler diskutiert regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik. Gerade ist Masalas neues Buch "Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende" erschienen.

Glauben Sie, dass sich Selenskyj die festgefahrene Situation an der Front gerade schönredet?

Das ist schwierig zu beantworten. Im Prinzip machen die Ukrainer das schon seit Beginn des Krieges. Es ist ein fester Bestandteil der ukrainischen Kriegspropaganda.

Man hatte manchmal den Eindruck, die Ukrainer fordern Waffen und sagen, dann würde schon alles gut.

Das ist aber ziemlicher Quatsch, das hat die Berichterstattung hier im Westen seit Beginn des Krieges falsch gedreht. In der Ukraine hat kein Mensch gesagt, dass mit ein paar Waffenlieferungen aus dem Westen schon alles gut werden wird. In der Ukraine hat man von Anfang an gesagt: "Das ist die Situation, in der wir uns befinden – und das sind die Werkzeuge, die wir brauchen, um überhaupt die Chance zu haben, bestimmte Ziele erreichen zu können."

Das, was Sie erwähnen, war der Diskurs im Westen. Das war nie der ukrainische Diskurs. Und ganz ehrlich: Zu Beginn der Gegenoffensive gab es komplett falsche Erwartungshaltungen. Viele Experten haben immer gesagt hat, dass es keine Garantie für einen Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive gab.

Haben die westlichen Medien Ihrer Meinung nach eine Mitschuld an der hohen Erwartungshaltung gegenüber der ukrainischen Gegenoffensive?

Eine Mitschuld, ja. Bei uns ist oft der Eindruck erweckt worden, wir müssten einfach nur genügend Panzer in die Ukraine liefern, und dann sei das alles ein Kinderspiel. Diese Darstellung war immer Quatsch!

Wie bewerten Sie denn den Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive, Herr Masala?

Gemischt bewerte ich den Erfolg. Die Offensive war ein großer Erfolg, wenn es darum geht, die russische Kriegslogistik zu zerstören. Und sie war ein Erfolg, die Krim unter Druck zu setzen. Das kam für mich überraschend. Die Russen wurden durch mehrere Angriffe auf ihre Infrastruktur massiv in Bedrängnis gebracht.

Den großen Durchbruch gab es natürlich nicht. Aber für mich war auch schnell klar, dass die ukrainischen Streitkräfte das Asowsche Meer nicht erreichen werden.

Und welche militärischen Optionen hat die Ukraine jetzt noch, um eventuell sogar vor dem Winter einen Erfolg zu erzielen?

Also große territoriale Fortschritte wird es nicht mehr geben. Vor allem, wenn wir uns anschauen, wie die russische Armee reagiert. Gerade im Osten reagieren die Russen mit Menschenmassen, die versuchen, die ukrainischen Angriffe aufzuhalten. Der entscheidende Punkt ist, dass es den Ukrainern an Luftüberlegenheit mangelt. Die brauchen sie, um die russischen Verteidigungslinien durchbrechen zu können.

Welche Probleme gibt es dadurch?

Die Russen haben im Kriegsverlauf gelernt, Lancet-Drohnen einzusetzen und diese Drohnen mit Zieloptiken auszustatten. Durch Letztere wurden die Drohnen noch effektiver. Den Angriffen mit diesen Drohnen sind die Ukrainer schutzlos ausgeliefert.

Was könnte der Ukraine in dieser Situation denn helfen?

Für die Lufthoheit braucht es natürlich Kampfflugzeuge. Außerdem braucht man Luftverteidigung, die man den Bodentruppen beistellen kann.

Andere Experten haben im Gespräch mit t-online die Relevanz von Hubschraubern betont.

Kampfhubschrauber sind immer gut! Damit können sie russische Panzerverbände angreifen, die darf man nicht unterschätzen. Im Gegensatz zu Flugzeugen bieten Hubschrauber den Vorteil, dass sie in einer geringeren Höhe operieren. Damit können sie sowohl auf Panzer als auch auf andere vorrückende russische Verbände losgehen. Flugzeuge sind eher dann sinnvoll, wenn die ukrainischen Piloten gegen russische Flugzeuggeschwader vorgehen müssen.

Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer sagt, der Krieg befinde sich zurzeit an einem Wendepunkt. Wie sehen Sie das?

Ich würde Oberst Reisner dahingehend zustimmen, dass wir uns an einem Wendepunkt befinden, wenn wir es im Westen nicht hinkriegen, die Ukraine angemessen zu beliefern. Und damit meine ich nicht, dass wir jetzt wie wild F-16-Flugzeuge oder Kampfhubschrauber in die Ukraine schicken.

Sondern?

Die Ukraine braucht Artilleriemunition. Sonst wird sich das Blatt zugunsten der Russen wenden. Laut Geheimdienstberichten haben die Russen eine Million zusätzlicher Schuss Artilleriemunition bekommen. Der Westen hat es bislang geschafft, 300.000 Schuss Munition zu liefern.

Eigentlich hatten die Ukrainer es geschafft, an einigen Frontabschnitten Artillerieüberlegenheit zu etablieren. Wenn jetzt die Russen allerdings eine Million Schuss zusätzlich zur Verfügung haben, ist diese Überlegenheit perdu. Und das ist dann die Schuld der westlichen Alliierten. Wir kriegen es nicht hin, die industrielle Basis für eine angemessene Unterstützung der Ukraine zu legen.

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Die Interviews von Saluschnyj und von Selenskyj waren nicht gerade optimistisch. Wie beeinflusst das die Moral in der Ukraine – sowohl in der Zivilbevölkerung als auch in der Armee?

In der Zivilbevölkerung ist weiterhin klar, dass man den Russen gegenüber keine Zugeständnisse macht. Die Moral der Truppe hingegen ist davon abhängig, ob man ihr das Zeug gibt, um weiterzukämpfen. Sobald es einen Mangel an Material gibt, geht die Moral nach unten. Deshalb müssen wir jetzt dringend Artilleriemunition liefern und wir müssen das zerstörte Gerät ersetzen. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass beschädigtes Kampfgerät repariert wird. Darüber hinaus müssen wir alles liefern, was die Ukraine benötigt, um die Luftüberlegenheit herzustellen. Die bringt allerdings gar nichts, wenn man die Basics nicht hat. Und das ist zurzeit ein elementares Problem der Ukraine.

Herr Masala, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Carlo Masala
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