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Krise in China: Zwischen der Nähe zu Putin und dem Ego des "Baozi" gefangen


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China zwischen Krise und Putin
"Sie sprechen nicht mehr seinen Namen aus"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 06.11.2023Lesedauer: 7 Min.
Xi Jinping: Die Wirtschaftskrise in der Volksrepublik setzt den chinesischen Präsidenten zunehmend unter Druck.Vergrößern des Bildes
Xi Jinping: Die Wirtschaftskrise in der Volksrepublik setzt den chinesischen Präsidenten zunehmend unter Druck. (Quelle: IMAGO/Li Gang/imago-images-bilder)
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China steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Ist das vielleicht eine Chance für den Westen, Xi Jinping aus seinem Bündnis mit Wladimir Putin zu lösen? Zumindest gibt es Hoffnung.

Der chinesische Präsident Xi Jinping hat es im Oktober erneut getan. Bei einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin in Peking erneuerten beide Staatschefs ihre "grenzenlose Partnerschaft". Unter Xi scheint China immer weiter an der Seite von Russland und dem Iran einen geopolitischen Konflikt mit dem Westen zu forcieren. Aber wie treu steht die chinesische Führung zu ihren Verbündeten?

China-Experte Klaus Mühlhahn erklärt, warum der außenpolitische Kurs von Xi Jinping auch in China kritisiert wird und warum die gegenwärtige Wirtschaftskrise in der Volksrepublik dazu führt, dass das Misstrauen in den chinesischen Präsidenten wächst.

t-online: Herr Mühlhahn, Sie sind seit August zweimal nach China gereist. Wie ist die Stimmung in der Volksrepublik?

Klaus Mühlhahn: Es war erschütternd. Die Stimmung in China ist schlecht. Durch die schwierige wirtschaftliche Lage ist der Vertrauensverlust in die chinesische Führung groß und ich habe viele Menschen getroffen, die sehr kritisch eingestellt waren. Deshalb sind natürlich auch Zensur und Kontrolle allgegenwärtig. In Restaurants haben sich Gäste häufig umgedreht, offenbar aus Angst, dass jemand am Nebentisch die Gespräche mithört.

Klaus Mühlhahn

1963 in Konstanz geboren, studierte er in Berlin Sinologie und wurde dort promoviert. Es folgten Forschungsstationen in Berlin und im US-amerikanischen Berkeley. 2004 wurde Mühlhahn als Professor an die Universität Turku in Finnland berufen. 2014 wurde er Vizepräsident der Freien Universität Berlin, seit 2020 ist er Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.

Woher kommt diese Unzufriedenheit?

Corona spielt noch immer eine große Rolle. In der Pandemie hatte man Millionen Menschen eingesperrt – und das war schlecht organisiert. Hinzu kommt die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes. Es geht sichtbar bergab. Wir sind außerhalb von Shanghai an langen Reihen von Bauruinen, unfertigen Hochhäusern und leeren Fabriken vorbeigefahren. Das war erschreckend, dort arbeitete niemand mehr.

Wie wirkt sich die Wirtschaftskrise in China aus?

Viele Läden haben nach der Corona-Pandemie gar nicht mehr aufgemacht, weil sie sich von dieser Zeit nicht mehr erholen konnten. Außerdem fehlen ausländische Investitionen durch die aktuellen globalen Krisen. Wenn Sie also durch die Straßen in China gehen, sehen Sie viele geschlossene Geschäfte und Firmen und das trägt zur schlechten Stimmung im Land bei.

Wen machen die Chinesinnen und Chinesen für die schlechte wirtschaftliche Lage verantwortlich?

Xi Jinping persönlich. Doch auch aus Angst sprechen sie gar nicht mehr seinen Namen aus. Sie nennen ihn "Baozi".

Warum "Baozi"?

Das sind chinesische Maultaschen.

Wo ist die Verbindung zu Xi?

Wahrscheinlich haben sie diesen Spitznamen genommen, weil Xi Jinping auch etwas fülliger ist.

Das klingt aber humoristisch.

Nicht unbedingt. Gegen den Spitznamen "Winnie Puuh" ist die chinesische Zensur vorgegangen. Bei Maultaschen ist das schwieriger, weil es ein Nahrungsmittel des alltäglichen Gebrauchs ist.

Könnte sich die gegenwärtige Kritik an der chinesischen Führung in Proteste umschlagen?

Xi geht es vor allem um seinen Macherhalt. Auch deshalb hat die chinesische Führung wahrscheinlich die Trauerfeiern für den früheren Ministerpräsidenten Li Keqiang verhindert, der für einen pro-westlichen und sehr pragmatischen Wirtschaftskurs stand. Diese Trauerfeiern sind in der Vergangenheit oftmals in Proteste umgeschlagen, aber das sehe ich momentan eher nicht.

Warum?

Weil die Angst zu groß ist.

Was hat denn die wirtschliche Krise mit Xi persönlich zu tun?

Viele Menschen in China haben das Gefühl, dass Xi seine Macht und seine ideologischen Ziele wichtiger sind als das Wachstum der chinesischen Wirtschaft. Das sorgt für Misstrauen und Enttäuschung. Ein Bekannter sagte zu mir, dass China dabei gewesen sei, Europa und die USA wirtschaftlich zu überholen, aber das sei im Grunde von Xi kaputt gemacht worden. Sie denken, dass es unter Xi keine positive Entwicklung mehr geben wird.

Unternimmt die chinesische Führung Schritte, um diesem Misstrauen entgegenzuwirken?

Ja. Es kommen Dokumente aus dem Politbüro, die beteuern sollen, dass die chinesische Führung an der Privatwirtschaft festhalten will. Dabei bräuchte es nur einen Satz oder ein klares Signal von Xi Jinping. Das kommt aber nicht.

Was wäre denn die Alternative zur Privatwirtschaft?

Xi hat erklärt, dass er die Staatsunternehmen stärken möchte. Mir haben Leute in China erzählt, dass Privatunternehmen immer mehr aus dem Markt gedrängt werden. Die Chinesen sind davon überzeugt, dass zum Beispiel die staatlichen Banken angefangen haben, private Kredite für die Privatindustrie zu reduzieren, um sie anfällig für Übernahmen durch die Staatsunternehmen zu machen. Ich kann das nicht überprüfen, aber die Privatwirtschaft ist jedenfalls total verunsichert.

Ziehen deutsche Unternehmen daraus Konsequenzen?

Nein, im Westen scheint das kaum Beachtung zu finden. Vor allem deutsche Unternehmen investieren weiter in China und erkennen nicht, wie sehr sich das chinesische System in den letzten Jahren verändert hat.

Zuletzt hatte Xi seinen Verteidigungs- und seinen Außenminister entlassen. Ist das auch eine Reaktion auf die gegenwärtige Krise?

Wir wissen nicht, was hinter den Kulissen stattfindet. Für China ist ein stetiges Wirtschaftswachstum von großer Bedeutung und momentan sind die Herausforderungen immens. Eine solche schwierige Lage führt natürlich dazu, dass man sich auch in der Kommunistischen Partei gegenseitig die Verantwortung zuschiebt und hinter den Kulissen heftige Diskussionen stattfinden. Vermutlich deshalb verschwinden in China manche Leute. Aber die Politiker sind nur die Spitze des Eisbergs.

Es gibt also Kräfte in der KP, die den Kurs von Xi kritisieren?

Ganz sicher. Ich habe auch mit verschiedenen lokalen Politikern gesprochen und auch dort ist die Stimmung schlecht. Die lokale Wirtschaft ist am Boden, die Kommunen haben einen riesigen Schuldenstand und bekommen keinerlei Unterstützung. Sie versuchen gar, sich politisch ein wenig von Peking zu distanzieren, um einfacher an westliche Investitionen zu kommen.

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Warum verzichtet Xi trotz dieser Entwicklungen auf Anreize für die Privatwirtschaft?

Wir müssen davon ausgehen, dass er seine Macht und sein jetziges System gefährdet sieht. Deshalb nimmt er auch das liberale Wirtschaftssystem als Gefahr wahr und deshalb begibt er sich in die Nähe zu anderen Autokraten. Mit denen kann er sich dann den in seinen Augen zersetzenden Einflüssen des Westens zur Wehr setzen. Wenn der Westen also von einem Bündnis der Demokratien spricht, bestätigt das Xi wiederum in seiner Angst. Er sieht sich in einem Endspiel mit dem Westen.

Aber das Endspiel mit den USA hat Xi auch immer angestrebt.

Das stimmt. Aber China sieht sich aktuell mit einem starken Druck aus den USA konfrontiert. Vor allem seit Donald Trump hat sich die bilaterale Krise zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik massiv verschärft.

Hat man in China Angst vor einer Rückkehr Trumps ins Weiße Haus?

Das Misstrauen gegenüber den USA ist groß. Dabei ist es im Prinzip egal, ob Joe Biden oder Trump im Weißen Haus sitzt.

Der Grundstein für die aktuelle Verschlechterung der Beziehungen zwischen dem Westen und China ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Wird in China die chinesische Unterstützung für Wladimir Putin kritisiert?

Viele Menschen, mit denen ich gesprochen haben, sehen die gesamte Außenpolitik kritisch. Sie bewerten es als fundamentalen Fehler, dass sich Xi kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine mit Putin getroffen hat. Aus ihrer Perspektive ist dieses Bündnis mit Russland Irrsinn, weil China dadurch nicht viel gewinnt.

Vor allem auch die Treffen von Xi mit Putin sendeten vielleicht die falschen Signale.

Meine Gesprächspartner hatten überhaupt kein Verständnis dafür, dass der chinesische Präsident Putin auch nach dem Überfall auf die Ukraine noch oft persönlich traf. Sie sind entsetzt, dass Xi derartige Bilder produziert und einen großen Teil der Welt damit vor den Kopf gestoßen hat.

Aber dahinter muss doch eine Strategie der chinesischen Führung stecken?

Nein, ich sehe keine Strategie. Wir müssen tatsächlich darüber nachdenken, dass es dabei um die Paranoia und das Ego von Xi Jinping geht. Es geht ihm anscheinend auch um seine Männerfreundschaft und um einen Verbündeten im Konflikt mit den Systemrivalen im Westen. Doch die eigentlichen Vorteile für China sind eher überschaubar.

Verfängt in der Gesellschaft denn die antiwestliche Propaganda der chinesischen Führung?

Zumindest sind der chinesische Nationalismus und Antiamerikanismus stark ausgeprägt.

Ist das ein Grund, warum sich die chinesische Führung nach dem Terroranschlag der Hamas nicht an die Seite Israels stellte?

China hat seit vielen Jahren eine enge Bindung zu den Palästinensern und ihrem Kampf um einen eigenen Staat. Der Nahostkonflikt ist jedoch in der chinesischen Bevölkerung nicht besonders präsent. Aber China hat vor allem in den letzten Jahre zu Israel gute Beziehungen entwickelt, aber eben auch zum Beispiel zum Erzfeind Israels, dem Iran. Mein Eindruck ist, dass sich die chinesische Führung in dem Konflikt nicht wirklich viel engagieren will. Man sendet zwar Hilfsgüter in den Gazastreifen, möchte sich darüber hinaus nicht positionieren.

Aber das belastet die chinesisch-israelischen Beziehungen.

Zumindest wird Israel die Beziehungen zu China als belastet sehen. Es zeigt aber vor allem auch, dass die chinesische Außenpolitik voller Widersprüche ist. Sie stützen Putin, obwohl er die Ukraine überfällt. Sie unterstützen die Palästinenser, weil sie von Israel unterdrückt werden. Das hat keine Konsistenz und ist opportunistisch. Aufgrund dieser Widersprüche steht China außenpolitisch schlecht dar.

Könnte dieser Opportunismus nicht eine Chance sein, dass Xi Putin am Ende vielleicht doch fallen lässt?

China handelt interessengeleitet, wobei nicht immer klar ist, was diese Interessen eigentlich sind. Xi möchte keine destabilisierte Großmacht an seiner Grenze haben. Wenn der Westen also versichern würde, dass man keinen Regimewechsel in Russland anstrebe, könnte auch Xi gesprächsbereit sein.

Dementsprechend könnte ein Treffen zwischen Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden durchaus Hoffnung machen.

Zumindest hoffen meine Kontakte in China, dass sich die Beziehungen zu den USA stabilisieren könnten. Sie gehen davon aus, dass sich die beiden Führer nicht treffen würden, wenn sie nicht eine positive Nachricht hätten. Dabei kommt es darauf an, was der Westen in den Verhandlungen in die Waagschale werfen kann.

Was kann er in die Waagschale werfen?

Ein Ende der US-Sanktionen und der Strafzölle gegen China wäre natürlich in Xis Interesse. Die chinesische Führung wird sich auch darüber Gedanken machen, was nach der Ära Putin kommt, deren Ende vielleicht schneller kommen könnte, als viele erwarten. Es gibt also einiges, was man anbieten könnte. Aber es ist unklar, zu welchen konkreten Schritten Xi bereit ist.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mühlhahn.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Klaus Mühlhahn
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