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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Anschlagspläne und Drohungen Kommt der Terror aus Nahost nach Deutschland?
Im Zuge des Krieges zwischen Israel und der Hamas kommt es auch in Deutschland zu Anschlagsdrohungen. Experten beurteilen die Sicherheitslage unterschiedlich.
Rund zwei Wochen nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober scheint der Terror auch nach Europa zu kommen. In Belgien tötete zuletzt ein Attentäter zwei Touristen, in Deutschland drohen Islamisten mit Anschlägen auf Bahnhöfe, Flughäfen und Schulen – oder werden wie jüngst in Duisburg kurz vor der Ausführung von der Polizei gestoppt. Mehr zu den Plänen des Islamisten lesen Sie hier.
Schwappt der Konflikt aus dem Nahen Osten also auch nach Deutschland?
Spricht man dazu mit Extremismusexperten und Polizisten, erfährt man: Die Lage ist durchaus ernst – aber nicht sehr viel bedrohlicher als sowieso schon.
"Alle Sicherheitsbehörden arbeiten derzeit unter Hochdruck, es gibt aber keine konkrete erhöhte Anschlagsgefahr", sagt etwa Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Und er ergänzt: "Der Fall Duisburg zeigt, die Polizei kommt rechtzeitig zum Zug. Wir sind da, wenn man uns braucht."
Die Situation sei nicht vergleichbar mit der Zeit von 2015 bis 2017, als mit Attentaten wie am Berliner Breitscheidplatz eine erhöhte Gefahrenlage bestand. "Wir sind zwar sehr wachsam und haben viele Kollegen im Einsatz, aber wir sind nicht in einer solchen Situation wie damals."
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Radikalisierung im Internet
Zur Gefahrenabwehr überwacht und analysiert die Polizei unter anderem das Verhalten von Gefährdern im Netz. Zudem untersucht sie auch Aufrufe der Hamas und anderer Terrororganisationen. Auch im Blick der Behörden: Menschen, die sich im Internet radikalisieren.
Die Polizei gehe zahlreichen Hinweisen aus der Bevölkerung nach, sagt auch Kopelke. Zugleich bittet der Polizist um Mithilfe: "Alles, was Sie im Internet sehen, wo Sie das Gefühl haben, das ist Unrecht, das ist falsch – wenden Sie sich an die Polizei oder an den Verfassungsschutz. Durch die Hinweise der Bürger können wir das Puzzle zusammensetzen und erfolgreich ermitteln und Gefahren abwehren."
Auch Kaan Mustafa Orhon hält selbstradikalisierte Menschen für die aktuell größte terroristische Bedrohung. Der Extremismusexperte hat Islamwissenschaften studiert und arbeitet für die Beratungsstelle Leben, die zu Radikalisierung forscht. Das Problem bei jenen, die sich im Netz radikalisierten: Sie handelten vergleichsweise unvorhersehbar, da sie häufig aus Affekten heraus agierten und relativ unabhängig von den organisierten Strukturen des IS seien.
"Ich würde aber nicht von 'Einzeltätern' sprechen", sagt Orhon. "Meistens stellt sich bei den sogenannten Einzeltätern im Nachhinein heraus, dass es doch Mitwisser, Helfer oder Waffenbeschaffer gab."
Zudem seien auch islamistische Aufrufe zu Straftaten im Internet als Teil der Tat zu verstehen. "2016 gab es vom 'Sprecher' des IS in Syrien, Abu Muhammad al-Adnani, den Aufruf 'Nehmt euer Küchenmesser, geht auf die Straße und greift die Ungläubigen an'. Die Leute führen aus, was der IS ihnen gesagt hat", erläutert Orhon. Die Kernorganisation des IS hingegen habe aufgrund der Ermittlungserfolge der Polizei und des Antiterrorkampfs im Nahen Osten aktuell keine Kapazitäten, um Anschläge in Deutschland durchzuführen.
"Unfassbar hoher Sicherheitsstandard auf Weihnachtsmärkten"
Dennoch: Die Angst bei vielen Menschen in Deutschland dürfte ob der jüngsten Bombendrohungen steigen – nicht zuletzt angesichts der nahenden Adventszeit, in der vor allem die Weihnachtsmärkte in den Fokus der Behörden rücken. 2016 hatten der Islamist Anis Amri bei einem Anschlag mit einem Lkw zwölf Personen auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidtplatz umgebracht und knapp 170 Menschen verletzt.
Kopelke jedoch sieht auch hier keinen Grund für Alarmismus. Die Sicherheitslage der Weihnachtsmärkte sei "routiniert professionell", sagt er. Die Polizei habe in der Vergangenheit zahlreiche Maßnahmen eingeführt: "Deutsche Weihnachtsmärkte haben einen unfassbar hohen Sicherheitsstandard."
Falls die Hamas aber ihre Anhänger in Deutschland zu Straftaten aufrufe und weltweit mobilisiere, könne sich die Lage ändern, meint er, wobei die Polizei auch darauf vorbereitet sei.
"Hamas hat noch nie Anschläge in Europa verübt"
Dass es zu solchen Aufrufen jedoch überhaupt kommt, daran glaubt zumindest Extremismusforscher Orhon nicht. "Wir müssen zwischen der Hamas und dem Islamischen Staat differenzieren", sagt er.
Der IS und die Hamas seien miteinander verfeindet. Sie hätten deutlich verschiedene Ziele, Vorgehensweisen und Strukturen. So habe die Hamas den IS mit Gewalt aus dem Gazastreifen vertrieben, als dieser versucht hatte, dort Fuß zu fassen. Vielmehr sei deshalb wahrscheinlich, dass der IS den Konflikt zwischen Hamas und Israel nur aus Opportunismus für sich nutzen wolle, um sich wieder ins Gespräch zu bringen.
"Während der IS die Muslime der Welt in einem Staat vereinigen will, will die Hamas einen palästinensischen Staat etablieren", so Orhon. "Im Unterschied zur Hamas ist Israel für den IS nicht der Erzfeind, sondern nur ein Gegner unter vielen."
Bezüglich ihrer Strategie beschränke die Hamas ihren Terror aus taktischen Gründen auf Israel, um sich international als Widerstandskämpfer zu inszenieren und Verbündete zu gewinnen. Die Hamas habe seit ihrer Gründung 1987 keine Anschläge im Ausland verübt. Im Unterschied zur Hamas lehne der IS die Zusammenarbeit mit Organisationen und Staaten ab, die seinem Weltbild widersprechen.
IS suche sich seine Ziele willkürlich aus
Andere palästinensische Gruppen seien zwar zu ausländischen Anschlägen bereit, wie beim Attentat während der Olympischen Spiele in München 1972. Aktuell hätten sie aber nicht die Kapazitäten und Strukturen dafür in Deutschland. "Ich sehe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Hamas oder andere palästinensische Organisationen Anschläge in Europa verüben würden", sagt Orhon.
Möglich sei allerdings, dass Einzelpersonen sich von der Propaganda der Hamas angesprochen fühlen und im Affekt Attentate gegen jüdische Einrichtungen in Deutschland begehen. Der IS hingegen knüpfe relativ willkürlich an aktuelle Themen an, versuche Aufmerksamkeit zu erregen und sich mit seinen Attentaten als Verteidiger der Muslime zu inszenieren. "Der Fall in Duisburg passt eins zu eins in dieses Strickmuster", sagt Orhon.
- Telefonat mit Kaan Mustafa Orhon, Islamwissenschaftler und Experte für Radikalismus
- Telefonat mit Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei