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Iran | Vergiftungen mit System: Wie das Mullah-Regime Gift als Waffe einsetzt


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An Schulen, Universitäten und im Verhör
Diese Vergiftungsmethoden setzt das Regime im Iran ein


Aktualisiert am 03.04.2023Lesedauer: 5 Min.
Ein Mädchen mit Gasmake hält einen Zettel mit der persischen Aufschrift: "Bis zum letzten Atemzug: Frau, Leben, Freiheit."Vergrößern des Bildes
Ein Mädchen mit Gasmake hält einen Zettel mit der persischen Aufschrift: "Bis zum letzten Atemzug: Frau, Leben, Freiheit." (Quelle: 1500tasvir/reuters/t-online)
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Sie ringen nach Luft, halten sich den Bauch oder bluten plötzlich aus der Nase: Im Iran werden Protestierende immer wieder systematisch vergiftet – teils tödlich.

Sie klagen über Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Atemnot, Bauchkrämpfe oder Ohnmacht: Seit Beginn der Proteste gegen das islamische Regime im September 2022 werden im Iran immer wieder Protestierende vergiftet. Ob an Mädchenschulen, Universitäten oder im Gefängnis – die Vorfälle eint eine grausame Strategie des islamischen Regimes.

Warnung: Dieser Text enthält explizite Schilderungen von teils tödlicher Gewalt, die verstörend wirken können.

Vergiftet im Verhör: "Sie gaben mir Wasser und zwangen mich, es zu trinken"

Seit Beginn der Proteste im Iran mehrten sich die Berichte darüber, dass Gefangene in den Foltergefängnissen des Regimes offenbar Drogen und Medikamente in Form von Pillen verabreicht bekommen – um sie ruhig zu stellen, ihnen Angst zu machen, sie in den Suizid zu treiben oder sie gar zu töten.

Ein Beispiel dafür ist Arash Forouzandeh: Der Demonstrant wurde am 10. März 2023 von Regimekräften verhaftet, verhört und wieder freigelassen. Wenige Tage später, am 19. März, starb er – anscheinend vergiftet durch das islamische Regime. "Während des Verhörs gaben sie (Anm. d. Red: die Regimekräfte) ihm eine Flasche Wasser, die er trank. Danach erlitt er eine schwere Vergiftung", zitiert "Iran International" die iranische Menschenrechtsorganisation Dabdan.

Berichte des Menschenrechtsbündnisses 1500tasvir zeigen nun, dass Vergiftungen offenbar grausame Routine des Regimes sind: Ob in Saft und Wasser oder als Pillen – mehrere Menschen berichten anonym, dass sie durch Regimekräfte gezwungen worden seien, aus bereits geöffneten Flaschen zu trinken oder ihnen unbekannte Tabletten zu schlucken. Die Vergiftungssymptome, die darauf folgten, reichten ihren Aussagen zufolge von Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit bis hin zu blutigen Körperausscheidungen, Benommenheit oder Organinfektionen. Mehr dazu lesen Sie hier.

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Wie viele Menschen von den Vergiftungen in Gefangenschaft des Regimes betroffen sind, lässt sich nicht überprüfen. Auch die Zahl der Todesfälle infolge der Vergiftungen ist unklar. Dass Forouzandehs Tod vermutlich kein Einzelfall ist, legen jedoch weitere Fälle nahe, etwa der von Siavash Bahrami: Der 25-jährige Kurde aus Kermanshah wurde im Mai 2022 von Regimekräften verhaftet. Drei Tage später war Bahrami plötzlich tot, berichtet die kurdische Menschenrechtsorganisation Hengaw. Demnach führten vom Regime kontrollierte Gerichtsmediziner, seinen Tod, ähnlich wie bei Forouzandeh, auf angebliche gesundheitliche Probleme zurück. Seine Familie habe dem widersprochen, doch als sie versuchte, Einspruch gegen das Obduktionsergebnis zu erheben, seien sie von Regimekräften bedroht worden.

Giftgasanschläge an Mädchenschulen: Es roch nach faulen Eiern und Mandarinen

"Ich kann nicht atmen", sagten seit November viele Mädchen im Iran, die nach Giftgasanschlägen an Mädchenschulen in die Notaufnahme gebracht wurden. Sie klagten über Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Atemnot bis hin zur Ohnmacht, nachdem sie einen seltsamen Geruch von Mandarinen oder faulen Eiern wahrgenommen hatten. Viele Eltern nahmen ihre Kinder vor Beginn der Ferien aus Sorge zunächst aus der Schule.

Laut Beobachtern waren vor allem Einrichtungen betroffen, an denen Schülerinnen besonders vehement protestiert hatten. "Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Vergiftungen ist, dass das Regime dahintersteckt", sagt Politikwissenschaftlerin und Iran-Expertin Gilda Sahebi. In Anbetracht der flächendeckenden Kontrolle durch Überwachungstechnologie sei nur das Regime in der Lage, Attacken mit solch weitreichendem Ausmaß durchzuführen: Ganze Busse mit vergifteten Mädchen hielten vor den Notaufnahmen. Insgesamt waren Mädchenschulen in 28 der 31 Provinzen des Landes betroffen. Bis zu 7.000 Mädchen seien bei mehr als 200 Anschlägen vergiftet worden, berichtet die Human Rights Activists News Agency (HRANA).

Video | Hunderte Schülerinnen im Iran vergiftet
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Quelle: t-online

Im Zeitraum der Anschläge wurden Männer in Zivilkleidung auf den Schulhöfen und in Notaufnahmen gesehen, wie "IranWire" und 1500tasvir berichten – Augenzeugen beschreiben sie demnach als Basidsch-Milizen. Diese arbeiten als Freiwillige für die Revolutionsgarde des islamischen Regimes. Sie hätten Schülerinnen gedrängt, über die Vorfälle zu schweigen. Eine Krankenschwester sagte "IranWire" zudem, dass mehrere Kliniken durch die Behörden in Alarmbereitschaft versetzt worden seien – Stunden vor Bekanntwerden der Anschläge.

Das Regime lieferte derweil fadenscheinige Erklärungen: Kräfte aus dem Ausland seien schuld; es handle sich nicht um Giftanschläge, sondern eine Panikreaktion unter den Schülerinnen; Medien würden Angst schüren. Dann wiederum seien angeblich Hunderte Tatverdächtige verhaftet worden. Deren Identität? Unklar. Keine dieser Propagandathesen konnte bestätigt werden. Medienschaffende, die versuchten, Licht ins Dunkel der Anschläge zu bringen, wurden vom Regime verschleppt. So etwa der iranische Journalist Ali Purtabatabai.

Erst mit zunehmender internationaler Aufmerksamkeit hörten die Anschläge plötzlich auf. "Aber das Ziel hatte das Regime erreicht: Angst und Schrecken unter den jungen Menschen zu verbreiten, damit sie nicht wieder auf die Straße gehen", sagt Sahebi. Ob diese Angst groß genug sei, um die Mädchen von ihren Protesten abzuhalten, wisse man nicht. "Aber das ist die Strategie dahinter", so die Expertin.

Vergiftet in der Mensa: Mit Gift gegen die Studierendenproteste

In deutschen Medien nahezu unerwähnt blieb ein Vorfall aus dem Dezember. Auch hinter diesem vermutet Iran-Expertin Sahebi das Regime. So wiesen laut der iranischen Nachrichtenagentur Insa 1.200 Studierende der Universitäten Kharazmi und Ark schlagartig Symptome wie Erbrechen, starke Gliederschmerzen, Fieber, blutige Ausscheidungen und Halluzinationen auf. An mindestens vier weiteren Universitäten seien zuvor ähnliche Vorfälle gemeldet worden. Wie viele Studierende genau betroffen waren, ist unklar.

Während die Universitätsleitungen die Symptome der Studierenden jedoch auf ein Bakterium zurückführte, das über Wasser übertragen wird, vermuteten die Studierenden eine gezielte Vergiftung des Mensaessens, um den geplanten Protest zu vereiteln. Dieser war für die kommenden Tage angekündigt. Immer wieder protestierten die Studierenden zudem, indem sie sich in der Mensa nicht an die vom Regime angeordnete Geschlechtertrennung hielten, sondern gemeinsam aßen.

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Studierende der Kharazmi-Universität in Karaj hätten außerdem berichtet, dass die Universitätsapotheke am Tag des Vorfalls geschlossen gewesen sei und Medikamente auf der Krankenstation der Universität plötzlich nicht mehr vorhanden gewesen seien, schreibt "Iran International" unter Berufung auf die Studierendenvertretung. Den Studierenden sei es demnach untersagt gewesen, sich auswärts Hilfe zu suchen. Stattdessen seien sie in ihre Wohnheime verwiesen worden. In Teheran hätten Universitätsbeamte die Studierenden zudem dazu gedrängt, niemandem zu sagen, dass sie durch das Kantinenessen erkrankt seien. Stattdessen sollten sie behaupten, sie hätten sich das Virus außerhalb der Mensa zugezogen.

Im Iran wird das Essen in den Mensen der Universität subventioniert – ein Angebot, das viele Studierende vor Beginn der Vergiftungserscheinungen nutzten. Nach den Vorfällen nahmen die Proteste an den Universitäten zu. "Wir wollen kein verdorbenes Essen, wir wollen keine mörderischen Behörden!", riefen etwa Studierende der ebenfalls betroffenen Universität in Isfahan. Sie forderten einen Rücktritt der Universitätsbeamten.

"Eine 'saubere' Methode, Angst und Schrecken zu verbreiten"

Doch warum setzt das Regime offenbar immer wieder Gift gegen die Protestierenden ein? "Es ist aus Sicht des Regimes eine 'kluge' Taktik", sagt Sahebi. In den vergangenen Monaten gingen zahlreiche Bilder um die Welt, die die Gewalt des Regimes in all ihrem Ausmaß zeigten: Blutlachen auf den Straßen; Menschen mit Schusswunden, die erblindeten, weil ihnen systematisch mit Schrotmunition in die Augen geschossen worden war. Gefangene kamen stets mit Spuren von körperlicher Folter aus den Gefängnissen. Mehr dazu sehen Sie hier im Video.

Die Folgen von Vergiftungen aber sind nach außen hin weniger sichtbar, wenngleich sie für die Betroffenen wohl ebenso schmerzhaft sind. Zudem lassen sich die Vergiftungen nur schwer offiziell nachweisen, da das Regime Kliniken, Labore und Gesundheitseinrichtungen streng kontrolliert. "Es ist eine sehr effektive und 'saubere' Methode für das Regime, Angst und Schrecken zu verbreiten", so Sahebi. Dieses sei stets darauf bedacht, sich gerade gegenüber dem Westen als eine gutmütige und gemäßigte Regierung darzustellen – ein Narrativ, an das die Menschen im Iran schon lang nicht mehr glauben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • twitter.com: 1500tasvir_1500
  • iranintl.com: Hunderte von Lebensmittelvergiftungen an iranischen Universitäten lösen Alarm aus (englisch)
  • iranprimer.usip.org: Massenvergiftung von Schulmädchen im Iran (englisch)
  • iranintl.com: Ein weiterer iranischer Demonstrant stirbt, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde (englisch)
  • iranintl.com: Mysteriöse Todesfälle iranischer Gefangener alarmieren Familien (englisch)
  • iranjournal.org: Weiterer iranischer Protestler stirbt nach kurzer Festnahme
  • en-hrana.org: Bericht über die Situation der Frauen im Iran zum Internationalen Frauentag (englisch)
  • iranwire.org: Vergiftete iranische Schulmädchen in Krankenhäusern bedroht (englisch)
  • telegraph.co.uk: 1.200 Universitätsstudenten wurden in der Nacht vor geplanten Anti-Regime-Protesten "vergiftet" (englisch)
  • Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters
  • Anfrage an Gilda Sahebi, Politikwissenschaftlerin, Ärztin, Journalistin, Buchautorin und Iran-Expertin
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