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Erdoğan vor dem Sturz?
Das Endspiel hat begonnen


Aktualisiert am 06.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Recep Tayyip Erdogan: Kann sich der türkische Präsident halten? (Quelle: IMAGO/Turkish presidency \ apaimages)

In wenigen Wochen findet eine historische Wahl statt. Nach zwei Jahrzehnten an der Macht könnte Erdoğan gestürzt werden. Doch die Opposition wackelt.

Für Erdoğan-Gegner könnte das Timing nicht schlechter sein: Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl in der Türkei kommt es überraschend zum Bruch in der türkischen Opposition. Die nationalistische İyi-Partei von Meral Akşener stieg überraschend am Sonntag aus, weil sie sich mit den anderen fünf Parteien nicht auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen konnte.

Der "Sechsertisch", wie sich das Anti-Erdoğan-Bündnis der sechs Oppositionsparteien nennt, sei nicht mehr in der Lage, "den Willen des Volkes wiederzugeben", so die İyi-Chefin Akşener am Freitag. Damit ist das Rennen um die Frage, wer am 14. Mai gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan antritt, wieder offen. Doch wie schlimm ist das Zerwürfnis? Vergibt die türkische Opposition ihre historische Chance? Und könnte sich am Ende doch wieder Erdoğan behaupten? Der Überblick.

Kann sich die Anti-Erdoğan-Allianz versöhnen?

Nach dem Ausstieg der İyi-Partei von Akşener könnte die Partei nun mit einem eigenen Kandidaten oder einer eigenen Kandidatin antreten. Ihre Partei habe einen gemeinsamen Kandidaten auf der Grundlage öffentlicher Umfrageergebnisse bestimmen wollen, sagte Akşener. Programmatisch gab es schon immer große Unterschiede zwischen der nationalistischen İyi und der kemalistischen CHP, die in vielen politischen Fragen weiter links steht. Einigen konnte man sich vor allem auf eine Sache: den "Anti-Erdoğanismus".

Doch die Kandidatensuche hat nun – ausgerechnet kurz vor der Wahl – die Einigkeit in dem Oppositionsbündnis gesprengt. Die größte Oppositionspartei CHP möchte wahrscheinlich ihren Parteichef und den Führer der türkischen Opposition Kemal Kılıçdaroğlu gegen Erdoğan ins Rennen schicken. Seine Kritiker meinen, Kılıçdaroğlu sei zu sanft und habe noch nie eine Wahl gewonnen. Für die Nationalistin Akşener steht Kılıçdaroğlu zu weit links, sie wirft ihm außerdem vor, zu nachsichtig im Umgang mit der kurdischen Terrororganisation PKK zu sein.

Nachdem die İyi-Parteichefin viele Jahre mit der CHP Wahlkampf gemacht hatte, sagte sie am Freitag: Eine Wahl zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu sei eine "zwischen Tod und Malaria". Akşener favorisiert die CHP-Oberbürgermeister von Ekrem Imamoğlu (Istanbul) oder Mansur Yavaş (Ankara) als Kandidaten. Doch aus Sicht der CHP gibt es bei beiden ein Problem: Imamoğlu wurde zu einem Politikverbot wegen Beleidigung verurteilt und Yavaş müsste sein Amt als Oberbürgermeister von Ankara an die AKP abgeben, um gegen Erdoğan anzutreten.

Warum ist Erdoğan so geschwächt?

Hauptursache für Erdoğans schleichenden Machtverlust ist die tiefe Wirtschaftskrise, durch die das Land seit vergangenem Jahr schlittert. Die Menschen leiden unter exorbitanten Preissteigerungen. Auch wenn die Inflationsrate im Januar 2023 leicht zurückging, lag sie noch bei über 55 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Preise für Benzin, Strom und etwa Milchprodukte sind teils um das Doppelte gestiegen.

Neben dem Ukraine-Krieg machen viele Fachleute auch die Regierung für die hohe Teuerungsrate verantwortlich. Diese drängt die türkische Zentralbank immer wieder, den Leitzins zu senken, statt etwa drastisch zu erhöhen, um die Inflation abzukühlen. Erdoğan gilt als Gegner hoher Zinsen. Die sozialen Folgen der lockeren Geldpolitik und der schwachen Landeswährung Lira sind verheerend. Viele Menschen müssen eisern sparen, andere kommt nur schwer über die Runden. Das bekommt nun langsam auch die Regierung zu spüren.

AKP verliert weiter in Umfragen

Der wachsende Unmut der Bevölkerung über die Erdoğan-Regierung zeigt sich mittlerweile auch in den Umfragen. Laut einem aktuellen Stimmungsbild des türkischen Meinungsforschungsinstituts ALF kommt Erdoğans AKP derzeit nur auf 29,5 Prozent der Stimmen, mit seinem Koalitionspartner, der rechtsnationalistischen MHP, immerhin auf 35,1 Prozent. Ein geeinter Oppositionsblock – darunter die größten Parteien CHP und İyi – käme hingegen auf 47,6 Prozent. Es wäre ein klarer Sieg über Erdoğan.

Neben den wirtschaftlichen Verwerfungen hat auch die Reaktion der Erdoğan-Regierung auf das Erdbeben am 6. Februar zu einem massiven Vertrauensverlust beigetragen. Bei dem Beben kamen über 50.000 Menschen in der Türkei und in Syrien ums Leben, und über eine Million Türken wurden obdachlos. Wut entzündete sich etwa wegen mangelnder Sicherheitsstandards beim Wohnungsbau. Ankara wird vorgeworfen, nicht konsequent auf die Einhaltung von Standards gepocht zu haben, insbesondere bei regierungsnahen Baufirmen. Infolge des Erdbebens büßte die AKP laut ALF-Institut weitere 1,5 Prozent an Stimmen ein.

Was bedeutet das Zerwürfnis für die Türkei-Wahl?

Die Folgen sind noch unklar. Aber sollte der Riss in der Opposition bestehen bleiben, wird sich vor allem Erdoğan schadenfroh die Hände reiben. Für ihn ist der Streit ein Geschenk. Ohne innere Einigkeit wäre es für den "Sechsertisch" fast unmöglich, auf über 50 Prozent der Stimmen zu kommen.

Doch damit hat Erdoğan noch nicht gewonnen, im Gegenteil. Denn der türkische Präsident kommt aus eigener Kraft auch nicht auf über 50 Prozent. Zwar ist der Bruch des Oppositionsbündnisses ein Rückschlag für die Erdoğan-Gegner, aber das öffnet auch neue Möglichkeiten, um Mehrheiten zu erreichen. Akşener könnte selbst antreten und ihre Partei könnte allgemein mit einem İyi-Kandidaten der AKP konservative Wähler streitig machen. CHP-Mann Kılıçdaroğlu wiederum gilt als Kandidat, der auch Wähler der pro-kurdischen HDP mobilisieren könnte – die Partei wird aktuell vom Rest der türkischen Politik aufgrund der angeblichen Nähe zur PKK kriminalisiert.

Letztlich würden die Kandidaten von İyi und der HDP in der ersten Wahlrunde ausscheiden, und in einer Stichwahl würde dann Kılıçdaroğlu gegen Erdoğan antreten. In diesem Fall käme es auf die Opposition an, ihren Streit beizulegen und geschlossen gegen den Amtsinhaber aufzutreten. İyi und der HDP haben so viele Jahre gegen die AKP mobilisiert, dass sie ihre Anhänger nun nicht zur Wahl von Erdoğan aufrufen werden. Angesichts der historischen Chance, Erdoğan vom Thron zu stürzen, könnte sich auch die Nationalistin Akşener am Ende doch noch für Kılıçdaroğlu entscheiden. Frei nach dem Motto: Besser Malaria als der Tod.

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