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Wladimir Putin und seine nuklearen Drohungen: Die kritischste Situation seit 1945


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Mögliche Nuklearschläge Putins
Die kritischste Situation seit 1945

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

Aktualisiert am 29.09.2022Lesedauer: 5 Min.
Sollte wegen Hochverrats angeklagt werden: Wladimir Putin.Vergrößern des Bildes
Angst vor Putins Nuklearkrieg: Lässt sich der Westen erpressen? (Quelle: IMAGO/Gavriil Grigorov/imago-images-bilder)
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Der Westen und vor allem die USA nehmen die nuklearen Drohungen von Wladimir Putin sehr ernst. Das hat einen sehr speziellen Grund.

Die Scheinreferenden in der Ost-Ukraine und die nuklearen Drohungen von Wladimir Putin mögen auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Doch es gibt einen engen Zusammenhang. Das unterstrich in dieser Woche Amerikas höchste Diplomatin bei den Vereinten Nationen mit einem beunruhigenden Satz.

"Russlands Scheinreferenden werden, wenn sie angenommen werden, eine Büchse der Pandora öffnen, die wir nicht schließen können", sagte Linda Thomas-Greenfield. Ihre Worte sollten eine Warnung an alle Staaten sein, das pseudodemokratische russische Manöver auf keinen Fall mitzuspielen.

Sie offenbaren aber auch eine Sorge und vor allem eine gewisse Hilflosigkeit der Amerikaner und des Westens. Denn ein Staat hat die Referenden akzeptiert: die Nuklearmacht Russland. Das stellt die USA und mit ihnen das Nato-Bündnis vor nie dagewesene Probleme.

Zwar herrscht insbesondere im deutschen Außenministerium die Sichtweise vor, dass die sich abzeichnenden Annexionen die Lage nicht grundlegend verändern. Zumindest dann, wenn wie bei der Krim 2014 erneut kaum ein Staat sie anerkennen wird. Für den schwächelnden Putin, so die Hoffnung, ist diese Aktion eher so etwas wie ein letztes Zucken.

Aber anders als bei der Krim-Annektion gehen die Ukraine und indirekt eben auch der Westen dieses Mal militärisch gegen Russland vor.

Weil Russland die bald annektierten Gebiete fortan als russisches Territorium betrachten wird, stellt es diese unter den eigenen nuklearen Schutzschirm. Jeder Angriff vonseiten der Ukraine, die mit westlichem Geld, mit Waffen und Geheimdiensterkenntnissen unterstützt wird, könnte ab sofort aus russischer Sicht eine nukleare Reaktion rechtfertigen.

Video | Das steckt hinter Putins atomarer Drohung
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Quelle: t-online

Putin brachte dies zuletzt mit diesen Worten zum Ausdruck: "Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes ganz sicher alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Das ist kein Bluff."

Kommunikationsoffensive der Amerikaner

Wie soll der Westen, wie sollen vor allem die USA reagieren? Darauf gibt es bislang keine befriedigende Antwort. Neue Sanktionen, eine neue Uno-Resolution, ja. Was aber, wenn Russland die Lage trotzdem nuklear eskaliert und diesen Schritt als legitime Verteidigung darstellen wird?

Wie ernsthaft diese Frage in Washington und den anderen Hauptstädten diskutiert wird, lässt sich zum einen an einer nie dagewesenen Kommunikationsoffensive der Amerikaner ablesen. Nicht nur der US-Präsident warnte Putin ausdrücklich: "Tun Sie es nicht!"

Am Wochenende hatte Bidens Sicherheitsberater Jack Sullivan in einem Interview nachgelegt: Amerikanische Regierungsmitarbeiter hätten ihre russischen Kollegen in privaten Gesprächen vor den "katastrophalen Folgen" gewarnt, sollte Moskau bei seiner Invasion in der Ukraine Atomwaffen einsetzen, so Sullivan. Immerhin zeigte dies, dass die Kommunikationskanäle nach Moskau offenbar funktionieren. Daran hatte es in den vergangenen Monaten immer wieder Zweifel gegeben.

Neben Joe Biden und seinem Sicherheitsberater Jack Sullivan gab auch der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes, CIA-Chef Williams Burns, eines seiner eher seltenen Interviews, das in ganzer Länge erst am Wochenende vom Sender "CBS" ausgestrahlt wird. "Wir müssen das sehr ernst nehmen", sagte Burns gleich dreimal in vorab veröffentlichten Ausschnitten, auch wenn es derzeit "keine praktische Evidenz" für nukleare Bewegungen der Russen gebe.

Könnten die USA "das Undenkbare" überhaupt verhindern?

Aber würden die US-Geheimdienste nukleare Vorbereitungen des Kremls überhaupt rechtzeitig mitbekommen? Ein Bericht des Onlinemediums "Politico" beruft sich auf fünf amtierende und ehemalige US-Beamte, die davor warnen, man könnte zu spät kommen, um "das Undenkbare" noch zu verhindern.

Was die USA besonders gut im Blick haben, sind die als strategische Nuklearwaffen konzipierten Interkontinentalraketen. Jegliche Bewegungen werden hier global in Echtzeit verfolgt. Was aber, wenn russische Flugzeuge nicht nur mit konventionellen Raketen, sondern mit kleineren, taktische Atomwaffen bestückt, in den Einsatz gehen?

Es könnte ein Grund sein, weshalb US-Aufklärungsflugzeuge in den vergangenen Wochen ausgerechnet verstärkt über Kaliningrad auftauchen. Jene russische Enklave, gelegen an der Ostsee zwischen Polen und Litauen, hat Putin in den vergangenen Jahren hochgerüstet. Auch die gefürchteten Hyperschallwaffen sind dort stationiert. Kaliningrad soll den Planern bei der Nato schon länger Albträume bescheren. Die US-Geheimdienste und ihre Partner, so viel lässt sich in diesen Tagen erfahren, versuchen so viele Informationen zu sammeln wie nur möglich. Solange es bei kommunikativen Scharmützeln bleibt, lässt sich Zeit gewinnen.

Fehlende Strategien zur Eskalation

Aber selbst wenn die USA und der Westen nukleare Aktivitäten Russlands rechtzeitig mitbekommen würden: Wie geht die größte Militärmacht der Welt dann damit um? In einem ausführlichen, aktualisierten Beitrag aus dem Jahr 2020 nahmen jetzt zwei Experten des "Center for a New American Security" Stellung zu einem Problem, vor dem die USA und mit ihnen ihre Verbündeten angesichts Putins Nukleardrohungen schon länger stehen.

Die Militäranalysten Michael Kofman und Anya Fink schreiben: "Die Herausforderung der russischen Nuklearstrategie ist nicht nur ein Mangel an Fähigkeiten, sondern eine kognitive Lücke." So habe das russische Militär-Establishment Jahrzehnte damit verbracht, über nukleares Eskalationsmanagement und über die Rolle von konventionellen und nuklearen Waffen, Zielen, Schäden usw. nachzudenken und eine Kriegsführung zu planen. "In den Vereinigten Staaten wurde der Frage nach dem Eskalationsmanagement, das von der Planung der Kriegsführung überschattet wird, herzlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt." Heißt: Die USA scheinen schlecht vorbereitet, auf dieses Spiel, das Putin spielt.

Kofman und Fink raten der US-Regierung darum dringend, rasch über ein Eskalationsmanagement und einen geografisch begrenzten Atomkrieg nachzudenken. Aus Sicht der beiden Experten ist die mangelhafte Auseinandersetzung mit solchen Szenarien aus einem Grund besonders gefährlich: Weil den politisch Verantwortlichen im Fall des Falls die Risiken zu hoch erscheinen könnten, würden sie möglicherweise schneller klein beigeben, als es notwendig wäre. Kurz gesagt: Die USA und der Westen würden sich erpressbar machen.

Dabei folge die Logik hinter dem russischen Spiel aus Eskalation und De-Eskalation ganz eigenen Regeln, die es zu kennen, zu erlernen und zu kontern gelte, so die Autoren. Kurz: "Die Vereinigten Staaten müssen ihre eigene Strategie für das Eskalationsmanagement entwickeln und sich stärker mit der Realität des Atomkriegs vertraut machen", so Kofman und Fink.

Verheerende Auswirkungen

Welche Strategien zwischen Pentagon, Außenministerium, dem Weißen Haus und den Nato-Partnern wirklich verfolgt werden, ist nach wie vor nur bruchstückhaft erkennbar. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte bislang lediglich, Russland würde "einen hohen Preis bezahlen", sollte es wirklich dazu kommen.

Klar scheint derzeit nur zu sein: Der russische Einsatz selbst von nur einer taktischen Atomwaffe, auch mit nur geringer Sprengkraft, hätte nicht nur verheerende Auswirkungen auf dem Schlachtfeld, weil zahlreiche Menschen sterben und die Umgebung weitläufig kontaminiert würde. Es könnte auch politisch zu einem Albtraumszenario werden. Eine russische Eskalation würde den ersten Atomangriff seit August 1945 bedeuten. Die größte Gefahr: Schnell könnte sich daraus ein umfassender Nuklearkonflikt entwickeln.

Womit genau man Putin droht, wird das Weiße Haus kaum verraten. Ob sich Putin davon wirklich abhalten lässt, kann auch in Washington niemand sicher wissen. Genau das macht die aktuelle Situation so kritisch wie wohl noch nie im Zeitalter der Nuklearwaffen.

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