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Großbritannien: Boris Johnson lehnt Rücktritt ab – und feuert alten Weggefährten


Britische Regierungskrise
Johnson lehnt Rücktritt ab – und feuert alten Weggefährten

Von afp, reuters, dpa, cck, lw, aj

Aktualisiert am 07.07.2022Lesedauer: 4 Min.
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"Das ist schmerzlich": Hier dankt Boris Johnson als Parteichef ab. (Quelle: t-online)
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Der Druck in Großbritannien wächst: Dutzende Regierungsmitglieder haben ihren Posten abgegeben. Der Premier will aber bleiben.

Die Regierungskrise in London spitzt sich zu: Eine Delegation aus mehreren Kabinettsmitgliedern hat Boris Johnson am Abend den Rücktritt nahegelegt. Berichten zufolge hat der konservative Premierminister diesen jedoch weiterhin entschieden abgelehnt.

Der Regierungschef wolle sich weiterhin auf die "enorm wichtigen Themen, mit denen das Land konfrontiert ist", konzentrieren. Er habe die Lage dargestellt als die Wahl zwischen einem Sommer, in dem man sich auf das Wirtschaftswachstum konzentrieren könne oder in dem es einen chaotischen Führungsstreit gebe. Sollten die Torys eine etwaige Wahl verlieren, würde dies zu einer Koalition führen, an der Großbritannien zerbrechen werde.

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Unter Berufung auf einen Mitarbeiter von Johnson hieß es, der Premierminister sei in einer "guten Stimmung" und werde "weiterkämpfen".

Johnson entlässt Gove

In Großbritannien haben dem Sender BBC zufolge am Mittwoch 14 Minister ihren Rücktritt eingereicht. Dies sei ein neuer Rekord für einen einzigen Tag. Die bisherige Höchstmarke habe bei elf Ministern im Jahr 1932 gelegen. Am Mittwochabend nahm auch der britische Minister für Wales seinen Hut. Simon Hart erklärte seinen Rücktritt auf Twitter.

BBC und Sky News hatten zuvor berichtet, Johnson habe Bildungsminister Michael Gove entlassen. Eine nicht genannte Person aus Johnsons Umfeld sagte der BBC: "Man kann keine Schlange gebrauchen, die bei keinem der großen Themen auf der Seite der Regierung steht und dann fröhlich der Presse erzählt, dass der Regierungschef gehen muss."

Gove galt als eines der größten Schwergewichte im britischen Kabinett. Er hatte an der Seite Johnsons bereits im Wahlkampf vor dem Brexit-Referendum 2016 für den EU-Austritt geworben. Das Verhältnis zwischen den beiden war jedoch stets auch von Konkurrenz geprägt. Berichten zufolge hatte sich Gove zuletzt gegen Johnson gestellt und den skandalumwitterten Premier am Mittwochmorgen zum Rücktritt aufgerufen.

Gove hatte in den vergangenen Jahren verschiedene Posten in der Regierung inne. Zuletzt war der konservative Politiker als Minister für Bau- und Wohnung für Johnsons Plan zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Großbritannien zuständig.

Johnson will nicht über seine Person sprechen

Am Mittwochabend sollen sich zwei Gruppen von Ministern in Johnsons Amtssitz, der 10 Downing Street, eingefunden haben. "Düstere Stimmung in Downing Street No. 10, Insider berichtet von 'vielen Tränen' im Gebäude", schrieb der Politikredakteur Pippa Crerar vom "Daily Mirror" auf Twitter.

Folgende Minister sollen zu der Delegation gehören, die Johnsons Rücktritt gefordert haben:

  • Innenministerin Priti Patel
  • Verkehrsminister Grant Shapps
  • Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng
  • Nordirlandminister Brandon Lewis
  • der Minister für Wales, Simon Hart
  • der nun ehemalige Bau- und Wohnungsminister Michael Gove
  • Finanzminister Nadhim Zahawi
  • Bildungsminister Michele Donelan.

Auch die Generalstaatsanwältin Suella Braverman hat sich von Johnson abgewendet. Braverman galt bislang als Unterstützerin. Johnson müsse zurücktreten, sagte Braverman dem Sender ITV. Sie selbst könne sich vorstellen, für das Amt zu kandidieren.

Donelan und Zahawi waren erst am Dienstag ernannt worden. Letzterer hatte Johnson noch am Mittwochmorgen in Schutz genommen. Der Regierungschef sei integer und "entschlossen, zu liefern", sagte er Sky News.

Diese Minister lehnen Johnsons Rücktritt ab:

  • Kulturministerin Nadine Dorries
  • der Staatssekretär für Brexit-Chancen, Jacob Rees-Mogg

Über die Positionen der anderen Ministerinnen und Minister ist derzeit nichts bekannt.

Auch während der wöchentlichen Fragerunde im Unterhaus und vor einem Parlamentsausschuss bekräftigte Johnson, er werde im Amt bleiben. "Ich werde nicht zurücktreten", sagte der Premier empört. Er wolle nicht über seine Person, sondern über seine politische Agenda sprechen. An seine Kritiker gerichtet sagte er, sie unterschätzten die Ambitionen von ihm und seinen Mitstreitern. Die Stimmung auf den Bänken der Konservativen im Unterhaus – normalerweise wird der Premier dort mit lautstarken "Yeah, Yeah, Yeah"-Rufen angefeuert – war eisig.

Noch keine Regeländerung für Misstrauensvotum

Johnson hatte erst vor einem Monat ein Misstrauensvotum seiner Partei überstanden. Nach den derzeitigen Parteiregeln ist ein weiteres erst nach einem Jahr Wartezeit möglich. Das zuständige 1922-Komitee wollte diese Regel am Mittwoch Berichten zufolge nicht ändern. Entwarnung allerdings gibt es für Johnson nicht. In der kommenden Woche wird die Komitee-Spitze neu gewählt. Erwartet wird, dass die Gegner des Premierministers dann in der Überzahl sein werden und erneut über die Regel abstimmen.

Der in Tory-Kreisen hervorragend vernetzte Journalist James Forsyth vom konservativen "Spectator"-Magazin zitierte ein einflussreiches Mitglied des Gremiums damit, man wolle Johnson die Pistole auf die Brust setzen. Sollte er nicht freiwillig zurücktreten, werde man den Weg für das Misstrauensvotum freimachen.

Dutzende Regierungsmitglieder zurückgetreten

Ausgelöst wurde die jüngste Regierungskrise in Westminster durch die Belästigungsaffäre um Johnsons Parteikollegen Chris Pincher. Sie hatte am Dienstag zu einer Reihe von Rücktritten im Kabinett geführt. Zuvor war herausgekommen, dass Johnson von Vorwürfen sexueller Belästigung gegen Pincher wusste, bevor er ihn in ein wichtiges Fraktionsamt hievte. Das hatte sein Sprecher zuvor jedoch mehrmals abgestritten.

Die Affäre könnte sich als Tropfen erweisen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Johnson steht schon seit Monaten massiv wegen illegaler Lockdown-Partys während der Corona-Pandemie im Regierungssitz Downing Street unter Druck. Er hatte wegen Teilnahme an einer der illegalen Zusammenkünfte selbst einen Strafbefehl von der Polizei erhalten.

Johnson entschuldigte sich. Doch es war zu spät. Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid traten am Dienstagabend ab, etliche weitere Abgeordnete legten Partei- und Regierungsämter nieder.

Es gilt als wahrscheinlich, dass Johnson ein weiteres Misstrauensvotum nicht überstehen würde. Einer Sprecherin zufolge will er sich einer möglichen Abstimmung aber stellen und ist weiterhin davon überzeugt, eine Mehrheit in seiner Fraktion hinter sich zu haben. Im Fall einer Niederlage würde er jedoch seinen Rücktritt einreichen, schrieb die ITV-Redakteurin Anushka Asthana.

Verwendete Quellen
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