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Ukraine-Krieg: Wie geht es weiter? Die Außenministerin sollte Melnyk einbestellen


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Wie geht es im Ukraine-Krieg weiter?
Die Außenministerin sollte Melnyk einbestellen

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 09.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Andrij Melnyk: Der ukrainische Botschafter wird immer mehr zum Ärgernis, findet t-online-Kolumnist Gerhard Spörl.Vergrößern des Bildes
Andrij Melnyk: Der ukrainische Botschafter wird immer mehr zum Ärgernis, findet t-online-Kolumnist Gerhard Spörl. (Quelle: Jens Schlueter/getty-images-bilder)
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In Russland zündelt der Kreml-Chef weiter, der Krieg in der Ukraine wird wohl noch dauern. Doch es gibt auch andere Schauplätze: In Berlin wird ein Botschafter allmählich zum Ärgernis.

Vor ein paar Tagen war ich in Liepaja, das ist die drittgrößte Stadt Lettlands, an der Ostsee gelegen – mit einem herrlichen Sandstrand, an dem entlangzuspazieren eine große Freude ist. Von der Stadtmitte ist er ungefähr 15 Minuten entfernt.

Damals war das anders. Damals heißt für die Menschen, die in Liepaja leben, die Zeit, als ihr Land Teil der Sowjetunion sein musste. Damals war der Strand militärisches Sperrgebiet. Die Einwohner durften sich ihrem Strand nicht nähern, geschweige denn ihn betreten. Was Liepaja auszeichnet, was diese Stadt schön macht, war Verbotszone. Verrückt.

Sie bangen mit der Ukraine

An diesem Beispiel wird klar, wie viel Lettland und die beiden anderen baltischen Staaten zu verlieren haben. Deshalb bangen sie mit der Ukraine in der Furcht, sie wären die Nächsten, die Putin heim ins Reich holt. Sie sagen, auch sie würden für ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen wie die Ukrainer – aber Lettland, Estland und Litauen sind kleine Länder mit insgesamt nur etwa sechs Millionen Einwohnern.

Die Ukraine kämpft nicht nur für sich, sondern auch für die osteuropäischen Länder, deren Verlust Wladimir Putin eine geostrategische Katastrophe nannte. In unserer Zentriertheit auf den Westen und unserer Fähigkeit, uns für den Nabel der Welt zu halten, geraten ein paar schlichte Tatsachen aus dem Blickfeld.

Genauer gesagt, geht es um die Schwächung Russlands

Bundeskanzler Olaf Scholz, an dem zu kritteln fast schon zum Volkssport geworden ist, hat gestern in seiner Rede an die Nation gesagt, dass Putin nicht gewinnen darf und die Ukraine ihre Souveränität behalten muss. Darin liegen also die Kriegsziele. Genauer gesagt, geht es um die Schwächung Russlands, damit seinem Spätimperialismus Einhalt geboten wird.

An der Rede Wladimir Putins zum 9. Mai fiel mir zweierlei auf: Das Wort "Spezialoperation" fehlte, statt dessen redete er von einem Präventivangriff und gab auch erstmals zu, dass russische Soldaten und Offiziere im Krieg gestorben sind. Außerdem fehlte diesmal der übliche Pomp und Triumphalismus, der unter Putin zunahm, je länger der 9. Mai 1945 zurücklag.

Was folgt daraus?

  1. Die Eskalationsdominanz liegt weiterhin bei Putin. Er hat den Krieg angefangen, er reiht ihn ein in den Kampf gegen den Faschismus und die Verteidigung der Heimat. Momentan ist nicht Kiew sein Ziel, sondern die Einverleibung des Donbass und eine Landbrücke zur Krim. Kommt seine Armee auch hier nicht voran, bleibt ihm eine Teil- oder Generalmobilmachung.
  2. Eine These lautet: Den Krieg gegen eine Atommacht kann die Ukraine nicht gewinnen. Die Gegenthese lautet: Die Atommacht USA hat in Vietnam und in Afghanistan verloren. Der Unterschied besteht nur darin, dass Wladimir Putin mehrmals schon mit dem Einsatz einer Atombombe gedroht hat.
  3. Die große Frage, die weder Olaf Scholz noch Emmanuel Macron beantworten kann, lautet so: Was macht Präsident Joe Biden, wenn Russland eine taktische Atomwaffe zündet, sei es in der Atmosphäre, sei es in einer ukrainischen Stadt? Oder anders gefragt: Welche Botschaft lässt Biden Putin für den Fall zukommen, dass der seine Drohung wahrmacht? In Amerika heißen solche Probleme: the unknown unknown – die unbekannte Unbekannte.
  4. Amerika ist tief in den Krieg verstrickt. Die Daten in Echtzeit, die die CIA liefert, erlauben der ukrainischen Armee die Gegenoffensive oder das Zurückweichen im richtigen Moment. Nicht zufällig sind so viele russische Generäle getötet worden. Mich würde auch nicht wundern, wenn wir eines Tages erfahren, dass auch US-Militärberater im Land sind. Nicht zufällig sprach Putin heute immer nur von Amerika und nicht von Deutschland, Frankreich oder England.
  5. Ein Ärgernis für mich ist allmählich der ukrainische Botschafter, der in Serie Beschimpfungen ausstößt. Der Bundeskanzler ist eine "beleidigte Leberwurst". Der Bundespräsident sitzt im "Spinnennetz der Russlandversteher". Einen Professor, der anderer Meinung ist, beschimpft er im Fernsehen als "moralisch verwahrlost". Dazu seine Tweets ("So tickt die scheinheilige deutsche Politik"), ziemlich heftig. Ja, dem Botschafter eines überfallenen Landes muss man einiges nachsehen, aber nicht alles. Ginge es mit rechten Dingen zu, würde die Außenministerin Andrij Melnyk einbestellen und Mäßigung erbitten.
  6. Dass die Bundestagspräsidentin gestern am 8. Mai in Kiew einen Kranz niedergelegt hat, war gut so; die richtige Repräsentantin in dieser Zeit. Friedrich Merz war auch schon da, musste er wohl, da der Oppositionsführer in diesen Zeiten notwendig zu kurz kommt. Aber kann mir jemand sagen, worin der Sinn liegen soll, dass Frank-Walter Steinmeier und/oder Olaf Scholz dorthin reisen? Was können sie mit Präsident Selenskyj bereden, was sich nicht am Telefon klären lässt? An Solidaritätsbekundungen ist kein Mangel, an Waffenlieferungen auch nicht, genauso wenig wie an Finanzhilfen, von der Aufnahme der Flüchtenden zu schweigen. Normalerweise sind diejenigen, die den Kanzler zur Reise drängen, die schärfsten Kritiker der Sucht nach Symbolbildern.
  7. Vorige Woche flogen offene Briefe an den Bundeskanzler umher, giftig kommentiert, vielleicht gerade deshalb, weil manches daran bedenkenswert ist. Denn natürlich muss man darüber nachdenken, wer als Vermittler auftreten könnte und wie Frieden möglich wäre, was denn sonst. Die Zeit dafür wird ja hoffentlich kommen.

Inzwischen geht der Krieg weiter, leider. Die Fronten sind klar: Der Westen rüstet die Ukraine auf, damit sie Widerstand leisten kann. Die russische Armee stagniert nun auch im Donbass. Die nächste Eskalationsstufe hängt von Wladimir Putin ab. Nichts an dieser Aussicht ist beruhigend.

Lesen Sie hier alle Kolumnen von Gerhard Spörl nach.

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