Zivilisten warteten auf Evakuierung 50 Tote bei Raketenangriff auf Bahnhof in Kramatorsk
In Kramatorsk in der Ostukraine sind zwei Raketen an einem Bahnhof eingeschlagen. Dutzende Zivilisten, die auf eine Evakuierung hofften, starben. Die Kriegsparteien weisen sich gegenseitig die Schuld zu.
Bei dem Raketenangriff auf den Bahnhof der ostukrainischen Stadt Kramatorsk sind nach Angaben des Gouverneurs des Gebiets Donezk, Pawlo Kyrylenko, 50 Menschen gestorben, davon 5 Kinder. 98 Menschen seien verletzt worden, davon 16 Kinder. Zuvor hatte der ukrainische Geheimdienst von mindestens 39 Todesopfern gesprochen. Zwei Raketen seien in das Gebäude eingeschlagen, von dem aus Evakuierungszüge aus dem Osten der Ukraine in sicherere Regionen im Westen des Landes abfahren.
Etwa 4.000 Menschen hätten sich am Bahnhof aufgehalten, sagte Bürgermeister Olexander Hontscharenko. Der Gouverneur des Verwaltungsbezirks Donezk, Pawlo Kyrylenko, veröffentlichte ein Foto, auf dem mehrere auf dem Boden liegende Körper zu sehen waren, neben zahlreichen Koffern und Taschen. Ein anderes Bild zeigt Einsatzkräfte, die offensichtlich versuchen, einen Brand zu löschen. Zu sehen war eine große, graue Rauchwolke.
Im Nachrichtendienst Telegram kursiert ein Video, das den Abschuss aus der Nähe von Schachtarsk zeigen soll. Die Stadt liegt in der von prorussischen Separatisten kontrollierten Region des Gebiets Donezk. "Die russischen Faschisten wussten sehr genau, wohin sie zielten und was sie wollten: Panik und Angst säen, sie wollten so viele Zivilisten wie möglich treffen", sagte Kyrylenko.
"Grenzenlos böse"
Vor dem Bahnhofsgebäude standen ausgebrannte Autos, am Eingang und in der Bahnhofshalle waren Blutlachen und verkohlte Sitzbänke zu sehen. Auf dem Bahnhofsvorplatz lagen die Überreste einer Rakete mit der russischen Aufschrift "Für unsere Kinder". Der Platz war mit verlassenen Gepäckstücken, Scherben und Splittern übersät.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte Russland für die Attacke verantwortlich. Seinen Angaben zufolge handelte es sich bei den Geschossen um Raketen des Typs Totschka-U. Selenskyj warf Russland vor, die Zivilbevölkerung seines Landes "zynisch zu vernichten". "Dies ist das grenzenlose Böse", schrieb er auf Twitter. "Und wenn es nicht bestraft wird, wird es nie aufhören."
Kreml weist Schuld von sich
Auch die prorussischen Separatisten hatten vom Raketentyp Totschka-U gesprochen, aber zugleich betont, ukrainische Truppen hätten sie abgefeuert. Der Gouverneur des Gebiets Donezk hatte zunächst von einer Iskander-Rakete berichtet. Die Totschka-U gelten als weniger zielgenau als Raketen vom Typ Iskander, die Russland häufig eingesetzt hat.
"Unsere Streitkräfte nutzen diesen Raketentyp nicht", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow jedoch am Freitag russischen Agenturen zufolge. Er bezog sich dabei auf den mutmaßlich verwendeten Typ Totschka-U. "Außerdem gab es keine Kampfeinsätze in Kramatorsk, und es waren heute auch keine geplant", sagte Peskow weiter. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Militärexperten bezweifeln die Darstellung des Kremls. Am Vortag hatten Investigativreporter berichtet, dass die in Belarus stationierten russischen Truppen mehrere Totschka-U erhalten hätten. In einer gemeinsamen Übung von russischen und belarussischen Truppen waren Totschka-U verwendet worden.
Von der Leyen: Angriff ist "verabscheuungswürdig"
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bezeichnete den Raketenangriff auf den Bahnhof der ostukrainischen Stadt Kramatorsk als "verabscheuungswürdig". "Ich bin entsetzt über den Verlust von Menschenleben und werde Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich mein Beileid aussprechen", schrieb sie am Freitag auf Twitter. Kurz zuvor war die deutsche Politikerin zu einem Solidaritätsbesuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew angekommen.
Begleitet wird von der Leyen vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Auch er verurteilte den Raketenangriff auf den Bahnhof scharf. Es handele sich um einen "weiteren Versuch, die Fluchtwege für diejenigen zu versperren, die vor diesem ungerechtfertigten Krieg fliehen, und menschliches Leid zu verursachen", schrieb Borrell auf Twitter. Der Außenbeauftragte machte Russland für den Angriff verantwortlich.
Menschen wollten fliehen
Kramatorsk liegt in dem Teil des umkämpften ostukrainischen Gebiets Donezk, der von der Ukraine kontrolliert wird. Prorussische Separatisten erheben Anspruch auf das gesamte Verwaltungsgebiet. Die Menschen, die Koffer und Taschen bei sich hatten, wollten aus Angst vor Angriffen die Stadt verlassen. Auch von den Separatisten hieß es, in Kramatorsk sei gerade eine Evakuierung gelaufen, Menschen sollten in Sicherheit gebracht werden.
Die Ukraine erwartet nach dem Abzug russischer Truppen aus dem Großraum Kiew eine Offensive im Osten des Landes und hat die Bevölkerung in den Bezirken Luhansk und Donezk aufgerufen, die Region zu verlassen. Die Regierung in Moskau hat angekündigt, den Donbass, der Luhansk und Donezk umfasst, einzunehmen. Teile der Region werden seit 2014 von prorussischen Separatisten beherrscht.
- Nachrichtenagenturen Reuters, dpa und AFP