Ukraine unter Druck Einer wurde zur Gefahr für Selenskyj
Mychailo Drapatyi übernimmt eine wichtige Kommandeursposition im Ukraine-Krieg. Allerdings ist er bereits der vierte Mann innerhalb eines Jahres, der die Position besetzt.
Die Ukraine befindet sich an der Ostfront in einer schwierigen Situation. Die russischen Streitkräfte erzielten zuletzt große Geländegewinne und rücken auf die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk vor. Darauf hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nun reagiert und den verantwortlichen Kommandeur ausgetauscht. Es ist allerdings bereits das dritte Mal innerhalb eines Jahres, dass er das Personal auf dem wichtigen Posten auswechselt – bisher ohne durchschlagenden Erfolg.
Nun soll Mychajlo Drapatyj die Leitung der operativ-strategischen Gruppe Chortyzja übernehmen, deren Verantwortungsbereich einen Großteil der Ostfront der Ukraine umfasst. Er ersetzt Andriy Hnatow, der erst im Juni das Kommando übernahm. Dieser bleibt dem ukrainischen Militär aber in wichtiger Position erhalten und soll stellvertretender Generalstabschef werden, verantwortlich für Ausbildung und Kommunikation.
Schwierige Lage in Pokrowsk
Selenskyj reagiert damit auf die jüngsten Entwicklungen im Osten der Ukraine. So gab es am Vortag erneut schwere Kämpfe um Pokrowsk. Das russische Militär steht derzeit bereits östlich, südlich und westlich der Stadt und droht, eine wichtige Versorgungsstraße zu kappen. Zudem gab es vermehrt Berichte über fahnenflüchtige ukrainische Soldaten in der Region. Angesichts der zahlreichen Rückschläge hätten die Soldaten das Vertrauen in die militärische Führung verloren.
Die Stadt ist strategisch wichtig, weil sie eine logistische Drehscheibe ist. Der Verlust der Stadt würde Versorgungswege deutlich beeinträchtigen und dadurch auch die gesamte Verteidigungsstrategie der Ukraine gefährden. "Dies sind die härtesten Kampfgebiete", sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache.
Selenskyj erklärte, dass die Ernennung Drapatyjs dazu beitragen werde, die Kampfarbeit der Armee mit einer angemessenen Ausbildung der Brigaden zu verbinden. Zudem soll er nun offenbar die ukrainischen Truppen neu einschwören und die Verteidigung der Stadt sichern. Gleichzeitig behalte Drapatyj die Befehlsgewalt über die Landstreitkräfte, teilte der ukrainische Präsident mit.
Ein Vorgänger war stark kritisiert worden
Sein Vorgänger Hnatov hatte wiederum erst im Juni den Posten übernommen, nachdem dessen Vorgänger Jurij Sodol in Ungnade gefallen war. Selenskyj nannte damals zwar keine Gründe, allerdings war im Vorfeld deutliche Kritik an Sodol bekannt geworden.
Unter anderem hatte Bohdan Krotevych, der Kommandeur des in der Ukraine angesehenen Asow-Regiments, Sodol vorgeworfen, für erhebliche militärische Rückschläge und große Personalverluste verantwortlich zu sein – ohne allerdings dessen Namen zu nennen. "99 Prozent der Militärangehörigen hassen ihn für das, was er tut", hatte er im Messenger-Dienst Telegram über einen namentlich nicht genannten General geschrieben. "Er hat mehr ukrainische Soldaten getötet als jeder russische General." Sodol wurde letztlich noch im selben Jahr aus dem Militärdienst entlassen.
Damals war die Hoffnung groß, dass Hnatow das Blatt wenden könnte. Er war zuvor stellvertretender Kommandeur in den südlichen Einsatzgebieten und spielte eine führende Rolle bei der Rückeroberung großer Teile der Region Cherson. So schrieb Kritiker Krotevych damals noch: "Hnatow ist ein sehr guter Offizier. Ich hoffe, dass die Nachrichten an der Front besser werden." Die Hoffnung hat sich offenbar nicht erfüllt.
Einer wurde zur Gefahr für Selenskyj
Dabei war dies nicht der erste Korrekturversuch Selenskyjs im vergangenen Jahr. Den ersten Wechsel hatte es bereits im Februar gegeben, als Sodol Waleri Saluschnyj ersetzt hatte. Im Gegensatz zu den jüngsten Neubesetzungen war die Aktion damals kritisch betrachtet worden. Saluschnyj hatte die Streitkräfte bereits vor der russischen Invasion angeführt und war sowohl unter den Soldaten als auch in der Bevölkerung beliebt.
Der Wechsel war damals Teil einer umfassenden Umstrukturierung in der ukrainischen Führung. "Ich habe etwas Ernstes im Sinn, bei dem es nicht um eine einzelne Person geht, sondern um die Ausrichtung der Führung des Landes", sagte Selenskyj damals.
- Will er Selenskyjs Job? Lesen Sie hier mehr zu den Ambitionen von Saluschnyj
Allerdings soll die Beziehung zwischen Selenskyj und Saluschnyj bereits sehr angespannt gewesen sein, berichtet der "Guardian". Der Präsident und sein oberster Befehlshaber seien sich über Pläne für eine weitere Mobilisierung uneinig gewesen. So hatte Selenskyj eine Bitte des Militärs abgelehnt, bis zu 500.000 neue Rekruten zu mobilisieren.
Zudem soll die Präsidialverwaltung wegen Saluschnyjs großer Popularität beunruhigt gewesen sein. Sie sahen ihn offenbar als Gefahr und künftigen Kontrahenten Selenskyj im Kampf um die Präsidentschaft. So versetzte Selenskyj ihn schließlich nach Großbritannien, wo er seit Mai als Botschafter im Amt ist.
- reuters.com: "Zelenskiy again replaces commander of Ukraine's key eastern front" (englisch)
- theguardian.com: "Zelenskiy replaces commander leading war on Russia in eastern Ukraine" (englisch)
- theguardian.com: "Zelenskiy confirms plan to replace commander of armed forces as part of ‘reset’" (englisch)
- zdf.de: "Warum Putin versucht, Pokrowsk zu erobern"