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Ukraine-Krieg und Putin: Es wäre dumm, nicht vom Schlimmsten auszugehen


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Krieg gegen die Ukraine
Es wäre dumm, nicht vom Schlimmsten auszugehen

MeinungVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 14.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ukraine-Krieg: Bei den Gesprächen mit der Ukraine gibt es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zufolge gewisse Fortschritte. (Quelle: reuters)
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Vieles scheint in der Ukraine momentan möglich zu sein: Ein Waffenstillstand genauso wie eine weitere Eskalation. Was passiert, hängt vom einsamen Gewaltherrscher im Kreml ab.

Wladimir Putin lässt Sirenenklänge hören, stellt ein Treffen mit Wolodymyr Selenskyj in Aussicht, das aber gut vorbereitet sein müsste, wie er sagt, damit dabei etwas herauskommt. Glaubt man das? Eigentlich nicht. Zu oft gelogen, zu oft gedroht, zu viel Groll. Aber natürlich wäre es ein Segen, wenn dieser Krieg aufhören würde. Irgendwie, aber nicht irgendwann, sondern bald schon.

Illusionslosigkeit gegenüber diesem seltsamen Mann, der zu allem fähig zu sein scheint, inklusive des Einsatzes taktischer Atombomben, ist ein Gebot des gesunden Menschenverstandes. Der Brand in Tschernobyl, der Angriff auf einen Militärstützpunkt an der Grenze zu Polen, die Erinnerung an die Trümmerlandschaft in Grosny: Vom Schlimmsten auszugehen, empfiehlt sich gegenüber diesem Russland.

Zu oft sind Macron und Scholz und andere zu Putin gepilgert und mussten sich von ihm täuschen lassen, im Wissen, dass sie getäuscht werden, wobei Putin genau wusste, dass sie wissen, dass er sie täuscht, aber sie nichts dagegen tun konnten. Wahrscheinlich liegt in dieser Tücke eine ungeheure Genugtuung für die westliche Geringschätzigkeit, zum Beispiel in Barack Obamas Satz, Russland sei doch nur noch eine Regionalmacht.

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Der Stand der Dinge

Die Lage, wie sie ist, gibt keinen Aufschluss darüber, ob Putin ernsthaft Verhandlungen mit der Ukraine anstrebt, auf neutralem Boden, womöglich in Israel. Niemand kann auch die Gerüchte plausibel einschätzen, dass er Geheimdienstleute unter Hausarrest gestellt hat und Generäle auswechselt. Schauen wir uns einfach den Stand der Dinge an:

  • Die Truppen, die zur ersten Welle der Invasion gehörten, wurden offenbar im Dunkeln gelassen, worum es geht. Daraus erklärt sich der Mangel an Motivation, als aus der "Spezialoperation", die ein Blitzkrieg sein sollte, nichts wurde. Der erstaunliche Widerstand der ukrainischen Armee wiederum erklärt sich aus den Informationen, die ihnen der amerikanische Geheimdienst zukommen lässt – dank Satellitenaufnahmen über die Bewegung etwa der russischen Versorgungsfahrzeuge, von denen einige nun Schrott sind, genauso wie der eine oder andere Panzer. Selenskyj ist wohl besser auf dem Laufenden als der abgeschottete Putin in seinem Kreml.
  • Die Ukraine ist doppelt so groß wie Deutschland. Kann man so ein Land einfach besetzen? Wohl kaum. Zumal, wenn die Bevölkerung feindselig eingestellt ist. Je mehr die russische Armee die Städte in Trümmer legt, desto größer fällt die Erbitterung aus und desto schwerer wird die Besetzung. Die Ukraine ist nicht fern wie Afghanistan. Dieses Drama spielt sich hier ab, in Europa, vor aller Augen. Und ein Rückzug in Unehre, auf den es ja hinausliefe, wenn der Krieg endete, wäre ein weltweit beachtetes Ereignis und für Putin eine geostrategische Katastrophe. Könnte er sie politisch überleben? Doch wohl nicht.
  • Interessant ist, worüber Wladimir Putin momentan nicht spricht: von der Entnazifizierung der Ukraine, von der Ukraine als Herz Russlands, das historisch kein Recht auf Eigenständigkeit besitzt. Er thematisiert auch nicht die stille Zusammenarbeit der USA mit dem ukrainischen Militär. Er könnte ja sagen: Seht her, ich hab’s doch immer gesagt, Amerika ist mitten drin dabei, ist Kriegspartei. Tut er momentan nicht, kann noch kommen, klar. Natürlich kann er morgen auch wieder mit nuklearen Schlägen drohen, ist nicht ausgeschlossen. Putin ist unberechenbar wie die Hölle.
  • Das Kriegsziel bestand ursprünglich darin, die Regierung in Kiew wegzufegen und durch eine Marionettenregierung zu ersetzen – zurück zu den herrschenden Verhältnissen vor dem Maidan-Aufstand 2013. Nun könnte das Kriegsziel die Neutralisierung der Ukraine sein, wofür es eine Verfassungsänderung braucht. Selenskyj könnte sagen: Okay, machen wir, kein Problem, denn Verfassungsänderungen können später irgendwann auch wieder geändert werden. Wer heute auf den Beitritt zur Nato verzichtet, muss nicht auf alle Ewigkeit darauf verzichten.

    Dazu käme noch die Anerkennung der Krim und der beiden Volksrepubliken im Donbass. Selenskyj könnte die Kontaktlinie vor dem Krieg anerkennen, mehr geht wohl nicht. Vermutlich legt er es kompensatorisch darauf an, dass sein Land auf längere Sicht wenigstens der EU beitreten darf. Verdammt schmerzhafte Entscheidungen könnten bevorstehen. Doch wenn Aussicht auf ein Ende des Krieges besteht, mag vieles relativ werden. Die Ukraine ginge gestärkt hervor, Russland geschwächt.
  • Die Vielzahl an Sanktionen beginnt zu wirken, kein Wunder, so breitflächig, wie sie angelegt sind. Um sieben bis neun Prozent dürfte das russische Bruttosozialprodukt sinken, sagen Experten. Der Rubel ist in freiem Fall, der Börsenhandel ist ausgesetzt, Unternehmen stellen das Geschäft mit und in Russland ein. Ja, uns tut es gut, wenn es Putin schlecht geht. Moralisch ist das einwandfrei, doch ist es auch politisch klug? Ist es nicht.
    Diese Sanktionen haben eine entscheidende Schwäche: Sie sind als Selbstzweck gedacht, als Bestrafungsaktion. Besser wäre es, daraus ein Politikum zu machen. Klug wäre es, sie mit politischen Forderungen zu verbinden und damit eine Botschaft zu senden: Bei Waffenstillstand nehmen wir einige wichtige Sanktionen zurück. Bei Verhandlungen, wie sie Putin womöglich nur zum Schein, womöglich aber auch aus Not ankündigt, setzen wir einige Sanktionen aus.
  • Unser ehemaliger Bundespräsident Joachim Gauck hat in der Sendung von Sandra Maischberger den Satz fallen lassen: Ein bisschen frieren für die Freiheit sei den Deutschen zumutbar. Mächtige Empörung, großes Echo. So löst man eine Debatte aus. Wirtschaftlich wäre der Verzicht auf Nord Stream 1 eine Katastrophe, wohl wahr. Moralisch ist es eine Katastrophe, dass Putins Russland im vorigen Jahr aus Deutschland 19,4 Milliarden Euro für Öl und Gas überwiesen bekam und in diesem Jahr wegen der gestiegenen Preise noch ein paar Milliarden Euro mehr. Wir füttern seine Kriegsmaschinerie, nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Syrien und Libyen, auch das ist wahr. Der Krieg kennt keine Unschuldigen.

In diesen Tagen scheint vieles möglich zu sein. Schönes und Schreckliches. Kriegsende und Kriegsverschärfung. Verhandlungen und Städte in Schutt und Asche. Und beides hängt von einem einzigen Menschen ab, Wladimir Putin. Das ist der maximal beunruhigende Tatbestand.

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