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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Absturz des Rubels Bricht Russlands Wirtschaft jetzt komplett zusammen?
Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zeigen erste Wirkungen. Der russische Rubel verliert extrem an Wert. Was das für die Wirtschaft des Landes heißt – und was für den Westen.
Der Rubel befindet sich im freien Fall. Am Montag halbierte sich der Wert der russischen Währung im Vergleich zum Dollar nahezu. Selbst das russische Regime muss inzwischen zugeben: Die Sanktionen des Westens haben spürbare Auswirkungen auf die Wirtschaft ihres Landes.
"Die wirtschaftliche Realität hat sich erheblich verändert", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag. "Das sind schwere Sanktionen, sie sind problematisch. Aber Russland hat das Potenzial, den Schaden zu kompensieren."
Doch stimmt das eigentlich? Wie sehr treffen die Sanktionen die russische Wirtschaft – und was heißt der Rubel-Rutsch für die Menschen vor Ort? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zu den Auswirkungen der westlichen Strafen gegen Russland.
Bricht Russlands Wirtschaft jetzt komplett zusammen?
Nein, davon ist nicht auszugehen, zumindest nicht in den nächsten Tagen. Zwar ist der Wertverlust des Rubels dramatisch. Das allein jedoch sorgt zunächst nur dafür, dass Importe aus dem Westen für Russland teurer werden – die ob der Handelsbeschränkungen aber ohnehin kaum mehr ins Land kommen dürften.
"Kurzfristig werden die Sanktionen die russische Wirtschaft nicht in die Knie zwingen", sagt Stefan Kooths, Konjunkturexperte und Vizepräsident am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), t-online. Das russische Regime habe sich auf die zu erwartenden Reaktionen des Westens vorab gut vorbereiten können. Auch der Wertverfall der Landeswährung müsse deshalb nicht zwangsläufig dazu führen, dass die Wirtschaft im Land kollabiert.
Denn die Waren und Güter, die innerhalb Russlands produziert werden, können auch weiter verkauft werden. Und solange die Energieexporte von den Sanktionen ausgenommen bleiben, kommt sogar immer noch frisches Geld von außen ins Land.
"Die ökonomische Übermacht des Westens ist erdrückend"
"Von diesen Devisen jedoch werden sich die Russen jetzt im Westen kaum noch etwas kaufen können", sagt Kooths. "Auf die mittlere und lange Sicht werden die Strafen Russland empfindlich treffen." Importe aus dem Westen, etwa Medikamente, vor allem aber auch Zwischenprodukte für die Industrie, werden durch den Absturz des Rubels unerschwinglich.
Die Folge, so Kooths: "Russland wird durch die zunehmende Isolation weiter zurückgeworfen." Bereits jetzt sei das Land viel zu unproduktiv, habe sich wirtschaftlich in den vergangenen Jahren nicht von einem reinen Rohstofflieferanten zu einer Industrienation weiterentwickelt.
"Die ökonomische Übermacht des Westens ist erdrückend", sagt der Experte. "Die Wirtschaftsleistung der USA, der EU, Großbritanniens und Japans ist elfmal so groß wie die Russlands." Das habe auch Konsequenzen für die Rüstungsausgaben: Für jeden Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung, den der Westen in sein Militär investiert, müsste Russland das Elffache aufwenden, um gleichzuziehen.
Welche Auswirkungen hat das für Deutschland?
Das lässt sich aktuell noch schwer abschätzen. Viel hängt davon ab, ob die Energieexporte Russlands von den Strafmaßnahmen ausgenommen bleiben, russisches Gas also weiter in die EU und damit nach Deutschland fließen kann.
Unabhängig davon ist klar: Die Sanktionen gegen Russland werden auch negative Konsequenzen auf deutsche Firmen haben, die in Russland Geschäfte machen. "Diese sind nicht zu vermeiden", sagte am Montag eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Ohne eine entsprechende Summe zu nennen, kündigte sie gleichzeitig an, dass die Bundesregierung helfen werde, wenn Unternehmen deswegen in die Knie gingen.
Grundsätzlich jedoch spielt der Handel mit Russland für die deutsche Wirtschaft nur eine untergeordnete Rolle. Insgesamt gehen lediglich zwei Prozent der deutschen Exporte nach Russland. Darunter sind vor allem Maschinen und Anlagen sowie Autos, Medikamente und chemische Produkte wie Klebstoff. "Zwar können die Sanktionen einzelne deutsche Unternehmen durchaus hart treffen", sagt auch Experte Kooths. "Für die gesamte Wirtschaft ist Russland als Absatzmarkt aber unbedeutend."
Experte: Schon jetzt für den kommenden Winter vorsorgen
Damit die Auswirkungen auch mittelfristig gering bleiben, muss allerdings weiter russisches Gas nach Deutschland fließen dürfen. Kooths: "Solange das Gas strömt, treibt im Wesentlichen nur die Unsicherheit die Preise. Kommt es dagegen zu einem Lieferstopp, dürfte das die Preise zusätzlich anheizen und möglicherweise auch das Abschalten industrieller Verbraucher bedeuten."
So oder so sollte sich Deutschland unabhängig von Russlands Gas machen. "Jeder Monat mit russischem Gas hilft, um Vorkehrungen zu treffen. Wir müssen im Sommer große Vorräte anlegen für den kommenden Winter und schnellstmöglich für Alternativen sorgen, etwa durch Flüssiggas-Terminals, die uns erlauben, Gas per Schiff aus der übrigen Welt zu beziehen."
Was bedeutet der Absturz des Rubels für die Menschen in Russland?
Wer in Russland lebt und dort regelmäßig Wein aus Frankreich trinkt, dürfte sich das schon in den nächsten Tagen kaum mehr leisten können – sofern er überhaupt noch an Waren aus dem Westen kommt. Gleiches gilt etwa für Autos "made in Germany".
Denn: Die Sanktionen der EU und der USA führen zu erheblichen Handelsbeschränkungen, zudem macht der Wechselkursrutsch beim Rubel Importwaren für die Russen unbezahlbar. Im Vergleich zum US-Dollar büßte der Rubel am Montagmorgen fast die Hälfte seines Werts ein.
Gefahr durch drohenden Bank-Run
Auf Waren, die in Russland produziert und verkauft werden, dürfte dieser Umstand derweil nur geringe Auswirkungen haben, meint Wirtschaftsexperte Kooths. "Wir werden in Russland nicht gleich eine Hyperinflation sehen", sagt er. "Denn die Güter, die sich extrem verteuern werden, kann Russland ohnehin kaum mehr importieren."
In geringerem Maße dürfe der Inflationsdruck zwar durchaus zunehmen (siehe nächster Abschnitt). Spüren werden die Menschen die Sanktionen also vor allem darin, dass Supermarktregale mit West-Waren leer bleiben.
Sichtbar wird die Wirtschaftskrise zudem schon jetzt an den Bankautomaten im ganzen Land: Panisch versuchen viele Russen derzeit Geld von ihren Konten abzuheben, zum Teil ohne Erfolg, weil die Banken Abhebungen unterbinden. Setzt sich dieser Trend fort, indem es verstärkt zu sogenannten Bank-Runs kommt, droht das russische Finanzwesen in Schieflage zu geraten.
Was tut Russland, um den Kollaps zu verhindern?
Auch wenn eine extreme Inflation in Russland aktuell noch unwahrscheinlich erscheint, rüstet sich die russische Notenbank gegen ein solches Szenario. Am Montag verkündete die Zentralbank, dass der Leitzins um 10,5 Punkte auf nunmehr 20 Prozent angehoben wird.
Damit macht sie Kredite im Land teurer und verlangsamt das Wachstum der Geldmenge. Auf diesem Weg will sie verhindern, dass die ohnehin schon sehr hohe Inflation außer Kontrolle gerät – was nach Einschätzung von IfW-Ökonom Kooths auch nötig ist:
"Die aktuelle Geldmenge ist darauf ausgerichtet, dass die Russen damit sämtliche Produkte bezahlen können, ohne dass die Preise exorbitant steigen", sagt er. "Verringert sich jetzt das Angebot an Gütern durch die Import-Beschränkungen, ist zu viel Geld im Umlauf. Das wirkt dann ohne Gegenmaßnahmen inflationär, auch für Güter, die in Russland hergestellt werden."
Neben der Leitzinserhöhung verkündete die Zentralbank am Montag zudem, dass die Moskauer Börse den gesamten Tag über geschlossen bleibe. Erst am Dienstag entscheide sich, wann der Handel wieder aufgenommen wird. Zuvor hatte die Notenbank Wertpapierhändlern untersagt, russische Wertpapiere im Besitz von Ausländern zu verkaufen. Mit Kapitalspritzen und Fremdwährungsgeschäften sollen zudem heimische Geldinstitute gestützt werden.
Welche Konsequenzen hat all das für Wladimir Putin?
Aktuell scheinen die Konsequenzen für Russlands Präsident Wladimir Putin noch gering zu sein. Gestützt durch die innerrussische Propaganda scheinen weite Teile seines Volkes noch hinter ihm zu stehen.
Gleichzeitig waren am Wochenende in verschiedenen russischen Städten Anti-Kriegs-Proteste und Solidaritätskundgebungen mit der Ukraine zu beobachten. Tausende Menschen gingen auf die Straßen, Bürgerrechtler berichten von mehr als 1.700 festgenommenen Demonstranten.
Zu erwarten ist, dass weitere Menschen ihre Unterstützung für Putin überdenken, sobald die Auswirkungen im Alltag stärker zu spüren sind – etwa weil auch russische Waren zu teuer werden, oder es über einen längeren Zeitraum kein Geld am Bankautomaten gibt. Noch mehr Druck dürfte Putin seitens der Oligarchen erfahren, die zwar einerseits von der Kreml-Politik profitieren, andererseits von den Sanktionen direkt betroffen sind, etwa weil sie nicht länger auf ihre ausländischen Konten zugreifen können.
- Eigene Recherche
- Telefonat mit Stefan Kooths
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters