Impfstoff-Versprechen der G7 Spendet Deutschland genug Impfstoff an ärmere Länder?
Die Zahl klingt enorm: Eine Milliarde Impfdosen aus den G7-Staaten sollen an ärmere Länder fließen, die bisher eher leer ausgegangen sind. Doch die Industrienationen sind selbst Teil des Problems. Ein Überblick.
Mit der Lieferung von rund einer Milliarde Impfdosen für ärmere Länder wollen die reichen Industrienationen (G7) auf dem Gipfel im englischen Cornwall ihre Hilfsbereitschaft demonstrieren. Was großzügig klingt, verdeckt Kritikern zufolge, dass in der Pandemie doch erstmal jedes Land an sich denkt.
Von den bisher weltweit etwa 2,2 Milliarden verabreichten Impfdosen sind mehr als drei Viertel in nur zehn Ländern verabreicht worden - in den wohlhabenden Nationen der Welt. Aber solange das Coronavirus weiter in den ärmeren Ländern grassiert, drohen neue Mutationen, womit Impfungen wieder unwirksam werden können. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema finden Sie hier:
Wie will die G7-Gruppe jetzt bedürftigen Ländern helfen?
Die Gruppe will den ärmeren Ländern bis nächstes Jahr eine Milliarde Impfdosen liefern. Die Hilfe soll durch eine Umverteilung von zu viel bestellten Impfstoffen und Finanzierung möglich werden. Es soll direkt oder über die Impfinitiative Covax geliefert werden, die für eine gerechte Verteilung sorgen soll. Allein die USA haben eine Spende von 500 Millionen Dosen bis nächsten Juni angekündigt.
Reicht denn eine Milliarde Impfdosen?
Wohl kaum, nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind elf Milliarden Impfdosen nötig – oder zumindest acht Milliarden, um für eine Herdenimmunität 80 Prozent der Bevölkerung in Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommen zu impfen. Weniger als ein Prozent der Impfungen weltweit sind bisher Menschen in ärmeren Ländern verabreicht worden. Vor allem werden Impfstoffe so schnell wie möglich benötigt, nicht erst nächstes Jahr.
Was macht Deutschland?
Die Bundesregierung ist einer der großzügigsten Spender und hat eine Milliarde Euro für Covax sowie 30 Millionen Impfdosen bis Ende des Jahres versprochen. Wie andere reiche Länder beharrt Kanzlerin Angela Merkel aber darauf, zuerst der eigenen Bevölkerung das Angebot einer Impfung zu machen. Die WHO hätte es gerne anders. Sie sieht es als unmoralisch an, dass reiche Länder gesunde Jüngere impfen, während in armen Ländern selbst Pflegepersonal, das sein Leben für Covid-Kranke aufs Spiel setzt, weiter auf die Impfung warten müssen.
Warum nicht den Patentschutz für Impfstoffe aufheben?
Den Vorschlag haben Südafrika und Indien gemacht, Frankreich und andere haben sich angeschlossen, auch die USA haben sich offen für Diskussionen gezeigt. Einige Nationen mit Pharmaindustrie sind dagegen, darunter Deutschland und Großbritannien. Kanzlerin Angela Merkel glaubt nicht, "dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist". Zur nötigen Kreativität und Innovationskraft der Unternehmen gehöre Patentschutz.
Es laufen aber doch Verhandlungen?
Im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) wird darüber verhandelt, nur mit wenig Aussicht. Die EU ist auch gegen die Freigabe und hat vorgeschlagen, Produzenten stattdessen zu mehr freiwilligen Lizenzen zu bewegen, damit ihr Impfstoff – gegen Zahlung von Gebühren – anderswo hergestellt werden kann. Wenn das nicht klappt, will sie auch Zwangslizenzen dulden. Die Pharmaindustrie pocht auf den Patentschutz, weil sie für Investitionen Renditeaussichten brauche.
Würde eine Freigabe der Patente die Produktion erleichtern?
Pharmakonzerne argumentieren, es würde die Herstellung nicht beschleunigen, weil anderen Firmen Kapazitäten und Know-how fehlten, um schnell an den Start zu gehen. Entwicklungsorganisationen fordern deswegen schnellen Technologietransfer und Investitionen in anderen Ländern, um regionale Produktion aufzubauen.
Warum gibt es nicht genug Impfstoffe?
Die reichen Länder haben den Impfstoffmarkt leergekauft. Es wurde mehr geordert als benötigt. Die Entwicklungsorganisation One errechnete, dass sich die G7-Staaten über 2,5 Milliarden Impfdosen mehr gesichert hätten als sie brauchten. Großbritannien könnte seine Bevölkerung mehrfach durchimpfen.
Warum kommt die Impfstoff-Initiative Covax nicht in die Gänge?
Der Plattform fehlt der Impfstoff, weil nicht mehr zu kaufen ist. Zudem hatte Covax große Mengen von Astrazeneca in Indien bestellt, das aber im April einen Exportstopp verhängte. Das Land erlebte zuletzt eine verheerende Infektionswelle und beansprucht die Produktion für die eigene Bevölkerung. Deshalb ist Covax auf Spenden angewiesen. Sofort nötig wären 250 Millionen, die bis Ende September verabreicht sein sollen, um Pflegepersonal und gefährdete Menschen impfen zu können.
Wird Indien die Lieferungen wieder aufnehmen?
Vorerst wohl nicht. Indien bemüht sich jetzt sogar selbst, Impfstoff zu importieren. Bislang sind weniger als 4 Prozent der mehr als 1,3 Milliarden zählenden Bevölkerung vollständig geimpft. Als "Apotheke der Welt" hatte Indien zuvor 66,4 Millionen Dosen an 93 Länder geliefert. Auch verschenkte Indien als einer der ersten Millionen Dosen an ärmere Länder, die sonst leer ausgegangen wären.
Und was machen China und Russland?
Schon bevor Covax im Februar erstmals etwas liefern konnte, haben China und Russland Impfstoffe an andere Länder abgegeben. Bis heute hat China mehr als 350 Millionen Impfdosen an mehr als 80 Länder geliefert. Was gespendet, zu Marktpreisen oder billig verkauft wurde, bleibt unklar.
Auch wurde eine chinesische Spende von zehn Millionen Dosen an Covax angekündigt. Deutlich weniger hat Russland geliefert. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Von Impfstoffdiplomatie ist die Rede. Aber viele Länder hätten sonst keinen Zugang zu Impfstoffen.
- Nachrichtenagentur dpa