Bidens erste 100 Tage So wurden die USA zum Impf-Weltmeister
US-Präsident Joe Biden hat sein gestecktes Ziel erreicht: 200 Millionen Impfdosen sind verabreicht worden. Wie ist das gelungen? Und gibt es auch in den USA Impfskeptiker? Ein Überblick.
Die Nacht ist längst über New York hereingebrochen, aber zum Eingang des Stadions Citi Field strömen weiter Menschen. Mehr als 40.000 Zuschauer konnten hier vor der Corona-Pandemie die Baseball-Spiele der New York Mets sehen, seit Februar wird hier rund um die Uhr geimpft. Drinnen stehen einige Menschen Schlange, doch die Abfertigung geht schnell.
Im Eingang des Stadions sitzt Bayro und wartet. Der 49-Jährige wurde schon geimpft, nun hat er seine Tochter zum Termin hergebracht. Bayro schwärmt von der "unglaublich effizienten" Impfkampagne in den USA. Bei seiner eigenen Spritze sei alles ganz schnell gegangen. "Ich bin um 8.30 Uhr reingegangen, um 8.37 Uhr hatte ich meine Impfung."
Arbeiten Hand in Hand mit Washington
Warum es nun, nach mehr als einer halben Million Corona-Toten, in den USA scheinbar so gut laufe? Bayro meint, die neue Regierung habe "Tempo gemacht". Er ist wie viele New Yorker kein Fan des Ex-Präsidenten Donald Trump. Bayro findet, mit der neuen Regierung von Joe Biden arbeiteten lokale Behörden mit Washington endlich Hand in Hand.
Ein Beispiel seien 24-Stunden-Impfzentren, wie dieses Stadion. Sie seien wichtig. "Warum? Weil es New York ist. Wir sind die ganze Nacht wach. Wir arbeiten lange", sagt Bayro. "So leben wir hier. Wir leben schnell. Also müssen wir auch jetzt schnell sein."
Zu Beginn kamen die Impfungen in den USA nur schleppend voran. Doch nach dem Machtwechsel im Weißen Haus nahm die Impfkampagne rasant an Fahrt auf. Biden drehte an vielen Stellschrauben. Er orderte Hunderte Millionen Impfdosen verschiedener Hersteller, spannte die Apotheken im Land als Impfstationen ein, ließ die US-Katstrophenschutzbehörde Massenimpfzentren errichten, rekrutierte in großer Zahl Impfer.
Sein erstes Ziel, innerhalb seiner ersten 100 Tage im Amt 100 Millionen Impfdosen zu verabreichen, wurde schon nach knapp 60 Tagen erreicht. Biden verdoppelte das Ziel dann auf 200 Millionen Impfdosen. Nun ist auch das geschafft, nach gut 90 Tagen im Amt. Biden verkündete den Meilenstein am Mittwoch, kurz vor Erreichen der 200-Millionen-Marke.
Rund drei Millionen Impfungen pro Tag
Im Schnitt bekamen in den USA zuletzt gut drei Millionen Menschen pro Tag eine Impfung, an manchen Tagen mehr als vier Millionen. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen hat bereits mindestens eine Impfspritze bekommen, unter den Älteren ab 65 Jahren sind es mehr als 80 Prozent.
Die Pandemie hat zwar einige Schwächen der USA auf schmerzliche Weise offengelegt: etwa die Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems, die mangelnde soziale Absicherung vieler Amerikaner, Kinderarmut oder die systematische Benachteiligung von Schwarzen und Latinos. Beim Impfen aber entpuppt sich ein Wesenszug des Landes als besondere Stärke: unbürokratisch, pragmatisch und teils unkonventionell an manches heranzugehen, jenseits strikter Vorschriften und Regularien.
Impfungen neben Drogerien oder Supermärkten
Die Biden-Regierung hat früh damit begonnen, Impfstoffe direkt an Apotheken im Land auszuliefern. Viele Apotheken in den USA sind Teil von Drogerien oder Supermärkten. Das heißt, Amerikaner können sich unweit von daheim – gleich neben Waschmittel oder Tiefkühlpizza – impfen lassen und davor oder danach noch einkaufen gehen.
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Die Regierung hat den Weg dafür frei gemacht, dass auch pensionierte Ärzte und Pfleger Impfungen spritzen können. In vielen Impfzentren im Land sind außerdem Freiwillige für logistische Aufgaben im Einsatz – viele von ihnen haben im Gegenzug für ein paar Stunden Mitarbeit eine Impfung bekommen, früher als sie sonst dran gewesen wären.
Mobile Impf-Einheiten
Impftermine mitten in der Nacht gibt es nicht nur in New York, sondern auch an anderen Orten im Land. Mobile Impf-Trucks wiederum rollen durch ländliche Gebiete. Im Bundesstaat Maryland etwa klappert eine mobile Einheit unter anderem gezielt entlegene Geflügelbetriebe ab, um dort Arbeiter zu impfen, die andernfalls womöglich nicht den Weg zur nächsten Impfstelle antreten würden.
Bei der Vergabe der Impfdosen wurde in den USA von Anfang an die Impfberechtigung nicht streng geprüft, also ob jemand zu einer bevorzugten Gruppe gehört, mit Vorerkrankung oder Risikoberuf. Diverse Bundesstaaten öffneten ihre Impfungen nach und nach für alle – ohne jede Priorisierung nach Alter, Gesundheitszustand oder Beruf – und gewährten teils auch bewusst Menschen aus anderen Staaten eine Spritze. Auch das beschleunigte das Prozedere. Seit Montag sind alle Amerikaner ab 16 Jahren berechtigt, einen Impftermin zu vereinbaren. Möglich ist das aber nur durch genügend Nachschub an Impfstoff.
Biden hat früh versprochen, bis Ende Mai genügend Impfstoff für alle rund 260 Millionen Erwachsenen in den USA zu haben. Insgesamt 600 Millionen Impfdosen sicherte sich die Regierung von Moderna und Biontech/Pfizer – Präparate mit jeweils zwei Spritzen. Dazu kommen 100 Millionen Dosen von Johnson & Johnson – jenem Impfstoff mit Einmal-Spritze. Das Mittel von Johnson & Johnson wird in den USA derzeit wegen vereinzelter medizinischer Komplikationen zwar nicht gespritzt. Große Auswirkungen auf das Impfprogramm der Amerikaner hat das aber nicht, weil genug Impfdosen der anderen Hersteller da sind.
Ernüchternder Blick auf Deutschland
In Deutschland ging es in den vergangenen Monaten beim Impfen deutlich behäbiger zu. Viele Bürger verbrachten frustrierende Stunden vor dem Rechner oder in Warteschleifen von Telefonhotlines, um einen Termin zu ergattern. Oft ohne Erfolg. Dass insgesamt bisher nicht mehr Menschen in Deutschland geimpft sind, liegt aber nicht in erster Linie an der Impfbürokratie, sondern am fehlenden Impfstoff.
Trotz ihrer Vorräte dürften die USA bei ihrer rasanten Impfkampagne allerdings bald an ihre Grenzen stoßen: dann nämlich, wenn alle Impfwilligen eine Spritze bekommen haben und der Rest der Bevölkerung eine Impfung verweigert. Die Skepsis gegenüber den eilig entwickelten Präparaten ist groß in den USA. Gut 20 Prozent der Bevölkerung sagen einer aktuellen Umfrage zufolge, dass sie keine Impfung wollen.
Die Regierung müht sich, auch Zweifler zu einer Spritze zu bringen. Biden appellierte am Mittwoch an alle Arbeitgeber, Angestellte bezahlt fürs Impfen freizustellen und ihnen auch kein Gehalt zu streichen, wenn sie wegen Impf-Nebenwirkungen ausfallen. Kleineren Betrieben gewährt der Staat Hilfen, um impfbedingte Arbeitsausfälle aufzufangen. Biden mahnte: "Kein arbeitender Amerikaner sollte einen einzigen Dollar seines Gehaltsschecks verlieren, weil er seine patriotische Pflicht erfüllt, geimpft zu werden."
- Nachrichtenagentur dpa