Corona-Pandemie in Großbritannien In London herrschen "Verzweiflung und Traurigkeit"
Wegen stark ansteigender Corona-Infektionen hat die britische Regierung die Hauptstadt in den Lockdown versetzt. Bürgermeister Khan ist besorgt und kritisiert die kurzfristige Anordnung.
Londons Bürgermeister Sadiq Khan hat Verständnis für den neuen coronabedingten Lockdown der britischen Hauptstadt gezeigt, die kurzfristige Anordnung aber scharf kritisiert. "Es ist das Hin und Her, das zu so viel Angst, Verzweiflung, Traurigkeit und Enttäuschung führt", sagte Khan am Sonntag der BBC. "Wenn wir unsere Meinung immer wieder ändern, macht es das Leuten wie mir wirklich schwer, die Menschen zu bitten, uns zuzuhören." Die Ankündigung "auf den letzten Drücker" sei ein schwerer Schlag für Familien und Unternehmen, sagte Khan. Die Maßnahmen seien allerdings korrekt, "sie folgen dem Rat von Wissenschaft und Medizin".
Die Stellungnahme von Boris Johnson und wie es in London aussieht, sehen Sie im Video oben (oder hier).
In London und anderen Gegenden in Südostengland gilt seit der Nacht zum Sonntag wieder ein harter Lockdown mit Ausgangssperren. Grund ist die rasche Ausbreitung einer neuen Variante des Coronavirus. Insgesamt sind etwa 16,4 Millionen Menschen von den Verschärfungen betroffen, knapp ein Drittel der Bevölkerung von England. Sie dürfen auch über Weihnachten keine Mitglieder anderer Haushalte treffen. "Als Premierminister ist es meine Pflicht, schwierige Entscheidungen zu treffen und zu tun, was getan werden muss, um die Menschen in diesem Land zu schützen", betonte Regierungschef Boris Johnson am Samstagabend auf Twitter.
"Bessere Chance, Leben zu schützen"
Er hatte noch vor kurzem Forderungen von Wissenschaftlern und der Opposition abgelehnt, härtere Maßnahmen über die Feiertage in Kraft zu setzen. Nun müssen Millionen Menschen doch alleine feiern. "Wir opfern die Möglichkeit, unsere Lieben dieses Weihnachten zu sehen, damit wir eine bessere Chance haben, ihr Leben zu schützen, damit wir sie an künftigen Weihnachten sehen können", sagte Johnson.
Der Premier warnte, die neue Variante VUI2020/12/01 des Coronavirus breite sich rasch aus. Die Mutation sei um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form. Viele Kliniken in Südostengland sind so gut wie vollständig ausgelastet, vielerorts wurden nicht notwendige Operationen verschoben. Johnson betonte, es gebe aber weder Hinweise darauf, dass Impfstoffe weniger effektiv gegen die neue Corona-Variante seien, noch darauf, dass die Krankheit schwerer verlaufe oder es mehr Todesfälle gebe.
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Um auf Nummer sicher zu gehen, wird das soziale Leben in weiten Teilen des Landes heruntergefahren. In London und anderen Regionen in Südostengland gilt künftig die neue höchste Corona-Warnstufe 4. Dort dürfen die Menschen nur noch aus wichtigen Gründen ihre Wohnung verlassen, etwa, um zum Arzt oder zur Arbeit zu gehen. Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte sowie wie Fitnessstudios, Friseure, Kinos oder Schönheitssalons müssen schließen. Die Einwohner dürfen diese Zone nicht verlassen.
Beschränkung auf ersten Weihnachtsfeiertag
Bisher gab es in England drei Stufen. Geplant war, dass sich vom 23. bis 27. Dezember landesweit bis zu drei Haushalte zu festen "Weihnachtsblasen" zusammenschließen können. Dies wurde nun – außerhalb der Zone 4 – auf den ersten Weihnachtstag beschränkt. Auch die anderen Landesteile verschärften die Regeln deutlich. In Wales mit mehr als 3,1 Millionen Einwohnern gilt ebenfalls ein harter Lockdown, Schottland hat Reisen in andere Regionen verboten. Ob auch Nordirland neue Maßnahmen einführt, war noch unklar. Dort hatten sich zuletzt wegen der hohen Zahlen an Neuinfektionen Krankenwagen vor Notaufnahmen gestaut, Ambulanzen aus dem benachbarten EU-Staat Irland halfen aus.
Großbritannien ist eines der am härtesten von der Corona-Krise getroffenen Länder Europas. Am Samstag stieg die Zahl der Infektionen um etwa 27.000 auf insgesamt mehr als zwei Millionen. Etwa 83.000 Menschen sind bisher mit oder an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben. Die Regierung hatte vor gut zehn Tagen mit einer Massenimpfung begonnen. Bisher haben landesweit etwa 350.000 Menschen das Mittel des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech und dessen US-Partners Pfizer erhalten, wie Johnson sagte.
Die für einige Teile Großbritanniens geltenden strengeren Regeln sollten nach Ansicht des britischen Gesundheitsministers Matt Hancock länger in Kraft bleiben. In Südostengland und in London gelten derzeit strikte Beschränkungen der Stufe vier. "Wir müssen das wirklich unter Kontrolle bekommen... Es ist ein langer Weg, bis das aus der Welt geschafft ist", sagte er dem Sender Sky News auf die Frage, ob die Menschen in diesen Gebieten sich auf eine längere Zeit mit strengeren Regeln einstellen sollten. Vor allem müsse nun geimpft werden, damit die Menschen sicher seien. Bis dahin sei es sehr schwer, die Ausbreitung der neuen Variante des Coronavirus unter Kontrolle zu bringen. Geplant sei, dass bis zum Ende des Wochenendes eine halbe Million Menschen geimpft sei.
- Nachrichtenagentur dpa