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Gewalt in Serbien – Präsident Vucic nimmt Ausgangssperre zurück


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Ärger entlädt sich
Corona-Notstand: Großevents wurden Serbien zum Verhängnis


Aktualisiert am 09.07.2020Lesedauer: 4 Min.
In Jubellaune: Präsident Aleksandar Vucic feiert mit Anhängern nach dem haushohen Sieg seiner rechts-konservativen Partei bein den Wahlen im Juni.Vergrößern des Bildes
In Jubellaune: Präsident Aleksandar Vucic feiert mit Anhängern nach dem haushohen Sieg seiner rechts-konservativen Partei bein den Wahlen im Juni. (Quelle: Marko Djurica/reuters)

Strikte Maßnahmen hatten Serbien vor dem Corona-Chaos bewahrt. Jetzt schnellen die Zahlen in die Höhe. Doch die Menschen fürchten nicht nur neue Einschränkungen – es ist die Angst vor dem Verlust der Demokratie.

"Das lächerlichste Virus der Weltgeschichte", wie Lungenarzt Prof. Dr. Branimir Nestorović das Coronavirus noch im Februar verharmloste, schlägt jetzt in Serbien zu. Der Schein, die Ausbreitung von Covid-19 langfristig im Griff zu haben, hat – wie schon in zahlreichen anderen Ländern – getrogen. Die Bevölkerung ist wütend. Nicht nur auf erneute Einschränkungen, sondern auf das autoritäre Regime unter Präsident Aleksandar Vucic, der die Krise politisch ausnutzen will.

Nach drei Tagen gewaltsamer Proteste hat Vucic trotz der steigenden Corona-Zahlen nun den Verzicht auf eine zuvor angekündigte Ausgangssperre in Aussicht gestellt. In Belgrad werde es "definitiv" schärfere Corona-Einschränkungen geben als zuletzt, betonte Vucic am Mittwochnachmittag. Der Krisenstab seiner Regierung scheine jedoch "der Ansicht zu sein, dass es keine Ausgangssperre geben sollte", fügte er hinzu. Die endgültige Entscheidung dazu werde am Donnerstag fallen.

Die Demonstranten, die am Dienstagabend zu Tausenden auf die Straße gegangen waren, bezeichnete Vucic als "Faschisten". Zudem bestehe der Verdacht der "Einmischung durch ausländische Geheimdienste", sagte der Präsident, ohne Details zu nennen. "Es wäre eine Schande, würde ich unter dem Druck von Hooligans nicht zu meinem Wort stehen, aber ich denke, dass wir Stärke demonstrieren, indem wir zeigen, dass ich nicht allein entscheide", betonte Vucic weiter. Die Polizei setzte am Mittwochabend erneut Tränengas gegen Protestteilnehmer ein, die ihrerseits Steine und Feuerwerkskörper auf die Beamten warfen.

Wie schon die Schweiz oder Israel zeigten, sind geringere Fallzahlen ein Trugschluss der alten Normalität. Schnelle und vor allem umfassende Lockerungen sorgten stattdessen vielerorts für einen Anstieg der Infektionszahlen. In der Schweiz führten besonders Besuche in Diskotheken zu Massenansteckungen. In Serbien sind es Großveranstaltungen, die inmitten – oder gerade wegen – des Wahlkampfes wieder erlaubt waren.

Strenge Regeln führten zum Erfolg – doch stimmt das?

Dabei schien es vorher gut zu laufen: Die Regierung erließ nach den anfänglichen Scherzen über das Virus im März einen der striktesten Lockdowns in Europa. Angeblich aus Angst vor einem Kollaps des Gesundheitssystems, Oppositionsmitglieder vermuten eher eine Machtdemonstration der zunehmend autoritären Regierung. Sie befürchten den Verlust demokratischer Strukturen im Land. Dieser zeichnet sich schon seit Jahren ab: Korruption und beschränkte Medienfreiheit sind nur zwei der Beispiele.

Ältere Menschen ab 65 sollten während des Lockdowns zu Hause bleiben, alle anderen durften ab 17.00 Uhr nicht aus der Wohnung. Grenzen, Schulen, Gastronomie, Shoppingcenter blieben geschlossen. Die Pandemie hielt sich so tatsächlich in aushaltbaren Grenzen, die Infektionszahlen sanken. Doch auch hier regt sich Widerspruch: Kritiker meinen, die Zahlen seien geschönt und eigentlich drastischer als angegeben. Das unterstützt auch die investigative Recherche von "BalkanInsight". Die Organisation veröffentlichte Zahlen der Toten, die mit über 600 mehr als doppelt so hoch sind, als eigentlich angegeben.

Ab Anfang Mai löste Serbiens Regierung dann den Ausnahmezustand auf, Lockerungen folgten. Aber nicht in Form einer schrittweisen Öffnung, eines Herantastens und Ausprobierens, sondern von Null auf Hundert: Neben der Öffnung von Gastronomie und Freizeiteinrichtungen fanden auch Konzerte und Fußballspiele mit bis zu 20.000 Zuschauern statt.

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Tennisstar Novak Djokovic veranstaltete sogar ein Tennis-Charityevent, zu dem 4.000 Fans in den Rängen erschienen – ohne Maske oder Abstand. Djokovic selbst sagte, dass man ihn für das Event zwar kritisieren könne, er jedoch nur das umsetze, was die Regierung erlaube. Nach dem Event wurde er positiv auf das Coronavirus getestet.

Frühzeitige Lockerungen zur Wahlbeeinflussung?

Kritiker vermuten, dass die umfassenden Lockerungen die Wahl positiv beeinflussen sollten. Und tatsächlich: Präsident Vucic gewann mit seiner rechtsnationalen Partei SNS (Serbische Fortschrittspartei) deutlich mit 63 Prozent der Stimmen. Allerdings boykottierten die meisten Oppositionskräfte die Wahl.

Jetzt, wenige Wochen nach seinem Wahlsieg, zeigen sich die Folgen der Lockerungspolitik: Seit einigen Tagen melden die serbischen Behörden wieder dreistellige Infektionszahlen, am 7. Juli waren es 299 neue Fälle innerhalb eines Tages. Zum Vergleich: Anfang Juni lagen die aktiven Fälle bei nur noch rund 230, jetzt sind es knapp 3.000. Im Gespräch mit dem "ZDF" stellte der Arzt Mithat Eminovic eine direkte Verbindung zwischen den politischen Entscheidungen und den massiven Ausbrüchen her.

Der Präsident reagierte, und erließ erneut eine Ausgangsbeschränkung vom 11. bis zum 13. Juli. Es dürfen sich nicht mehr als fünf Menschen drinnen sowie draußen treffen. Auch eine Maskenpflicht gilt wieder in weiterhin geöffneten Geschäften, Bars, Diskotheken und öffentlichen Verkehrsmitteln. Nach Bekanntgabe protestierten Tausende in der Hauptstadt Belgrad, versuchten, das Parlamentsgebäude zu stürmen. Bilder von prügelnden Polizisten und wütenden Demonstranten machten die Runde.

Grund für die Wut sind aber nicht allein die moderaten neuen Beschränkungen. Es ist ein Aufstand gegen das Regime unter Präsident Vucic. Die Corona-Pandemie sei "ein Paradies für autoritäre Regime" und die Politiker würden die Krise nutzen, um "die normale Kommunikation und Debatte über Probleme im Land" zu blockieren, sagte Boris Tadic, der ehemalige Präsident Serbiens, dem "Tagesspiegel".

Serbien kämpft also nicht nur gegen ein erneutes Aufflammen der Corona-Pandemie. Das Land droht gleichzeitig in die Autokratie abzurutschen.

Verwendete Quellen
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