Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.TV-Kritik "Anne Will" "Kurz hat die Rechten salonfähig gemacht"
Schadet der Strache-Skandal der AfD? Warum wurde das Video erst jetzt veröffentlicht? Eine Spurensuche bei "Anne Will".
Die Gäste
- Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Spitzenkandidat für die Europawahl
- Katarina Barley (SPD), Bundesjustizministerin und Spitzenkandidatin für die Europawahl
- Jörg Meuthen (AfD), Parteivorsitzender, Mitglied des Europäischen Parlaments und Spitzenkandidat für die Europawahl
- Ska Keller (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament und Spitzenkandidatin für die Europawahl
- Martin Knobbe, Leiter des "Spiegel"-Hauptstadtbüros, recherchierte in der "Ibiza-Affäre" um Strache
Der Frontverlauf:
Wie wirkt sich der Skandal um Österreichs zurückgetretenen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf die Europawahl aus? Und warum wurde das Material erst jetzt veröffentlicht? Zumindest auf die zweite Frage lieferte die Sendung eine Antwort. "Spiegel"-Journalist Knobbe berichtete, das Material erst seit einer Woche vorliegen zu haben. Dann hätten noch zwei externe Gutachter das Video auf seine Echtheit hin überprüft. Gegen Meuthens impliziten Vorwurf, das Material bewusst so kurz vor der Wahl zu veröffentlichen, verwehrte er sich. "Was glauben Sie, was die Leute gesagt hätten, wenn wir bis nach der Wahl gewartet hätten?“.
In den AfD-Spendenaffären sah Knobbe Parallelen in Deutschland zum Strache-Skandal. Meuthen bestritt, über die Schweizer "GOAL AG" illegale Wahlkampfhilfe bekommen zu haben. "Wir haben eine sehr sichere Rechtsposition", sagte er zum laufenden Verfahren. Er erwarte bei der Europawahl ein sehr gutes Ergebnis. Interessanterweise war Meuthen der einzige Politiker in der Runde, der hinsichtlich des nahenden Urnengangs viel Optimismus versprühte.
Der Aufreger des Abends
In der lebhaften Diskussion ging es immer wieder um Fragen der Abgrenzung: Wie steht die AfD zur FPÖ und deren Missständen? Und ist die Union zu freundlich zu Österreichs Bundeskanzler Kurz sowie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban? Meuthen verurteilte das Fehlverhalten von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, nahm die Partei aber in Schutz. "Man nimmt ja auch nicht die SPD in Kollektivhaftung, weil da ein Edathy durchgedreht ist." Will hakte nach: Haben rechtspopulistische Parteien nicht ähnliche Grundwerte wie Verachtung der Demokratie und die Pressefreiheit sowie eine große Nähe zu Russland? Meuthen ließ die Frage an sich abperlen. "Wie das auf die gesamte europäische Rechte passen soll, bleibt Ihr Geheimnis." Ska Keller sah dies anders. "Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass jemand aus der künftigen Regierungspartei das Land ausverkauft. Das muss weitergehen, als dass einer zurücktritt." Kurz habe die Rechtspopulisten in Österreich salonfähig gemacht.
Womit die Diskussion wieder bei Kanzler Kurz war, dem CSU-Mann Weber erst am Samstag auf Twitter öffentlich den Rücken gestärkt hatte. Das tat er in der Sendung erneut: "Er hat gesagt, genug ist genug. Er hat die Trennlinie klar gezogen." Davor habe die Koalition sehr produktiv gearbeitet und in der EU vieles durchgesetzt, unter anderem das Verbot von Plastiktüten. Drückt da die Union kurz vor der Wahl nicht ein Auge zu viel zu? Justizministerin Barley jedenfalls kritisierte die Loyalität der Union gegenüber den Rechtspopulisten, konkret gegenüber Orban. "Wenn jemand die Pressefreiheit mit Füßen tritt, lädt man ihn nicht ständig ein", sagte sie in Anspielung auf die zahlreichen Besuche des Staatschefs bei der jährlichen CSU-Klausur. Weber ging halbherzig zur Gegenattacke über: Der SPD warf er vor, sich nicht ausreichend vom griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras zu distanzieren, der sein Volk belüge, weil er seit Jahren mit einer rechtsextremen Partei koaliere.
Der Faktencheck
Meist liefert unser Faktencheck zur Sendung klare Antworten. Heute ist die Lage etwas schwieriger: Ausgangspunkt ist die Debatte darüber, ob das Strache-Video womöglich nicht hätte veröffentlicht werden dürfen. Meuthen unterstellte den Machern des Videos "geheimdienstliche Methoden". Der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink äußerte sich auch kritisch über den "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung", die das Video veröffentlicht hatten.
Grundsätzlich geht es um die Abwägung zwischen dem Recht auf Privatheit und dem Recht der Öffentlichkeit, wichtige Informationen zu erhalten. Leitlinie ist bis heute das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1984. Es gab dem Enthüllungsjournalisten Günther Wallraff weitgehend Recht, der Undercover in der Redaktion der "Bild"-Zeitung recherchiert hatte. Das Gericht stellte fest, dass Informationen grundsätzlich nicht widerrechtlich durch Täuschung erlangt werden dürfen, auch nicht durch Journalisten. Aber es gebe eine Ausnahme, "wenn die Bedeutung der Informationen für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung einseitig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und für die Rechtsordnung nach sich ziehen“.
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Besonders bei wichtigen politischen Figuren dürfte dieser Anspruch der Bevölkerung als hoch eingeschätzt werden. Aber auch Wallraff wurde gerügt, weil er aus einer Redaktionskonferenz teils wörtlich zitiert hatte. Ob die Recherche und Veröffentlichung zu einhundert Prozent legal waren, werden letztlich Gerichte in Österreich, Deutschland und Spanien klären.
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