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Fall Khashoggi: Erdogans Angriffsrede, die viele Fragen offen lässt


Tod von Jamal Khashoggi
Erdogans Angriffsrede, die viele Fragen offen lässt

Von t-online, dpa, afp, reuters, dru

23.10.2018Lesedauer: 5 Min.
Gefeiert von seiner Fraktion im Parlament: Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan nutzt den Tod Khashoggis für seinen Ringen mit Riad aus.Vergrößern des BildesGefeiert von seiner Fraktion im Parlament: Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan nutzt den Tod Khashoggis für sein Ringen mit Riad aus. (Quelle: Ali Unal/ap)

Erdogan spricht von einem barbarischen, geplanten Mord, während neue Details im Fall des getöteten Journalisten Khashoggi weiter nur tröpfchenweise ans Licht kommen. Wie lange treibt der Staatschef dieses Spiel noch?

Neue Enthüllungen, wilde Gerüchte, und ein Präsident, der "seine Karten geschickt ausspielt": Am Dienstag haben sich die Entwicklungen im Fall des in Istanbul getöteten saudiarabischen Journalisten Jamal Khashoggi regelrecht überschlagen.

Erst bezeichnete der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan in einer weltweit beachteten Rede den Tod Khashoggis als "barbarischen, geplanten Mord" und widersprach damit energisch der Version Riads von einer tragischen Eskalation eines Streits. Dann sorgten Gerüchte um den angeblichen Fund von Körperteilen Khashoggis für Wirbel, die von türkischen Ermittlern jedoch dementiert wurden. Währenddessen feierte die gescholtene Wüstenmonarchie bei ihrer Investorenkonferenz einen Milliardenabschluss nach dem anderen. So als wären die zahlreichen Absagen vor allem aus Europa und den USA ohne Wirkung geblieben.

Erdogan: Es war ein politischer Mord

Doch der Reihe nach: Erdogan sprach in der Rede vor den Abgeordneten seiner Regierungspartei AKP in Ankara von einem "politischen Mord". Er sagte, dass "die bisher aufgetauchten Informationen und Beweise zeigen, dass Jamal Khashoggi einem brutalen Mord zum Opfer gefallen ist". Erdogan vermied es zugleich, Saudi-Arabiens Führung dafür die Verantwortung zu geben. Er forderte, dass die Verdächtigen in der Türkei vor Gericht gestellt werden.

Obwohl Erdogan angekündigt hatte, bei seiner Rede ins Detail gehen zu wollen, legte er die angesprochenen Beweise dann doch nicht vor und lieferte auch sonst keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse. Er forderte stattdessen Aufklärung von Saudi-Arabien vor allem zu der Frage, wo die Leiche sei.

Erst am Wochenende – rund drei Wochen nach Khashoggis Verschwinden – hatte Saudi-Arabien zugegeben, dass der Journalist im Istanbuler Konsulat getötet wurde. Riad stellte den Tod aber als Folge einer Schlägerei dar. 18 saudische Staatsangehörige wurden festgenommen.

Erdogan machte deutlich, dass für ihn die Angelegenheit mit der Festnahme der Saudis noch nicht erledigt sei: "So einen Fall einigen Sicherheits- und Geheimdienstmitgliedern anzulasten, würde weder uns noch die internationale Gemeinschaft zufriedenstellen", sagte er. Er zweifele aber nicht an der Aufrichtigkeit von König Salman. Den Kronprinzen, der verdächtigt wird, den Mord in Auftrag gegeben zu haben, erwähnte Erdogan nicht.

Türkei füttert die Medien – und erhöht den Druck auf Riad

Lange hatten türkische Behörden oder Politiker sich offiziell kaum zu dem Fall geäußert. Stattdessen versorgten der türkischen Regierung nahe stehende und internationale Medien die Öffentlichkeit häppchenweise mit neuen Informationen aus Ermittlungskreisen. So auch heute.

Am Nachmittag berichtete der britische Sender Sky News unter Berufung auf anonyme Quellen vom angeblichen Fund von Körperteilen Khashoggis im Garten des saudi-arabischen Konsulats. Dem widersprachen Berichte in türkischen Medien, die sich auf Polizei und Staatsanwaltschaft in Istanbul beriefen: Die Leiche sei noch immer nicht gefunden, die Untersuchungen dauerten an.

So schafft es die Führung in Ankara, mit der tröpfchenweisen Freigabe von Informationen den Druck auf den geopolitischen Rivalen in Riad weiter zu erhöhen und das Königreich international zu diskreditieren. Und gleichzeitig von der wirtschaftlichen Krise im eigenen Land abzulenken. Der Washington-Korrespondent der regierungsnahen Zeitung "Sabah", Ragip Soylu, mutmaßte, dass es weitere Indiskretionen in Medien geben könnte. Auf Twitter schrieb er nach Erdogans Rede: "Er spielt seine Karten geschickt aus. Seid nicht überrascht, wenn die Leaks weitergehen."

Mordkommando aus drei Teams

Das, was Erdogan am Dienstag dann doch preisgab, war eine minuziöse Darstellung der Tat aus türkischer Sicht, ab der Minute, in der Khashoggi das Konsulat am 2. Oktober betrat. Demnach sollen bereits am Tag vor dem Verschwinden des Mannes mehrere Männer aus Saudi-Arabien angereist sein.

Erdogan sprach von "drei Teams". Eines habe vor dem Mord im Belgrader Wald und in Yalova außerhalb Istanbuls "Nachforschungen angestellt" – zu welchem Zweck, ließ er offen. Am Tag des Mordes seien die Täter dann zwischen 9.50 Uhr und 11.00 Uhr Ortszeit unabhängig voneinander ins Konsulat gekommen, um sich dort zu treffen.

Es seien aber noch viele Fragen offen. "Wieso haben sich diese 15 Personen, die alle mit dem Fall im Zusammenhang stehen, am Tag des Mordes in Istanbul versammelt?", fragte Erdogan. "Wieso wurden zahlreiche widersprüchliche Erklärungen abgegeben, obwohl der Mord Tatsache ist?" Und: Warum sei die Leiche noch nicht gefunden worden?

Ermittlungen laufen auf Hochtouren

Derweil durchsuchten türkische Sicherheitskräfte eine Villa in der Nähe von Istanbul nach Spuren. 40 Polizisten seien zwei Stunden lang in dem dreistöckigen Haus in Yalova gewesen, berichtete die Zeitung "Hürriyet". Angeblich soll das Gebäude einem Mitglied des ominösen 15-köpfigen Spezialkommandos aus Saudi-Arabien gehören.

In einer Istanbuler Garage stießen die Ermittler in einem Auto mit saudiarabischem Diplomatenkennzeichen auf Dokumente und einen Laptop. Laut CNN Türk gehörten die Gegenstände dem getöteten Khashoggi. Allerdings gab es auch dafür keine offizielle Bestätigung.

Die G7-Außenminister riefen Saudi-Arabien dazu auf, mehr als bisher zur Aufklärung beizutragen. In einer gemeinsamen Erklärung schrieben Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und seine G7-Kollegen, dass die bislang von Riad gebotenen Erklärungen "noch viele Fragen unbeantwortet" ließen. Saudi-Arabien müsse eine "glaubwürdige, transparente und zügige Untersuchung" ermöglichen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.

Offenbar in der Absicht, sein international ramponiertes Image aufzupolieren, lud die Herrscherfamilie des Wüstenstaats am Dienstag Familienangehörige Khashoggis in den Königspalast in Riad. Allerdings wirkten die Bilder von dem Empfang bizarr: Khashoggis Bruder sowie sein Sohn Salah nahmen vor den Kameras des Staatsfernsehens die Kondolenzen von König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman entgegen – jenem Thronfolger also, der im Verdacht steht, hauptverantwortlich zu sein für den Tod des im Exil lebenden Journalisten.

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"Das sind schwierige Tage für uns"

Wie angespannt die Gemütslage in der saudiarabischen Führung offenbar ist, ließ Ölminister Chalid al-Falih bei der internationalen Investorenkonferenz in Riad durchblicken. Das Königreich befinde sich in einer Krise, räumte er auf dem Podium ein: "Das sind schwierige Tage für uns."


Allerdings schienen die Absagen internationaler Hochkaräter für das Treffen wie die von US-Finanzminister Steven Mnuchin, der Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, oder von Siemens-Chef Joe Kaeser weniger Effekt zu haben, als angenommen. Nach Regierungsangaben sollten dennoch Aufträge im Umfang von mehr als 50 Milliarden Dollar unterzeichnet werden.

Mit von der Partie unter anderem: Südkoreas Autobauer Hyundai, der amerikanische Ölfeldausrüster Schlumberger sowie der französische Ölkonzern Total. "Großartig, mehr Leute mehr Geld", feierte Kronprinz Mohammed bin Salman die Vertragsabschlüsse.

Verwendete Quellen
  • dpa, AFP, Reuters
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