Lässig trotz Dauerfeuer May tanzt den Parteitagsfluch einfach weg
Von allen Seiten schlug ihr Kritik entgegen. Umso bemerkenswerter, wie selbstbewusst sich Theresa May beim Parteitag der britischen Konservativen präsentiert. Doch die härteste Probe steht ihr noch bevor.
Tänzelnd zu Abbas "Dancing Queen" kommt Theresa May am Mittwoch auf die Hauptbühne des Tory-Parteitags in Birmingham. Das sieht ein bisschen ungelenk aus. May weiß das. Gerade deswegen ist es ein selbstbewusster Auftritt – ganz anders als noch vor einem Jahr, als die britische Premierministerin vor Hustenanfällen kaum sprechen konnte. May hat den Fluch besiegt.
Zunächst holt May zum Schlag gegen Oppositionschef Jeremy Corbyn aus. Erst relativ spät spricht sie über den Brexit. Und es wird deutlich: Sie bleibt bei ihrem Kurs. Damit bietet sie der EU die Stirn, die ihre Vorschläge bereits im Wesentlichen zurückgewiesen hat. Und sie stellt sich frontal gegen ihre Kritiker in der eigenen Partei, vor allem den scheinbar ewig hinter den Kulissen lauernden Ex-Außenminister Boris Johnson.
Kein Appetit auf Putsch gegen May
Der hatte Mays Pläne zur engen Zusammenarbeit mit der EU nach dem Brexit – den sogenannten Chequers-Deal – als "Betrug" an den Wählern abgestempelt und den Jubel von mehr als 1.000 Anhängern genossen. Doch am Mittwoch schießt May zurück und erntet ebenfalls großen Applaus. Am Ende des Parteitags der Konservativen ist klar: Die Abneigung gegen Mays Brexit-Pläne mag groß sein in der eigenen Partei, aber der Appetit auf einen Putsch ist kleiner.
Und: Johnson taugt offenbar nicht als Regierungschef in Reserve. "Ich würde nicht für ihn als Parteichef stimmen", sagt einer seiner Zuhörer der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag.
In weniger als sechs Monaten tritt Großbritannien aus der EU aus. Die Furcht vor einem ungeregelten Ausscheiden scheint selbst bei eingefleischten Brexit-Enthusiasten durchzudringen. Kein Wunder, fast täglich kommen weitere Großunternehmen hinzu, die vor den drastischen Konsequenzen warnen.
Johnsons Mitstreiter im Parlament glauben, dass sie bis zu 80 Abgeordnete aus der Regierungsfraktion hinter sich haben, die ein Abkommen mit Brüssel auf der Grundlage des Chequers-Deals ablehnen würden. Auch Labour-Chef Corbyn hat ihr die Unterstützung versagt. May muss darauf hoffen, dass sich am Ende doch genügend Parlamentarier auf beiden Seiten finden, die ihr zu Hilfe kommen. Doch dazu muss ihr erst einmal eine Einigung mit Brüssel gelingen.
EU-Gipfel wird zur Stunde der Wahrheit
Schon in zwei Wochen soll beim EU-Gipfel eine Lösung für Probleme stehen, auf denen die Brexit-Unterhändler schon mehr als ein Jahr herumkauen. Der Gipfel bringe die "Stunde der Wahrheit" und man erwarte bis dahin "maximalen Fortschritt", mahnte EU-Ratschef Donald Tusk beim informellen Gipfel in Salzburg vorletzte Woche.
Seit dem verkorksten Treffen vor prächtiger Alpenkulisse scheint die Stimmung zwischen London und Brüssel giftiger denn je. Erst brachte Tusk mit der Absage an Mays Chequers-Plan für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen die britische Politik in Wallung. Dann trieb der britische Außenminister Jeremy Hunt mit einem Vergleich der EU mit der Sowjetunion Brüsseler Politiker auf die Palme.
"Natürlich schäumen jetzt die Emotionen auf allen Seiten", beschwichtigte EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans am Dienstag im EU-Parlament. "Und man muss wohl einige der mit so viel Emotion gesagten Dinge wieder vergessen."
Abhaken und weitermachen scheint auch die Devise der Unterhändler, die sich für die nächsten Tage ein dichtes Programm vorgenommen haben. Schon für diesen Donnerstag wird der irische Ministerpräsident Leo Varadkar in Brüssel erwartet. Mit Chefunterhändler Michel Barnier und Ratschef Tusk wird er wohl beraten, wie man die Verhandlungen endlich aus der Sackgasse führen kann.
Der Knackpunkt: Die Grenze zwischen Irland und Nordirland
May präsentiert in ihrer Parteitagsrede keine neuen Vorschläge. Doch macht der Brexit-Minister Dominic Raab aus der zweiten Reihe Andeutungen, dass beim schwierigsten Punkt der Verhandlungen das letzte Wort noch nicht gesprochen ist: der politisch heiklen Irland-Frage. Es geht immer noch darum, wie künftig Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können.
Eine Garantie dafür – den sogenannten Backstop – macht die EU zur Bedingung für ein Austrittsabkommen. Denn sie befürchtet, dass der Konflikt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion wieder aufflammen könnte, sollten sich die Menschen nicht mehr ungehindert zwischen den beiden Teilen der Insel bewegen können.
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Um die "Notfallklausel" wird seit Monaten fruchtlos gestritten. Nun wirft Raab am Rande des Parteitags ein paar Sätze in die Runde, die der EU Bewegung signalisieren. Was Raabs Ideen genau bedeuten, wissen EU-Diplomaten jedoch auch noch nicht recht zu deuten. Von "Lockerungsübungen" in London ist die Rede.
Europäer wollen Schmerzgrenzen ausloten
Britische Medien spekulieren, London erwäge – anders als bisher angekündigt –, im Notfall ganz Großbritannien in der Zollunion zu belassen und Nordirland im Binnenmarkt. Daraufhin meldete die nordirische DUP, auf deren Stimmen May im Parlament angewiesen ist, bereits Widerstand an. Wie groß das Störpotenzial der DUP beim gewünschten Brexit-Deal ist, kann auch die EU schwer einschätzen. Nächste Woche will Brüssels Unterhändler Barnier die Parteichefin Arlene Foster empfangen, wohl auch, um Schmerzgrenzen auszuloten.
Wie London und Brüssel nun binnen weniger Tage in einem großen Kraftakt zueinander kommen, bleibt also auch nach Mays Rede nebulös. Die Premierministerin beschränkt sich auf Durchhalteparolen: "Wenn wir zusammenhalten und die Nerven bewahren, weiß ich, dass wir einen Deal zugunsten Großbritanniens bekommen", ruft sie ihren Parteifreunden zu. Aber vielleicht ist ja das Nebulöse der einzige pragmatische Ausweg: Es lässt Spielräume für die letzte Etappe.
- dpa