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Johnson nimmt May unter Feuer: "Lächerlich" – "gestört" – "völlig grotesk"


Johnson nimmt May unter Feuer
"Lächerlich" – "gestört" – "völlig grotesk"

dpa, Silvia Kusidlo und Christoph Meyer

30.09.2018Lesedauer: 4 Min.
Premierministerin May und ihr Ex-Minister Johnson: Heftiger Schlagabtausch beim Parteitag der Tories.Vergrößern des Bildes
Premierministerin May und ihr Ex-Minister Johnson: Heftiger Schlagabtausch beim Parteitag der Tories. (Quelle: Toby Melville/Owen Humphreys/Press Association/Reuters-bilder)

Beim Parteitag der Tories geht es für Premierministerin May ums Überleben. Hält sie den harten Schlägen von Ex-Minister Johnson stand? Oder fallen ihre Brexit-Pläne bei den Parteikollegen durch?

Der Parteitag der britischen Konservativen hat am Sonntag mit einem heftigen Schlagabtausch der Premierministerin Theresa May mit ihrem früheren Außenminister Boris Johnson begonnen. Ein halbes Jahr vor dem EU-Austritt beschimpfte Johnson die Pläne Mays als ein Ergebnis "geistiger Verwirrung", als "lächerlich", "gestört" und "völlig grotesk". Seine Wortwahl war auch innerhalb der eigenen Partei umstritten.

Der "Sunday Times" sagte Johnson weiter: "Im Gegensatz zur Premierministerin kämpfe ich für den Brexit." Er schlug unter anderem den Bau einer riesigen Brücke zwischen Irland und Großbritannien vor.

Johnson will Mays Job

Beim Brexit sind die Tories völlig zerstritten. Vom Verlauf des viertägigen Parteitags könnte daher auch Mays politisches Schicksal abhängen. Sie gilt seit Längerem als angezählt. Kaum verhohlen verfolgt Johnson seine eigenen Ambitionen auf das Amt des Regierungschefs.

Johnson war im Juli – wie der damalige Brexit-Minister David Davis – aus Protest gegen Mays Pläne von seinem Amt zurückgetreten. Zum Showdown dürfte es Mitte der Woche kommen. Johnson hat für Dienstag eine Rede angekündigt. Mays großer Auftritt ist am Mittwoch geplant.

Die Premierministerin signalisierte, dass sie auch nach der Trennung Großbritanniens von der Europäischen Union auf ihrem Posten bleiben möchte. Sie habe einen langfristigen Job zu erledigen, sagte sie der "Sunday Times". Zugleich kündigte sie ein landesweites Festival für das Jahr 2022 an – das Jahr, in dem turnusmäßig die nächste Parlamentswahl stattfindet.

Harte Linie gegen künftige EU-Einwanderer

In der Andrew-Marr-Show des Senders BBC verteidigte May ihre Pläne und deutete sehr vage Kompromissbereitschaft bei den festgefahrenen Verhandlungen mit der EU an. Ihre Haltung sei es, "zuzuhören, was die EU an Bedenken vorbringt, sich dann hinzusetzen und mit ihnen darüber zu sprechen".

Es wird erwartet, dass May im Laufe des Parteitags eine harte Linie gegen künftige EU-Einwanderer vorstellt. Sie kündigte an, dass der Hauskauf für Ausländer, die keine Steuern in Großbritannien bezahlen, bald stärker mit Abgaben belastet werden soll. Mit dem Geld solle das zunehmende Problem der Obdachlosigkeit bekämpft werden.

Rückendeckung für May gab es von Außenminister Jeremy Hunt. Er warb bei seiner Rede am Sonntag für Einigkeit in Sachen Brexit in der Partei. Gleichzeitig rief er die EU in scharfen Worten dazu auf, ihre harte Verhandlungsführung gegenüber Großbritannien aufzugeben. Brüssel dürfe nicht versuchen, die Briten für ihre Entscheidung zum EU-Austritt zu bestrafen. "Verwechseln Sie niemals britische Höflichkeit mit Schwäche, wenn Sie ein Land wie Großbritannien in die Enge treiben, geben wir nicht nach, wir kämpfen", sagte Hunt. Dem Nachfolger von Johnson als Chef des Außenamts werden selbst Ambitionen auf das Amt des Premiers nachgesagt.

Handynummern von Politikern landen im Netz

Vor Beginn des Treffens gab es eine peinliche Datenpanne: Über eine Konferenz-App hatten Delegierte und Journalisten – ohne Passwort – Zugang zu privaten Informationen wie Handynummern von Politikern bekommen. Auch Johnson war davon betroffen. Die Panne verleitete einige zu Schabernack: So wurde das Bild des Umweltministers Michael Gove gegen eines des Medienmoguls Rupert Murdoch ausgetauscht.

Bereits beim Parteitag im vergangenen Jahr in Manchester ging einiges schief: Mays Rede endete damals in einem Fiasko. Zuerst konnte sie vor Hustenanfällen kaum sprechen, dann überreichte ihr ein Komiker angeblich im Namen von Johnson ein Entlassungsschreiben. Schließlich fielen hinter ihr die Buchstaben des Parteitagsmottos von der Wand.

Partnerschaft oder harter Bruch?

Nahezu zerrieben zwischen Brexit-Hardlinern und sehr EU-freundlichen Tories hält May an ihrem Kurs fest. Sie will eine Freihandelszone mit der Europäischen Union für Waren, aber nicht für Dienstleistungen wie Bankgeschäfte. Dafür soll sich Großbritannien eng an Produktstandards und andere Regeln des EU-Binnenmarkts halten. Zollkontrollen am Ärmelkanal und zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland sollen durch ein kompliziertes System verhindert werden.

Brexit-Hardlinern fordern dagegen einen klaren Bruch mit der EU - dabei wird Mays Kurs schon in Brüssel vehement abgelehnt. Johnson schlägt unter anderem einen erweiterten Freihandelsvertrag nach dem Vorbild des Abkommens zwischen der EU und Kanada vor.

Ex-Brexit-Minister Davis sagte am Sonntag dem Nachrichtensender Sky News, dass Mays Pläne "sterben werden - auf die eine oder andere Art, in Brüssel oder in Westminster". Die sechs Monate bis zum Brexit hält er für viel Zeit. Die Chance, sich doch noch mit Brüssel auf ein Abkommen zu einigen, bezifferte er auf 80 bis 90 Prozent.

"Eine Freundschaft durch dick und dünn"

Davis ließ allerdings auch durchblicken, dass auch die Front der Brexit-Hardliner nicht geschlossen ist. "Boris ist ein großartiger Freund von mir, wir haben eine Freundschaft durch dick und dünn, aber eine Menge seiner Ideen geben gute Schlagzeilen her, sind aber nicht unbedingt gute politische Strategien", sagte Davis zum Vorschlag Johnsons, eine Brücke zwischen Großbritannien und Irland zu bauen.


Der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve warnte unterdessen im "Sunday Telegraph" vor einer Rebellion EU-freundlicher Tories gegen May, die ein zweites Brexit-Referendum befürworten.

In der Innenstadt Birminghams demonstrierten am Sonntag Hunderte Brexit-Gegner gegen den EU-Austritt – im Konferenzzentrum traute sich nur eine kleine Minderheit offen, den Brexit infrage zu stellen.

Angesichts des Ärgers rund um den Brexit wächst bei den meisten Briten die Skepsis: Sie schätzen die Zukunft ihres Landes schlechter ein als beim Referendum vor zwei Jahren. In einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Nachrichtensenders Sky News gaben 56 Prozent an, dass die Scheidung von der EU wohl schlimmere Folgen haben dürfte als sie bei der Abstimmung dachten. Nur 9 Prozent gehen von einem besseren Ausgang aus. 26 Prozent änderten ihre Meinung nicht.

Verwendete Quellen
  • dpa
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