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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mit einem Trick Senator protestiert mit Rekord-Rede gegen Trump
Mit einer aufsehenerregenden Rede hat der demokratische Senator Cory Booker im US-Parlament gegen die Trump-Regierung protestiert – und einen Rekord aufgestellt. Er bediente sich dabei eines Tricks.
Um 19:19 Uhr (Ortszeit) wendet sich der demokratische Minderheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, an seinen Parteikollegen Cory Booker: "Weißt Du, dass Du gerade einen Rekord gebrochen hast?" Auf den Zuschauertribünen, die für einen gewöhnlichen Dienstagabend ungewöhnlich gut gefüllt sind, brandet Applaus auf. Booker hatte soeben Geschichte geschrieben.
Zuvor hatte der Senator aus dem Bundesstaat New Jersey mehrfach auf einen der berühmtesten Bürgerrechtler der amerikanischen Geschichte verwiesen. "Es war John Lewis, der mich inspiriert hat", sagte der 55-Jährige. "John Lewis hat mein Leben verändert, sein Mut hat dafür gesorgt, dass ich heute hier stehen und vor Ihnen reden kann." Und das tat Booker auf eindrucksvolle Weise.
Um 19 Uhr am Montagabend (Ortszeit) hatte er begonnen zu reden, 25 Stunden und fünf Minuten später stand er immer noch hinter dem Rednerpult im Kongress. Nicht etwa müde und erschöpft, sondern voller Elan, unterhaltsam, Witze reißend. Dabei war das, worüber er sprach, gar nicht lustig. Denn der demokratische Senator nutzte seine Marathonrede, um gegen die Regierung von Donald Trump zu protestieren, die anwesenden Senatoren wachzurütteln und ein Signal an die Menschen im Land zu senden: Seht her, wir Demokraten lassen nicht einfach zu, was da gerade in Washington, D. C., passiert. Wir stehen auf und wehren uns, lautete sein Credo.
Dabei kam Booker wiederholt auf den schwarzen Bürgerrechtler Lewis zu sprechen, den er als leuchtendes Vorbild des friedlichen politischen Widerstands und als einen wahren amerikanischen Helden beschrieb. Er stehe hier und protestiere im Geiste von Martin Luther King und John Lewis, so Booker. "John Lewis, ich werde dich stolz machen", habe er in einem seiner letzten Gespräche mit dem 2020 verstorbenen Bürgerrechtler gesagt, wie er vor dem Plenum erzählte.
Experte sieht USA auf dem Weg in den Faschismus
Im Kongress bediente sich Booker eines Instruments, das eine Besonderheit des amerikanischen parlamentarischen Systems darstellt: der sogenannte Filibuster. Dieser basiert auf einer Regelung, die den demokratisch gewählten Abgeordneten im Prinzip unbegrenzte Redezeit im US-Senat erlaubt. Normalerweise wird der Filibuster angewandt, um durch lange Reden oder andere Verzögerungsmaßnahmen "Zeit zu schinden" und Abstimmungen über strittige Gesetzesvorhaben zu verzögern. Doch an diesem Tag stand im Senat keine Abstimmung an, auch weil Donald Trump bislang fast ausschließlich mit Präsidialerlassen (Executive Orders) regiert. Diese bedürfen nicht der Zustimmung des Parlaments.
Technisch gesehen war Bookers jetzige Rede also kein Filibuster – er bediente sich aber des Mittels der unbegrenzten Redezeit, um gegen das "verfassungswidrige" Vorgehen Trumps zu protestieren, wie er sagte. "In nur 71 Tagen hat der Präsident der Vereinigten Staaten der Sicherheit der Amerikaner, der finanziellen Stabilität, den Grundlagen unserer Demokratie so viel Schaden zugefügt."
Auch Politikwissenschaftler verfolgen diese Entwicklung mit großer Besorgnis. Trumps Regieren per Dekret bedeutet, dass das Parlament als fundamentale Säule der Gewaltenteilung teilweise entmachtet wird, während die Macht des Präsidenten wächst. Forscher sehen darin einen Schritt hin von der Demokratie zur Autokratie. So erklärte der an der Elite-Universität Stanford lehrende Rechtsprofessor Mark Lemley, dass Trump und seine Mitstreiter die Demokratie abschaffen wollen. "Die Regierung ist faschistisch. Das Land noch nicht." Sollten die Gerichte nicht standhaft bleiben, sehe er einen Staatsstreich kommen, so Lemley.
Auch Booker ging auf die seiner Meinung nach fatalen Entwicklungen in den USA ein, die sich unter Trump in rasendem Tempo vollzogen hätten – und die Sorgen, die das bei vielen Bürgern auslöse. Er habe viele Zuschriften von Wählern und besorgten Bürgern erhalten, die fragten, warum Politiker wie er nicht mehr gegen die autokratischen Tendenzen unternehmen würden, die sich jeden Tag im Weißen Haus abzeichneten. Das habe ihn aufgerüttelt, er habe "die Dringlichkeit, die Krise des Augenblicks erkannt". Daher wolle er kämpfen, so der Senator.
Filibuster: Rekord von 1957 gebrochen
Das tat Booker mit einer außergewöhnlichen Leistung. Deutlich mehr als 24 Stunden am Rednerpult: Das hatte vor ihm noch kein Abgeordneter geschafft. Die längste Rede hatte bis zu diesem Tag der demokratische Abgeordnete Strom Thurmond aus South Carolina im Jahr 1957 gehalten. Seine Redezeit betrug damals 24 Stunden und 18 Minuten.
Welche physische und auch geistige Anstrengung Booker bewältigen musste, lässt sich schon allein daran bemessen, dass der Redner strengen Regeln unterworfen ist. Sie schreiben vor, dass er ununterbrochen und in einem flüssigen Ton spricht, dass er die ganze Zeit hinter dem Rednerpult stehen muss und vor allem keine Pausen machen darf. Booker stand also mehr als 25 Stunden am Stück. Er hatte einen Stuhl, der üblicherweise neben dem Rednerpult im Senat steht, entfernen lassen, um nicht in Versuchung zu kommen, sich hinzusetzen. Manche Filibuster-Redner hatten in der Vergangenheit die lange Redezeit mit Tricks überbrückt, etwa indem sie aus Telefonbüchern oder Kinderromanen vorlasen.
Auch Senator Booker füllte die Zeit nicht nur mit Kritik an Trump, sondern auch mit dem Vorlesen von Gedichten und Ausführungen über Sport. Außerdem beantwortete er Fragen von Senatskolleginnen und Senatskollegen und scherzte über die "biologischen Bedürfnisse", die im Laufe einer derart langen Redezeit unvermeidbar auftreten.
Er thematisierte in seiner Marathonrede aber auch so gut wie alle Bereiche der amerikanischen Politik unter der Regierung Trump. Sei es Migration, Gesundheitsversorgung, Außenpolitik oder auch Trumps umstrittene Personalentscheidungen. Booker sezierte in langen, detailreichen Ausführungen, was seiner Ansicht nach gerade falsch läuft in den USA. Allerdings bediente auch er sich eines der wenigen Mittel, die dem Redner während eines Filibusters kurze Verschnaufpausen ermöglichen: Er ließ Zwischenfragen und Bemerkungen der anwesenden Senatoren zu.
Booker: "Dies ist unser moralischer Moment"
Booker sprach nicht nur weitgehend frei, ohne Manuskript, sondern streute auch immer wieder persönliche Anekdoten ein oder entlockte den Anwesenden mit selbstironischen Bemerkungen Lacher. Mit leuchtenden Augen, wild gestikulierend und hinter dem Rednerpult hin- und herwandernd, hielt der Demokrat ein flammendes Plädoyer nach dem anderen für die Verteidigung der amerikanischen Werte. "Dies ist unser moralischer Moment", rief er den Senatoren zu. "Jetzt entscheidet sich, ob wir die Verfassung nur auf dem Papier verteidigen oder mit unseren Herzen."
Und weiter: "Wofür wir uns einst verantworten müssen, sind nicht die schändlichen Taten von bösen Männern. Wir werden uns verantworten müssen für das Nichtstun, das all die guten Menschen an den Tag gelegt haben."
In den Kommentarspalten der sozialen Medien wurde der 55-Jährige gefeiert. "Ich kann nicht glauben, dass er immer noch steht", schrieb eine Nutzerin. "Du machst uns so stolz", schrieb ein anderer. "Booker hat in den vergangenen 24 Stunden mehr für uns getan, als Trump in seinem ganzen Leben", lautete ein weiterer Kommentar.
Auch die anwesenden Abgeordneten schienen sich bewusst zu sein, dass sie einer historischen Rede beiwohnten. Gegen Ende des Redemarathons strömten immer mehr Abgeordnete in den Plenarsaal, hauptsächlich Demokraten. Auf der republikanischen Seite der Parlamentskammer herrschte zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger gähnende Leere. Nur Cynthia Lummis, Republikanerin aus Wyoming, stand an ihrem Platz, lächelte und klatschte.
Als Booker die 25-Stunden-Marke geknackt hatte, kam er schließlich zum Ende. Nicht ohne seine Zuhörer mit einem weiteren flammenden Appell in die Nacht zu entlassen. "Wir müssen für Aufruhr sorgen, und zwar für einen guten, einen positiven Aufruhr", sagte er. Dann wandte er sich direkt an das amerikanische Volk: "Ich will, dass ihr mutig seid. Erneuert den Traum, erneuert den Traum von unserer wunderschönen Nation. Lasst euch nicht spalten, lasst euch nicht gegeneinander ausspielen, sondern lasst uns wieder einer Vision folgen, die inspirierend ist. Darum bitte ich euch von ganzem Herzen."
Dann wandte er sich an die Parlamentspräsidentin: "Verehrte Präsidentin, hiermit beende ich meine Rede." Es folgte tosender Applaus, die Senatoren erhoben sich von ihren Sitzen und feierten den Demokraten. Allen war bewusst: Dies war eine der beeindruckendsten Auftritte, die das US-Parlament je erlebt hatte.