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Georgien: Orbán besucht Tiflis nach Wahlen – Hinweise auf Manipulation


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Orbán besucht Georgien nach Schicksalswahl
Dieses Ergebnis ist "praktisch unmöglich"


29.10.2024Lesedauer: 6 Min.
GEORGIA-HUNGARY/Vergrößern des Bildes
Ungarns Ministerpräsident beim Empfang in Tiflis: Viktor Orbán wurde von Demonstranten in der georgischen Hauptstadt mit einem Pfeifkonzert bedacht. (Quelle: Irakli Gedenidze/reuters)

Mit seinem Besuch in Georgien will Ungarns Regierungschef Orbán die mutmaßlich manipulierte Parlamentswahl legitimieren. Doch stündlich kommen mehr Hinweise für den Betrug ans Licht.

Es ist bereits dunkel in Tiflis, dennoch tummeln sich am Montagabend noch immer Zehntausende Menschen auf den Straßen der georgischen Hauptstadt. Friedlich protestieren die Bürger mit georgischen und EU-Fahnen gegen das in ihren Augen gefälschte Ergebnis der Parlamentswahl am Samstag. Überraschend hatte die Regierungspartei Georgischer Traum entgegen Umfragen vor der Wahl laut offiziellem Ergebnis rund 54 Prozent der Stimmen gewonnen. Staatspräsidentin Salome Surabischwili hatte daraufhin zu Protesten aufgerufen.

Dann aber kommt es für einen Moment doch zu Tumulten vor dem Marriott-Hotel nahe dem Parlamentsgebäude in der Altstadt von Tiflis: Ein gellendes Pfeifkonzert und Buhrufe ertönen, als der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán das Gebäude verlässt. Die Georgier machen nur allzu deutlich, was sie von dem kurzfristig anberaumten Besuch Orbáns in ihrem Land halten.

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Der Ungar hatte bereits vor Verkündung des offiziellen Ergebnisses der Regierungspartei zum Wahlsieg gratuliert und seinen Besuch angekündigt. In Tiflis erklärt er, keinen Zweifel am Wahlergebnis zu haben. Internationale Beobachter aber sehen das anders, und selbst die georgische Wahlleitung erklärte am Dienstag, die abgegebenen Stimmen teilweise neu auszählen zu lassen.

Derweil werden beinahe stündlich neue Hinweise auf Wahlmanipulation publik. Sie setzen Orbáns Besuch einmal mehr in das fahle Licht russischer Einflussnahme in Europa.

Verdacht auf Wahlmanipulation vor allem in ländlichen Gebieten

Präsidentin Surabischwili machte im Zuge ihres Aufrufs zum Protest die Tragweite des mutmaßlichen Betrugs bereits am Sonntagabend deutlich. "Wir waren Zeuge von etwas sehr Ungewöhnlichem: Es handelte sich um eine totale Fälschung, einen totalen Diebstahl von Stimmen, bei dem alle Tricks angewandt wurden, die zur Fälschung von Wahlen verwendet werden können, und obendrein der Einsatz moderner Technologien, um die Wahlen zu beschönigen."

Untersuchungen des Datenanalysten Levan Kvirkvelia und des unabhängigen Wahlbeobachters Roman Udot, die beide auf der Plattform X veröffentlichten, machen deutlich, welches Ausmaß der Betrug in Georgien angenommen hat. Während die Wahlen in den größeren Städten Tiflis, Rustawi, Kutaissi und Batumi "normale" Ergebnisse produzierten, zeigt die Verteilung der Wählerstimmen in ländlichen Gebieten Anomalien auf.

Anhand der öffentlich zugänglichen Daten der Wahlkommission hat Kvirkvelia Diagramme erstellt, die zeigen, wie viele Orte mit einer bestimmten Prozentzahl für die Regierungspartei Georgischer Traum gestimmt haben. Im Falle freier und unabhängiger Wahlen würde sich die Kurve als Gauß'sche Normalverteilung in Glockenform darstellen: Links und rechts der Mitte verliefe die Kurve flach, während beim durchschnittlichen Wert ein steiler Anstieg erkennbar wäre. Nicht jedoch in Georgiens ländlichen Gebieten. Hier zeigen die Wahlergebnisse deutliche Abweichungen von einer Normalverteilung auf: Der Stimmanteil der Regierungspartei war also auffällig hoch.

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Die ungewöhnliche Kurve, die dabei entsteht, bezeichnet Kvirkvelia als "russischen Schweif", denn diese Darstellung sei ausschließlich bei manipulierten Wahlen zu finden – wie sie in Russland üblich sind. Das Portal "Europe Elects" wies dies etwa anhand der russischen Regionalwahlen 2023 nach.

Rund 400 Orte in Georgien zeigten eine ungewöhnlich hohe Unterstützung für die Regierung, schreibt Kvirkvelia auf X. Der Georgische Traum erzielte in Dutzenden der betroffenen Wahllokale Zustimmungswerte von 80 Prozent und mehr. "Es ist praktisch unmöglich, dass so viele Orte auf natürliche Weise einen so starken Ausschlag und nicht einen gleichmäßigen Trend erzeugen können", schreibt der Analyst.

Der "Teufel" liegt im Detail

Auch der Wahlbeobachter Roman Udot erkennt in Georgien die Muster russischer Scheinwahlen. Zur Analyse der Wahlergebnisse hat er die sogenannte Sobjanin-Suchowolsky-Methode angewandt, die von zwei russischen Wissenschaftlern zur Untersuchung von Wahlmanipulation im postsowjetischen Russland entwickelt wurde. Der "Teufel" liege im Detail, schreibt Udot auf X.

Bei der Sobjanin-Suchowolsky-Methode werden die Wahlbeteiligung und die Anzahl der Stimmen für einen Kandidaten oder eine Partei in einem Diagramm mit Punkten dargestellt. Dabei entstehen sogenannte Punktcluster, also Ansammlungen von Punkten. Bei fairen Wahlen entspricht die Neigung des Clusters dem prozentualen Anteil eines Kandidaten. Im Falle von Manipulationen aber neigt sich der Punkthaufen um 45 Grad. Wenn darüber hinaus Stimmen "falsch erfasst", also etwa hinzugefügt werden, neigt sich das Punktcluster durch die ungleiche Verteilung der Stimmen immer steiler.

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Auch Udot sieht dabei keine Hinweise auf Wahlmanipulation in den größeren Städten, dafür aber umso mehr in den ländlichen Gebieten Georgiens. Die Verteilung der Punkte für die Regierungspartei Georgischer Traum (im Diagramm dunkellila dargestellt) ist breit gefächert, während die Punkte für die Oppositionsparteien sehr dicht beieinander liegen. Das ist ein deutlicher Hinweis auf Manipulation zugunsten der Regierung.

Diese Betrugsmethoden wurden dokumentiert

Welche Methoden zum Wahlbetrug mutmaßlich angewandt wurden, haben Nutzer auf sozialen Medien schon am Wahltag unter dem Schlagwort "#IWitnessedFraud" (zu deutsch "Ich war Zeuge von Betrug") angezeigt. Darunter finden sich solche, die der Regierungspartei zusätzliche Stimmen verschaffen sollten, aber auch Maßnahmen, die verhindern sollten, dass die Stimmen eines Wahlbezirks überhaupt ausgezählt werden. Diese Methoden scheinen dabei am gängigsten gewesen zu sein:

  • Zusätzliche Stimmen werden in Wahlurnen gestopft: Davon hat es mindestens einen dokumentierten Fall im Ort Marneuli südlich von Tiflis gegeben. Auf einem Video ist zu sehen, wie mehrere Männer Stimmzettel in eine Wahlurne stopfen und Wahlhelfer bedrohen. Die Wahlkommission erklärte die gesamte Abstimmung in dem Wahllokal für ungültig, die Stimmen wurden nicht gezählt. Genau das wollten die Betrüger offenbar erreichen, da die Regierungspartei den Wahlbezirk zu verlieren drohte.
  • Verletzung des Wahlgeheimnisses: In manchen Wahllokalen waren die Kabinen zur Stimmabgabe von außen einsehbar. Überdies sollen Wähler teils von autorisierten und nicht-autorisierten Personen in die Wahlkabinen begleitet worden sein, um eine Stimmabgabe zugunsten des Georgischen Traums sicherzustellen. Zudem wurden den Berichten zufolge Wahlurnen teilweise nicht versiegelt.
  • Physische Gewalt: Auf mehreren Videos ist zu sehen, wie es im Rahmen der Wahl am Samstag zu Schlägereien in der Nähe von Wahllokalen kam. Die Androhung oder Umsetzung physischer Gewalt gilt dabei Menschen, die der Opposition nahestehen, und sollte diese einschüchtern. Ein gewalttätiger Mob mit Fahnen des Georgischen Traums ist am Wahltag zudem mit Gewalt in die Zentrale der größten Oppositionspartei UNM in Tiflis eingedrungen und konnte nur mit Mühe und dem Einsatz von Pfefferspray zurückgeschlagen werden. Auch andernorts hat es gewalttätige Übergriffe auf Oppositionelle gegeben.
  • Mehrfache Stimmabgabe: Ebenfalls dokumentiert ist, dass in einigen Wahllokalen regierungstreue Wähler gleich zwei Stimmzettel bekommen haben. Ebenso soll es Menschen gelungen sein, in verschiedenen Wahllokalen ihre Stimme abzugeben. Mancherorts sollen zudem bereits verstorbene Personen auf Wählerlisten eingetragen gewesen sein. Eigentlich werden darüber hinaus die Hände der Wähler nach der Stimmabgabe mit einer Tinte markiert, die nur unter Schwarzlicht auszumachen ist. In einigen Fällen soll die Farbe jedoch nicht aufgetragen worden sein, in anderen Fällen ist dokumentiert, dass sich Wähler die Farbe mit Chemikalien von den Händen waschen, um danach erneut abstimmen zu können.
  • Bestechung: Auch Geld war bei der Beschaffung von Stimmen für die Regierungspartei im Spiel. Mehrere Videos in sozialen Netzwerken zeigen angebliche Wahlhelfer in den Lokalen, die Menschen vor oder nach der Stimmabgabe Geld überreichen. Damit wurden mutmaßlich Stimmen gekauft.
  • Manipulation der elektronischen Stimmabgabe: In der Mehrheit der Wahllokale konnten die Georgier am Samstag an Wahlmaschinen abstimmen. Dabei ist es wohl immer wieder zu Fehlfunktionen gekommen, die zu Chaos in den Wahllokalen führten. Dies soll dafür genutzt worden sein, um zusätzliche Stimmen in die Urnen zu stopfen oder eine andere der oben genannten Methoden anzuwenden.
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Die Liste der Betrugsmethoden ließe sich wohl noch länger fortführen. Ob Russland dabei direkt involviert war, lässt sich indes nicht belegen. Die Form der Wahlmanipulation erinnert jedoch stark an bereits bekannte Muster aus Russland, etwa bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr. Außerdem profitierte offenbar ausschließlich die russlandfreundliche Regierungspartei Georgischer Traum von der Manipulation. Mehr zu der Partei und dem Milliardär an ihrer Spitze lesen Sie hier.

Umfragen vor den Wahlen prognostizierten ihr ein Ergebnis von etwa 35 Prozent, während den vier Oppositionsblöcken eine Zustimmung von etwa 55 Prozent vorausgesagt wurde. Das offizielle Ergebnis aber lautete fast genau andersherum. Der Kreml weist Vorwürfe der Einmischung indes zurück.

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Orbán: "Niemand hat sich getraut"

Der ebenfalls als russlandfreundlich geltende ungarische Regierungschef Viktor Orbán machte sich derweil bei seinem Besuch in Tiflis die weitgehende Zurückhaltung des Westens zunutze. Sein Besuch sollte offensichtlich der Legitimation des umstrittenen Wahlergebnisses dienen. "Niemand hat sich getraut zu sagen, dass diese Wahl oder ihr Ergebnis nicht demokratisch waren – abgesehen von kritischen Meinungen, die geäußert wurden", zitierte die Nachrichtenagentur Interpressnews Orbán. Er nannte die Wahl frei und demokratisch.

Tatsächlich blieben sowohl EU-Vertreter als auch der US-Außenminister Antony Blinken weitgehend farblos, sprachen von "Mängeln" beziehungsweise "Verstößen", nicht jedoch von Betrug. Eine Gruppe von 13 EU- und Außenministern hatte zudem erklärt, dass Orbán bei seinem Georgien-Besuch nicht im Namen der EU spreche. Ungarn hat derzeit den Vorsitz des Europäischen Rates inne.

Georgien hatte zwar erst Ende letzten Jahres den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. Wegen der Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzes gegen ausländische Einflussnahme legte die EU den Beitrittsprozess aber auf Eis. Die wohl manipulierten Wahlen rücken den Beitritt nun in noch weitere Ferne – sollte das Ergebnis denn Bestand haben.

Verwendete Quellen
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