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Russland: Putins absurder Kampf gegen Kinderlosigkeit


Kinder für den Kremlchef
Er lässt bereits über ein Verbot von Kondomen sprechen

Von t-online, mk

23.10.2024Lesedauer: 3 Min.
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Wladimir Putin hält ein Kind in Militäruniform im Arm: Der Kreml versucht mit teilweise absurden Mitteln, die demografische Krise in Russland zu überwinden. (Quelle: IMAGO/Mikhail Metzel)
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Mit brachialen Methoden geht Russland gegen Kinderlosigkeit vor. Schüler mussten sich ein Video von einer Abtreibung anschauen. Was plant der Kreml als Nächstes?

Wenige Geburten bei gleichzeitig sinkender Lebenserwartung: Schon vor dem Überfall auf die Ukraine blickten russische Experten mit Sorge auf die Entwicklung der eigenen Bevölkerung. Der Krieg hat den demografischen Niedergang noch beschleunigt, wie neue Zahlen zeigen. So ist die Geburtenrate inzwischen so niedrig wie zuletzt 1999, der turbulenten russischen Nachwendezeit. Der Kreml hat das Problem erkannt und will gegensteuern – mit drastischen Mitteln.

So hat die russische Staatsduma jetzt in erster Lesung ein Gesetz gebilligt, das die "Propaganda von Kinderlosigkeit" unter Strafe stellen würde. Wer öffentlich ein Leben ohne Kinder anpreist, muss künftig mit einer hohen Geldstrafe rechnen, Ausländer sogar mit Haft oder der Ausweisung aus Russland. Zur Begründung nannte die Vorsitzende des russischen Föderationsrates, Valentina Matwijenko, die sogenannte Childfree-Ideologie, eine im Westen entstandene "Entartung des Feminismus".

Duma diskutiert über Kondomverbot

Ideologisch liegt das neue Gesetz auf einer Linie mit dem schon länger geltenden Verbot von "homosexueller Propaganda" und der Einstufung der "internationalen LGBT-Bewegung" als extremistischer Organisation durch das Oberste Gericht im November 2023. Die Angst der Herrschenden vor westlichen Einflüssen zeigt sich auch in der jüngsten Kampagne gegen "furries": Teenager, die sich als Tiere verkleiden und auf allen Vieren im Wald spielen. Russlands Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin bezeichnete den Trend unter Jugendlichen als "Projekt der Entmenschlichung", das der Westen gestartet habe, um die Kontrolle über die Welt zu behalten.

Und jetzt treibt Duma-Chef Wolodin offenbar schon das nächste Gesetz zur Steigerung der Geburtenrate voran, wie die deutsche Plattform "Dekoder", die Inhalte russischer oppositioneller Medien übersetzt, berichtet. Sie bezieht sich auf einem Bericht der "Novaya Gazeta". Demnach werde im Parlament bereits über ein Verbot von Kondomen diskutiert: "Die Verbreitung von Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten wird die Gesellschaft natürlich viel weiter bringen", kommentiert "Dekoder" ironisch die Debatte. "In einem Land, in dem Hunderttausende Menschen das HI-Virus in sich tragen, ist es natürlich oberste Priorität, Kondome abzuschaffen!"

Russland: Kinder mussten Abtreibungsvideo schauen

Welche grotesken Züge die Fixierung auf das Nachwuchsproblem annimmt, zeigt auch eine Episode auf der Insel Sachalin im Osten Russlands. Dort mussten alle Mädchen und Jungen einer Schule ein Video schauen, das eine Abtreibung zeigte. So sollten die Kinder abgeschreckt werden, jemals selbst ein Kind abtreiben zu lassen, berichtet "Dekoder". Die Aktion war wohl auch den russischen Behörden zu krass, die anschließend ermittelten, wie es zu dem Videovortrag gekommen war. "Will man nach so einem Anblick überhaupt noch Kinder bekommen? Oder erreicht man mit solch entsetzlichen Bildern nicht vielmehr das Gegenteil von Fortpflanzungsfreudigkeit?", kommentiert "Dekoder" den Vorfall weiter.

Kremlgegner erkennen in dem Gesetz gegen "Propaganda von Kinderlosigkeit" auch eine Parallele zur Sowjetzeit, als Menschen ohne Kinder eine Sondersteuer zahlen mussten. Wie das schwammig formulierte Regelwerk überhaupt zur Anwendung kommen soll, ist unklar. "Dekoder" weist darauf hin, dass ein "Childfree"-Verbot im Extremfall keine Handlung, sondern eine Unterlassung bestrafen würde: "Soll jetzt jede kinderlose Person unter Generalverdacht stehen, einer imaginären Childfree-Bewegung anzugehören?", schreibt das oppositionelle Magazin. Die Sorge ist groß, dass vor allem auf Frauen Druck ausgeübt wird, Kinder zu bekommen.

"Katastrophal für die Zukunft unserer Nation"

Kremlchef Putin meldet sich in der Debatte auch persönlich zu Wort. In einer Rede lobte er beispielsweise Großfamilien und rief Frauen dazu auf, acht Kinder zu bekommen – mindestens. Dafür setzt der Kreml auch finanzielle Anreize: So erhalten Mütter mit zehn oder mehr Kindern eine Einmalzahlung von umgerechnet 11.000 Euro vom Staat. Und seit 2022 wird auch der Titel "Mutter-Heldin" wieder vergeben – auch dies ein Relikt aus der Sowjetzeit. Ob sich die demografische Krise mit solchen Mitteln lösen lässt, erscheint allerdings als unwahrscheinlich.

So berichtete die unabhängige Zeitung "Moscow Times" kürzlich von einer russischen Studie, der zufolge ein Drittel der Russen wegen des Krieges gegen die Ukraine die Geburt von Kindern aufschieben oder ganz bleiben lassen. Hinzu kommt, dass in dem Krieg schon schätzungsweise eine halbe Million Russen getötet oder verwundet wurden, während etwa eine Million Menschen das Land verlassen haben, um sich dem Krieg zu entziehen. Das spiegelt sich auch in der historisch niedrigen Geburtenrate der vergangenen Monate wider.

So kamen in dem Land mit etwa 146 Millionen Einwohnern im Juni erstmals weniger als 100.000 Kinder innerhalb eines Monats zur Welt. Von Januar bis Juni waren es laut offiziellen Angaben insgesamt knapp 600.000 Babys – 16.500 weniger als im Vorjahreszeitraum und der niedrigste Stand seit 1999, wie eine Auswertung der Nachrichtenagentur Reuters ergab. Kremlsprecher Peskow kommentierte die Zahlen im Juli mit den Worten: "Das ist katastrophal für die Zukunft unserer Nation".

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